Stephan Schulmeister ist einer der wichtigsten Ökonomen Österreichs. Mit Kontrast sprach er über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Corona. Er erklärte, wie wir aus der Krise kommen können und was wir daraus lernen sollten. Hier seine wichtigsten Aussagen zusammengefasst. Das ganze Interview gibt es als Video auf unserem Youtube-Kanal oder als Podcast zu nachhören.
Nach den jetzigen Entwicklungen ist eigentlich klar: Die kommende Krise wird die größte Krise der letzten 150 Jahre, weil mehrere Faktoren zusammenfallen. Durch den Corona-Virus und seine Bekämpfung wird eine große Zahl von sozialen Dienstleistungen gestoppt – also alles, was wir gemeinsam mit anderen konsumieren. Ob wir auf Urlaub fahren, ins Gasthaus gehen, einkaufen oder ins Fitnesscenter gehen. Alle diese Aktivitäten sind jetzt mal gestoppt. Das führt natürlich zu einer unglaublichen Verunsicherung.
Der zweite Faktor ist, dass die Menschen sehen, dass die Aktienvermögen und damit auch Pensionsanwartschaften (Pensionsfonds etc.) im Sinkflug sind. Der Wert des ATX hat schon 50 Prozent verloren.
All das verunsichert die Leute und wird die Bereitschaft der Leute, sich langlebige Konsumgüter anzuschaffen, radikal reduzieren.
Hier gibt es also eine Ähnlichkeit zur Finanzkrise 2008. Das wird uns aber noch schärfer treffen aufgrund der spezifischen Folgen des Corona-Virus und seiner Bekämpfung. Außerdem kommt noch etwas hinzu, das vielleicht auf den ersten Blick nicht so gravierend erscheint: der unglaubliche Verfall des Ölpreises. Denn das wird bedeuten, dass exportorientierte Volkswirtschaften mit radikal reduzierten Exporten rechnen müssen.
Es gibt drei Brandbeschleuniger, die unbedingt gestoppt werden müssen. Das ist die Angst der Menschen vor der Zukunft. Man muss jetzt beruhigende Botschaften schicken. Das ist zweitens die drohende Massenarbeitslosigkeit und das sind drittens Unternehmenspleiten.
Diese drei Faktoren hat die Regierung schon teilweise bekämpft, wie zum Beispiel mit dem Kurzarbeitsmodell. Hier könnte man jedoch weiter gehen und die Unternehmen sogar von dem relativ kleinen Beitrag, den sie noch für ihre in Mitarbeiter in Kurzarbeit leisten müssen, befreien. Weil man damit den moralischen und politischen Druck auf die Unternehmen verstärken würde, ihre Mitarbeiter nicht zu entlassen.
Außerdem braucht es konkrete Maßnahmen für die Zehntausenden kleinen Unternehmen, die in den nächsten Monaten mit bis zu 100-prozentigen Einnahmeausfällen rechnen müssen. Das könnte man ähnlich wie beim Arbeitslosengeld gestalten.
Nein.
Wichtig ist, dass wir aus der Finanz-Krise 2008 lernen und die Budgets nicht durch Kürzungen im Sozialbereich sanieren. Stattdessen sollte man den enormen Finanzierungsbedarf durch einen europäischen Transformationsfonds decken. Also eine Finanzierungsinstanz, die die Unterstützung der Europäischen Zentralbank hat und sich über sie finanziert. Denn wenn wir einen Bedarf an Finanzmittel von 300 bis 500 Milliarden Euro haben, könnte man sich das auch gar nicht so einfach über den Finanzmarkt besorgen. Dieses Geld soll aber nicht nur zur akuten Krisenbewältigung verwendet werden. Die Krisenbekämpfung soll gleichzeitig die Weichen in eine andere Zukunft stellen.
Wir brauchen für die Zeit nach der Krise massive Investitionsprogramme in die Verbesserung der langfristigen Lebensbedingungen. Das ist natürlich die systematische Bekämpfung der Erderwärmung.
Das könnte man druch Maßnahmen wie etwa, der Sanierung des gesamten Gebäudebestandes oder dem Schaffen eines Netzes von Hochgeschwindigkeitszügen als Ersatz für das Fliegen in Europa schaffen.
Nicht nur wegen der Corona-Krise wird China die nächste Wirtschaftsmacht. Das hat der Wirtschaftshistoriker Giovanni Arrighi schon Anfang der 90er Jahre vorausgesagt. Er hat auch eine weitere richtige Prognose abgeben: Wir sind in einer Phase in der die Spannungen in der Welt größer werden, weil China der wirtschaftliche Hegemon werden wird, der militärische wird aber weiterhin die USA bleiben. Und dort, wo der wirtschaftliche Hegemon und der militärische auseinanderfallen, da gibt’s Bresln, auf gut wienerisch gesagt.
Das China besser aus der Krise kommt, hat auch teilweise mit Jahrhunderte alten Traditionen zu tun. Die chinesische Philosophie ist sehr stark darauf orientiert, Polaritäten als Ganzes zu begreifen. Eine dieser Polaritäten ist z. B. das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft. Bei uns hat sich der Neoliberalismus durchgesetzt, der das eine gegen das andere ausgespielt hat. Bei uns galt das Credo „mehr privat weniger Staat“ sei gut. Das ist ein Gedanke, der der chinesischen Tradition völlig zuwiderläuft. Die Chinesen gehen eher in eine Richtung, die wir auch in Europa in der Zeit der echten sozialen Marktwirtschaft hatten. Nämlich:
Ein starker Sozialstaat und eine effiziente Marktwirtschaft sind überhaupt keine Gegensätze, sondern können sich sehr gut ergänzen. Auch in Skandinavien dominiert noch diese Art es Denkens und ich bin ganz sicher, dass jene Gesellschaften, die das weiterhin pflegen in der kommenden Krise besser abschneiden werden.
Man muss jetzt einige Leitlinien ziehen. Zum einen muss echtes Unternehmertum wieder bessergestellt werden als Finanzspekulationen. Die Unternehmer müssen endlich begreifen:
Der Neoliberalismus ist der die Ideologie des Finanzkapitals und nicht im Interesse der Unternehmer.
Die zweite Leitlinie muss die Ökologisierung unseres Wirtschaftssystems sein.
Und der dritte Punkt ist eine bessere Balance zwischen dem Individuellen und dem Sozialen. Das bedeutet eine Stärkung des Sozialstaates in allen Bereichen. Insbesondere bei der Bildung, bei Kindern mit Migrationshintergrund, und bei der Altenpflege. Wenn wir das schaffen, dann wird die Realwirtschaft besser laufen und auch der soziale Zusammenhalt wird gestärkt werden.
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