Gastbeiträge

Hat Sebastian Kurz seinen Amtseid gebrochen? Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung des Kanzlers

Sebastian Kurz hat unter Wahrheitspflicht  gelogen, lautet die Anklage, wegen der die unabhängige Justiz gegen ihn ermittelt. Es ist nicht das erste Mal, dass der Bundeskanzler nachweislich die Unwahrheit sagt. Das kann bei der Beurteilung vor Gericht erschwerend wirken, genau wie die Tatsache, dass Kurz einen Amtseid geleistet hat, sagt der Jurist und Bürgerrechtler Walter Neumayer.

Prof. Dr. Walter Neumayer war mehrere Jahrzehnte Wirtschaftsjurist in einem internationalen Konzern und setzt sich als Vorsitzender eines Bürgerrats seit 25 Jahren für die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern ein. Zu seinen Kernforderungen gehört das Recht, nicht von Amtsträgerinnen und Amtsträgern der Republik belogen zu werden. Dass ausgerechnet gegen den Bundeskanzler wegen Falschaussage ermittelt wird, ordnet der Jurist für Kontrast rechtlich ein.

Warum hätte der Bundeskanzler nicht die Wahrheit sagen sollen?

Man sieht, wie sich die Fronten verhärten. Auf der einen Seite  stehen die Verteidiger des Bundeskanzlers, die seiner Argumentation folgen, wonach es nicht einsichtig sei, „warum er nicht die Wahrheit hätte sagen sollen“. Auf der anderen Seite diejenigen, die den Rechtsstaat in Gefahr sehen.

Ich muss zugeben, dass ich zur zweiten Gruppe gehöre, wenn ich mir die in der Vergangenheit immer wieder erhobenen Vorwürfe gegen die Justiz in Erinnerung rufe. Sowohl der Präsident des Landesgerichtes  für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, als auch Richterpräsidentin Sabine Matejka haben mehrfach vor weiteren Angriffen auf den Rechtsstaat gewarnt.

Richterin Matejka zeigt sich im Standard darüber besorgt, dass „die Angriffe auf die Justiz sehr oft grenzüberschreitend sind“. Ihres Erachtens sind die Angriffe und Anschuldigungen „nichts Neues, allerdings haben sie an Intensität zugenommen.“ Wörtlich sagte Kurz laut Standard: „Jeder, der mir zugehört hat, hat glaube ich herausgehört, wen ich kritisiert habe: Nämlich die Oppositionsparteien, die einfach mit ständigen Anzeigen versuchen, irgendwo Ermittlungsverfahren in die Wege zu leiten. Frei nach dem Motto: ‚Irgendwas wird schon hängenbleiben‘.“ Dass das Ermittlungsverfahren gegen ihn von der Staatsanwaltschaft und nicht von der Opposition eingeleitet wurde, will er offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen.

Sebastian Kurz‘ gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat

Dass offensichtlich Bundeskanzler Kurz ein „gestörtes Verhältnis“ zum rechtstaatlichen Prinzip der Gewaltentrennung hat, hat er in der Vergangenheit immer wieder zur Schau gestellt, indem er Urteile als Fehlurteile einstufte, oder im Zusammenhang mit der Diskussion über die Verschärfung des Sexualstrafrechts den Eindruck erweckte, dass er persönlich dafür Sorge tragen werde, dass es in Zukunft härtere Strafen gibt. Offensichtlich kann er es nicht lassen, die Arbeit der Justiz zu kritisieren.

Dass er es nicht lassen kann, die Justiz lächerlich zu machen und herabzuwürdigen, sieht man auch aus seiner Aussage, „eine Verurteilung durch einen Einzelrichter wäre absurd“. Entrüstet weist er jeden Vorwurf mit dem Argument zurück, dass es doch einsichtig ist „warum er nicht die Wahrheit sagen hätte sollen“.

Jeder Mörder – der angeblich besser behandelt wird als Bundeskanzler Kurz – weiß allerdings auch, dass seine Tat strafbar ist, und macht es trotzdem. Bundeskanzler Kurz wusste sicherlich auch schon in der Vergangenheit, dass er die Wahrheit sagen muss und niemand anderen beschuldigen darf – und machte es trotzdem.

Bundeskanzler Kurz hat in der Öffentlichkeit mehrmals nicht die Wahrheit gesagt. Das liegt vielleicht daran, dass er genau wusste, dass es bei derartigen Aussagen (etwa in Interviews und nicht im U-Ausschuss, wo (noch) Wahrheitspflicht gilt. Anm.) für ihn keine gesetzliche Wahrheitspflicht gibt. Die Forderung, im Informationsfreiheitsgesetz das Recht des Bürgers zu verankern, von staatlichen Organen richtige und wahrheitsgemäße Auskünfte zu erhalten, wurden bis dato von der ÖVP abgelehnt. All das lässt jedenfalls Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Bundeskanzler Kurz aufkommen.

Der Amtseid wirkt erschwerend

In diesem Zusammenhang möchte ich noch zur Diskussion stellen, welche Auswirkungen eigentlich der  von Bundeskanzler Kurz abgelegte Amtseid auf die Beurteilung des Falles hat. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass nach § 288 Abs. 2 STBG (Strafgesetzbuch) eine höhere Strafe auf Falschaussage droht, wenn die falsche Beweisaussage unter Eid abgelegt wurde. 

Abs.2 „Wer vor Gericht eine falsche Beweisaussage unter Eid ablegt oder mit einem Eid bekräftigt oder sonst in den Gesetzen vorgesehenen Eid vor Gericht falsch schwört, ist mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren zu bestrafen. Einem Eid steht die Berufung auf einen früher abgelegten Eid gleich.“

Ist unter einem „früher abgelegten Eid“ auch der bei der Angelobung von Bundeskanzler Kurz  abgelegte Amtseid zu verstehen. Konkret gelobte er nach Art. 72 BVG, „alle Gesetze der Republik Österreich getreulich zu beobachten und die mit Ihrem Amte verbundenen Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen“. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Bundeskanzler Kurz die religiöse Beteuerungso wahr mir Gott helfe“ hinzufügte.

Sebastian Kurz schwor bei der Angelobung. Das könnte für die Anklage wegen Falschaussage erschwerend wirken. Foto: BKA/Jakob Glaser

Es ist in der Lehre nicht klar, welche Auswirkungen ein derartiger Zusatz hat. Man könnte den „religiösen Zusatz“ als Einschränkung interpretieren, frei nach dem Motto: „Natürlich werde ich mich bemühen, die Gesetze einzuhalten, aber garantieren kann er für nix. Aber ich verlasse mich auf Gott!“ Zumindest wird man annehmen können, dass Bundeskanzler Kurz seine religiöse Überzeugung zum Ausdruck bringen wollte. Zu den Grundsätzen der katholischen Kirche gehören die Einhaltung der 10 Gebote. Das 8. Gebot lautet „du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen gegen Deinen Nächsten“. 

Zurückkommend zum Strafgesetzbuch muss auf jeden Fall festgestellt werden, dass von einem Amtsträger, der einen Eid auf die Einhaltung der Gesetze ablegte, eine höhere Sorgfaltspflicht im Umgang mit der Wahrheit erwartet werden muss, als bei einer nicht beeideten Person.

Grundlage der Bemessung der Strafe ist die Schuld des Täters

Bei der Bemessung der Strafe hat das Gericht die Erschwerungs- und Milderungsgründe gegeneinander  abzuwägen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters zurückzuführen ist. Ein besonderer Milderungsgrund ist es, wenn der Täter  bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit  seinem sonstigen Verhalten in Widerspruch steht.

Ob ein bedingter Vorsatz vorliegen könnte, muss also auch das bisherige Aussageverhalten von Sebastian  Kurz in der Öffentlichkeit mit ins Kalkül gezogen werden. Verschiedene Faktenchecks belegen, dass Bundeskanzler Kurz in der Vergangenheit nachweislich mehrfach die Unwahrheit sagte. Auch die beiden gegen ihn erwirkten Einstweiligen Verfügungen des Handelsgerichts Wien (2017 behauptete Kurz, dass Hans Peter Haselsteiner der SPÖ 100.000 Euro gespendet habe. 2019 machte er den ehemaligen SPÖ-Berater Thal Silberstein als Urheber des „Ibiza Videos“ aus. Beide Unwahrheiten wurden ihm gerichtlich untersagt, Anm.) werden wohl nicht als Milderungsgrund angesehen werden, sondern lassen vielmehr  den Schluss zu, dass Bundeskanzler Kurz  eine gegenüber dem rechtlich geschützten Wert der Wahrheit eine ablehnende oder gleichgültige Einstellung im Sinne des § 32 STGB hat. Ob dies auf die Beurteilung des nun vorliegenden Vorwurfs Auswirkungen haben könnte und in einem Strafverfahren berücksichtigt werden muss, überlasse ich natürlich gerne den Anklägern und dem/r erkennenden Richter oder Richterin.

Prof. Dr. Walter Neumayer

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1710 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1710 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 457 Stimmen
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    457 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 362 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    362 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 277 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    277 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 138 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    138 Stimmen - 5% aller Stimmen
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12. März 2024
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