Österreich soll vom Cum-Ex-Steuerbetrug stärker betroffen sein als bisher bekannt. Dabei holen sich Aktien-Händler Steuern vom Staat zurück, die sie gar nicht bezahlt haben. Europaweit geht man von 55 Milliarden Euro Schaden aus. Doch statt „Jagd auf Steuerbetrüger“ lässt Kickl über die Kronen Zeitung am nächsten Tag ankündigen: „Spezialeinheit von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) macht jetzt Jagd auf Sozialbetrug“. Während man bei den Ärmsten genau schaut, ob sie nicht ein paar Euro zuviel bekommen, werden Unternehmer kaum noch kontrolliert. Ganz im Gegenteil: Bei ihnen werden Kontrollen und Strafen abgebaut – obwohl es um Milliarden geht. Ein Überblick.
Nach aktuellen Berichten von Reuters und Addendum ist das Ausmaß des Betrugs durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte deutlich größer als bisher zugegeben. Laut Rechnungshof hat das Finanzministerium jahrelang bessere Kontrollen zu Cum-Ex-Geschäften verabsäumt. Um wieviel Geld österreichische Steuerzahler durch solche Geschäfte betrogen wurden, macht das Finanzministerium trotz parlamentarischer Anfrage nicht transparent.
Das Prinzip der Cum-Ex-Geschäfte ist einfach: Aktienkäufer holen sich die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mit Hilfe ihrer Bank mindestens zweimal zurück. Möglich war das, weil sie rund um den Dividenden-Stichtag Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch rasch zwischen mehreren Beteiligten hin und her verkauft haben.
„Diese ließen die Papiere untereinander zirkulieren, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie überhaupt gehörten,“ deutscher Presseagentur dpa.
Dadurch sind dem Fiskus in Deutschland nach Angaben des Finanzministeriums mehr als fünf Milliarden Euro entgangen, bevor die Gesetzeslücke 2012 geschlossen wurde. Europaweit summiert sich der Schaden auf über 55 Milliarden Euro. Offizielle Schadensummen für Österreich aus dem Finanzministerium gibt es nicht, doch die beiden Medien News und Addendum schätzen den Schaden auf 50 bis 100 Millionen Euro.
Ein Insider sagt zu Addendum: „Die meisten Trader hatten den Eindruck, Österreich ist einfach verschlafen. Das waren Jäger, Tiger, blutrünstige Tiere. Für die war Österreich nicht einmal ein Frühstück.“
Und was macht die österreichische Bundesregierung am Tag nach den Enthüllungen? Sie fordert ein strengeres Vorgehen – aber nicht gegen Steuerbetrüger, sondern gegen Arme, die Sozialleistungen empfangen.
Statt klaren gesetzlichen Regelung gegen Cum-Ex-Geschäfte, kündigt Kickl medienwirksam an: Polizisten in Ordinationen, die E-Cards kontrollieren. Polizisten am AMS, die Notstandshilfebezieher begleiten und kontrollieren, ob sie auch wirklich gar nichts mehr besitzen.
Ab Jänner 2019 wird es in allen Bundesländern eigene Ermittlungsteams geben, die vermeintliche „Sozialbetrüger“ finden sollen – also Menschen, die Sozialleistungen beziehen ohne ausreichend Anspruch darauf zu haben. Und die Regierung stellt auch gleich klar: Auf Unternehmen zielt die Aktion nicht ab.
Das alles passt ins Bild. Obwohl die großen Summen bei Sozialbetrug auf Unternehmerseite liegen, schwächt die ÖVP-FPÖ-Regierung die Kontrollen und reduziert die Strafen. Interesse an zahnlosen Regeln haben vor allem große Unternehmen, die Lohn- und Sozialdumping betreiben wollen. Und auf die scheint die Regierung zu hören:
Konkret geht es darum: Seit 1.1. 2017 ist das Anti-Lohndumping-Gesetz in Kraft. Damit wird geprüft, ob Beschäftigte nach der richtigen Gehaltsstufe bezahlt werden und ob sie auch alle Zulagen, Zuschläge oder Sonderzahlungen bekommen, die ihnen zustehen. Und es wird geprüft, ob sie in Scheinselbständigkeit gedrängt werden.
Für die Unternehmer bedeutet Scheinselbständigkeit, den Staat um Steuern und Sozialversicherung zu betrügen und weder Kündigungsfristen, Urlaubsansprüche noch Krankenstände einplanen zu müssen. Gerade in der Baubranche passiert das oft.
Derzeit wird etwa eine Klage gegen einen Bauunternehmer erhoben: Um 5,72 Millionen Euro soll er die Wiener Gebietskrankenkasse über Subunternehmen und Scheinselbständigkeit betrogen haben. 2.840 Bauarbeiter sind die Geschädigten.
Wenn die Gebietskrankenkasse (GKK) in Unternehmen geprüft hat, durfte sie alle Dienstverhältnisse des Unternehmens überprüfen – nicht nur die der Angestellten. Wurde jemand als freier Dienstnehmer oder über einen Werkvertrag beschäftigt, obwohl in Wahrheit ein normales Angestelltenverhältnis bestand, hat die Gebietskrankenkasse eine andere Zuordnung vorgenommen. Damit war in fast allen Fällen eine höhere Sozialversicherung und damit höhere Leistungsansprüche für die ArbeitnehmerInnen verbunden. Ein Beispiel:
Wurde jemand 100 Euro pro Monat unter Kollektivvertrag entlohnt, bedeutet das in 5 Jahren 7.000 Euro Einkommensverlust. Der Unternehmer hat rund 3.000 Euro weniger an Beiträgen in die Sozialversicheurung geleistet. Der Arbeitnehmer hat damit ein Leben lang 10 Euro weniger Pension.
Mit dem Umbau der Krankenkassen werden die ca. 300 Prüfer der GKK ins Finanzministerium übersiedelt. Dort werden ihre Kompetenzen beschnitten. Sie dürfen nur mehr die Versicherten der Österreichischen Gesundheitskasse – ÖGK (ehemaligen Gebietskrankenkassen) kontrollieren – also die offiziell Angestellten.
Die Selbständigen – und auch Scheinselbständigen – überprüft dann die Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS). Diese wird von Unternehmern verwaltet, und müsste, im Falle einer anderen Zuordnung, Versicherte der SVS der ÖGK übergeben. Der Zentralbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse, Michael Aichinger, sagt zum Standard:
Die Beitragsprüfung von der Sozialversicherung zur Finanz zur verlagern, wird auch vom Rechnungshof kritisiert. Die Prüfer sehen das „Risiko, dass die spezifischen Interessen der Sozialversicherung nicht ausreichend berücksichtigt werden“. Die Statistik zum Lohn- und Sozialdumpinggesetz zeigt, dass bis Juni 2018 1.196 Anzeigen wegen Unterentlohnung erstattet wurden. Von diesen 1.196 Anzeigen kommen lediglich 108 (oder 9 Prozent) von den Finanzprüfern. 91 Prozent wurden also von den Gebietskrankenkassen festgestellt.
Streicht man die Prüfung durch die Krankenkassen bringt das einen finanziellen Schaden für Arbeitnehmer in der Höhe von 8,4 Millionen Euro.
Bisher haben die Sozialversicherungsträger und die Finanzpolizei die Kontrolle der Löhne und Sozialabgaben aufgeteilt. Die Sozialversicherungsträger haben die Betriebe stichprobenartig hinsichtlich der SV-Abgaben überprüft. Dabei wurden auch die Höhe der Löhne und Gehälter kontrolliert.
Die SV-Träger haben so auch den Personalmangel bei der Finanzpolizei ausgeglichen: Die kann ihr Plansoll bei Betriebsprüfungen ohnehin nicht einmal zu Hälfte erfüllen, weil der Personalstand so niedrig ist. Doch Finanzminister Löger wird nur noch jede dritte Planstelle im öffentlichen Dienst nachbesetzen. Das bedeutet: Schon im nächsten Jahr gibt es 230 Finanzbeamte weniger. Unterm Strich gibt es zukünftig also weniger Beamte für mehr Arbeit. Besonders kurzsichtig dabei ist, dass laut Rechnungshof ein Finanzbeamter ca. das 14 bis 30-Fache seiner Lohnsumme einbringt.
ÖVP und FPÖ haben die Strafen für die falsche Anmeldung bei der Sozialversicherung praktisch gestrichen. Wer seine Mitarbeiter verspätet oder mit zu niedrigem Einkommen anmeldet, um Beiträge zu hinterziehen, zahlt pauschal 855 Euro. Egal, ob eine Tischlerei mit 9 Mitarbeitern oder ein Unternehmen mit 1.000 Angestellten.
Ein Fall aus der WGKK: Der Betrieb mit 5.000 Mitarbeitern hat eine hohe Mitarbeiterfluktuation. Das Unternehmen meldet rund 500 Mitarbeiter pro Monat an- bzw. ab und begeht dabei regelmäßig Meldeverstöße. Wenn dieses Unternehmen diese 500 Mitarbeiter zu früh oder zu spät abmeldet, würde es derzeit 500 mal 100 Euro, also 50.000 Euro an Säumniszuschlägen bezahlen. In Zukunft sind es nur mehr 855 Euro.
Der ursprünglichen Entwurf der Regierung pauschalisiert auch Anmeldungverstöße. Nach heftiger Kritik sind diese nun ausgenommen, nicht ausgenommen und damit weiterhin mit 855 Euro gedeckelt sind:
Und nicht nur bei den SV-Beiträgen, auch bei der Einhaltung des Arbeits- und Sozialrechts werden die Strafen auf ein lächerliches Niveau heruntergefahren: Statt einer Strafe pro Arbeitnehmer will die Regierung eine Strafe pro Unternehmen. Unabhängig davon, wie viele Menschen betroffen sind.
Das heißt:
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