Die Verdachtslage ist gewaltig, die sich im Ibiza-Untersuchungsausschuss auftut. Wichtige Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft beklagen, in laufenden Ermittlungen zur Ibiza-Affäre von der Polizei geschnitten zu werden – besonders dann, wenn es um die ÖVP geht. So übermittelt die zuständige Polizei-Einheit „Soko Tape“ wichtige Beweisstücke so verändert an die Korruptionsanwälte, dass man den Namen „Kurz“ nicht mehr lesen kann.
Die Sonderkommission im Innenministerium sollte eigentlich der Korruptionsstaatsanwaltschaft zuarbeiten und ihre Ermittlungsergebnisse zur Verfügung stellen. Doch die Soko gilt als ÖVP-nahe. Es kommt immer wieder zu Vorfällen, die den Verdacht nahelegen, dass diese Einheit darauf bedacht ist, der ÖVP bei ihren Ermittlungen nicht zu schaden. Ein Zeuge im U-Ausschuss, Oberstaatsanwalt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Matthias P., berichtet am Dienstag detailliert über Probleme solcher Art. Matthias P. leitet die Casino-Ermittlungen in der WKStA.
So lag das Ibiza-Video in Langfassung der Soko Tape und dem Innenministerium sechs Wochen lang vor, bis es auch den Korruptionstaatsanwälten übergeben wurde. Dass die Ermittler das Video sichergestellt haben, erfuhr P. überhaupt nur aus den Medien und nicht von seinen Kollegen bei der Polizei.
„Man hätte uns berichten müssen, dass es da ist“, sagte P. „Es war brüskierend, dass wir davon aus den Medien erfahren.“
Andreas Holzer von der Soko Tape berichtet im Ausschuss sogar, dass die Polizei mehrere Videos sichergestellt hat – Videos vor und nach der legendären Nacht mit Strache, Gudenus und der falschen Oligarchen-Nichte auf Ibiza. „6, 7, 8 oder 10“, so viele weitere Videos soll es laut Holzer geben, die insgesamt rund „drei, vier oder fünf Stunden“ dauern. In den Videos seien im wesentlichen die gleichen Personen zu sehen. Ob auch andere relevante Personen in den Videos auftauchen, wissen bis jetzt weder Staatsanwaltschaft Wien, noch die Korruptionsanwälte, noch das Parlament – denn keiner von ihnen hat diese Videos bekommen, obwohl die seit 20. April bei der Soko liegen. Die Videos seien noch nicht fertig ausgewertet, sagt Holzer.
Dazu kommt der Vorwurf, dass die Ermittler der Soko Tape den Korruptionsanwälten heikle Unterlagen in unleserlicher Form schickten – die im Original aber gut lesbar waren. Ein besonders brisanter Fall ist da eine Notiz von Raiffeisen-Generalanwalt und Casino-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner, in der der Name „Kurz“ unleserlich gemacht wurde. „Da hat es uns die Augen rausgehaut“, sagt P. und zeigt einen Auszug aus Rothensteiners Aufzeichnungen mit schwarzen Schatten.
Konkret geh es um einen Scan einer Notiz von Rothensteiner. Die Soko scannte die handschriftliche Notiz so ein, dass ein schwarzer Schatten Teile verdeckt. „Alte Scanner, schlechte Qualität“, heißt es aus der Soko. Unter dem Schatten wären aber die Worte „Pröll redet mit Kurz“ zu lesen gewesen. Die Notiz stammt aus dem Oktober 2018 – es ging um die Idee, die Casinos Austria in eine Holding umzuwandeln und um die umstrittene Vorstandsbesetzung. Die WKStA verlangte, das ganze Dokument im Original zu sehen – und hat erst durch Nachfragen erfahren, dass genau im unlesbaren Teil Bundeskanzler Kurz vorkam. Hätten die Korruptionsanwälte nicht nachgefragt, wäre es zum Verlust eines wichtigen Beweismittels gekommen, hält P. in einer Aktennotiz fest.
„Bauchweh“ habe er dabei bekommen, sagt P. im Ausschuss. Der Soko-Chef Holzer kann sich das nicht erklären und meint, dass auch das lesbare Dokument übermittelt worden sei. Doch auch das Notizbuch von Johann Gudenus und der Kalender von Novomatic-Chef Johannes Graf sind zum Teil unleserlich an die Korruptionsanwälte übermittelt worden. So konnte man im Gudenus-Notizbuch genau jene Stellen nicht mehr lesen, wo er Passwörter notiert hat. Auch auf eine Nachschau in der ÖVP-Zentrale nach der Schredderaffäre hätten die Kriminalbeamten der Soko Tape verzichtet.
Weil man Kurz-Chefberater Stefan Steiner beim Portier getroffen habe, ist man davon ausgegangen: Es wird ohnehin bereits alles weg sein. Pierer und der Einsatzleiter kennen sich zudem. Und dieser hat den Einsatz nach der Begegnung abgeblasen.
Der Soko Chef sagt im Ausschuss, die Kriminalbeamten haben in der Schredder-Affäre nach den Vorgaben der zuständigen WKStA-Staatsanwältin gehandelt. Die wiederum kritisiert laut Akten aber das Vorgehen der Soko in der Schredderaffäre scharf: Keine Hausdurchsuchung und weder das Handy noch der Computer jenes ÖVP-Mannes wurde beschlagnahmt, der die Akten im Bundeskanzleramt geschreddert hat.
Wo es die ÖVP treffen könnte, da soll nicht so genau hingeschaut werden – der Eindruck ergibt sich aus der Befragung des Oberstaatsanwalts durch die Korruptionsermittler. Die Korruptionsanwälte forderten die Kriminalbeamten der Soko schlussendlich auf, ihre Parteimitgliedschaften offen zu legen – so könnte eine Befangenheit und Nähe zur ÖVP ausgeschlossen werden. Über einen Ermittler ist bekannt, dass er Mitglied der ÖVP in Niederösterreich ist. Doch die Soko verweigerte die Offenlegung, wertete die Anfrage als Affront und Misstrauensbeweis, wie Florian Klenk im aktuellen Falter berichtet.
„Österreich ist wie eine Autodromfahrt. Nur ein beschränkter Personenkreis hat Einwurfmünzen, um mitspielen zu können“, beschreibt der Heute-Journalist Nusser die Schieflagen bei den Ermittlungen.
Auch der Krone-Journalist Claus Pandi schreibt auf Twitter, dass hier „Schicht um Schicht ein System seziert“ wird, das tief blicken lässt. Wenn sich der Vorwurf der absichtlichen Verfälschung der Beweismittel erhärtet, um ÖVP-Politiker zu schützen, wäre das ein österreichisches Watergate, sagen Beobachter im U-Ausschuss.
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