Neue Daten der Europäischen Zentralbank zeigen: In kaum einem anderen Land der Eurozone ist Vermögen so ungleich verteilt wie in Österreich. Nur in Lettland ist die Verteilung noch ungerechter. Wir haben mit dem Ökonomen und Verteilungsexperten Matthias Schnetzer darüber gesprochen, wieso die Verteilung gerade in Österreich so ungleich ist und wie man für mehr Gerechtigkeit sorgen kann.
Kontrast: Die Europäische Zentralbank hat gemeinsam mit den Nationalbanken der Euro-Mitgliedstaaten eine neue Datenbank zur Vermögensverteilung veröffentlicht. Wie schneidet Österreich im Vergleich zu anderen Euro-Ländern ab?
Matthias Schnetzer: Österreich hat gemessen am Vermögensanteil der Top 5 Prozent die zweithöchste Vermögenskonzentration in der Eurozone. Der neuen Statistik zufolge besitzen die reichsten 5 Prozent etwa 59 Prozent des gesamten Haushaltsvermögens von rund 2 Billionen Euro. Dieser Anteil ist im Verlauf der 2010er Jahre sogar noch leicht angestiegen. Ganz überraschend sind diese Ergebnisse allerdings nicht, denn schon in den bislang verfügbaren Daten war Österreich ein Schlusslicht bei der Vermögenskonzentration.
Kontrast: Schon vor der neuen EZB-Datenbank hat es Daten zur Vermögensverteilung in Europa gegeben. Was macht die neue Datenbank so besonders?
Matthias Schnetzer: Bisher haben die Nationalbanken Vermögen in einer freiwilligen Haushaltserhebung namens HFCS (steht auf Deutsch für: Erhebung zu Finanzen und Konsum der privaten Haushalte) abgefragt. In diesen Daten fehlten aber die sehr reichen Haushalte, was zu einer Unterschätzung des Gesamtvermögens und auch der Ungleichheit führte. Vereinfacht gesagt, werden bei den neuen Daten die reichen Haushalte hinzugeschätzt und das Gesamtvermögen mit Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) abgeglichen. Dadurch erhalten wir ein umfassenderes Bild von der Vermögensverteilung.
@kontrast.at Die TOP 10 der reichsten Österreicher:innen. Sie besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens in Österreich. 7 von 10 haben ihren Reichtum geerbt. Was hältst du davon, dass so wenig Menschen so viel Geld besitzen? Quelle: https://kontrast.at/reichste-menschen-oesterreich/ #fyp #geld #vermögen #vermögensaufbau #reich #reichwerden #millionär #milliardär #millionärmindset #wirtschaft #österreich #österreich ♬ Originalton – Kontrast
Ein weiterer Vorteil ist, dass für die Forschung nun längere und aktuellere Datenreihen zur Verfügung stehen und nicht mehr nur punktuelle Informationen aus den bislang durchgeführten HFCS-Erhebungen. Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings, dass über die oberste Spitze der Verteilung, also etwa zum Top 1 Prozent, keine Daten veröffentlicht werden, denn die Datenbank weist höchstens Werte zu den Top 5 Prozent aus.
Kontrast: Einkommen sind in Österreich im EU-weiten Vergleich verhältnismäßig gerecht verteilt. Wie kommt es dann dazu, dass Vermögen so ungleich verteilt ist?
Matthias Schnetzer: Eigentlich würde man annehmen, dass es einen starken Zusammenhang zwischen Einkommen und Vermögen gibt, denn letzteres entsteht ja auch durch Ersparnisse aus dem Einkommen. Dennoch unterscheiden sich die Verteilungsmaße zwischen Einkommen und Vermögen beträchtlich.
Studien zeigen, dass ein wichtiger Grund dafür die ungleiche Verteilung von großen Erbschaften ist, die von Nicht-Erb:innen durch Arbeitseinkommen nicht mehr aufgeholt werden können.
Außerdem werden in Österreich die Einkommen über das Steuersystem kräftig umverteilt und die Ungleichheit reduziert. Es gibt allerdings kaum vermögensbezogene Steuern, weder Vermögens- noch Erbschaftssteuern, und somit auch keine umverteilende Wirkung durch das Abgabensystem bei Vermögen.
Kontrast: Wieso ist es ein Problem, dass Vermögen in Österreich so ungleich verteilt ist?
Matthias Schnetzer: Zum gesellschaftlichen Problem wird die Vermögensungleichheit dann, wenn sie negative Begleiterscheinungen mit sich bringt. Etwa wenn große Vermögen für politische Einflussnahme eingesetzt werden und die Demokratie in Schieflage bringen. Oder wenn Lebensstil und Mobilitätsverhalten sehr reicher Personen die Klimakrise vorantreiben.
Oder wenn soziale Polarisierung entsteht, weil große Teile der Bevölkerung an Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zweifeln. Es gibt zahlreiche Studien zu den Nebenwirkungen von Vermögenskonzentration auf Gesellschaft, Klima und Demokratie.
Kontrast: Was kann man gegen die Konzentration des Vermögens tun?
Matthias Schnetzer: Ein komplexes Problem erfordert eine Palette an unterschiedlichen Maßnahmen, auch wenn in der politischen und medialen Diskussion oft Steuern auf sehr hohe Vermögen im Fokus stehen. Diese können dazu dienen, die Vermögensschere zu verringern und gleichzeitig das öffentliche Vermögen, also die sozialen Dienstleistungen für alle Menschen, zu stärken. Auch wenn durch hohe Freibeträge nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung von der Steuer betroffen wäre, können Steuereinnahmen von mehreren Milliarden Euro erwartet werden, die für Pflege, Kinderbetreuung oder eine aufkommensneutrale steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit aufgewendet werden könnten.
Erbschaftssteuern würden zudem die Verfestigung bestehender Ungleichheiten über Generationen hinweg abmildern. Zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie, zur Förderung von Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit, zum Ausbau sozialstaatlicher Leistungen sowie zur Bekämpfung der Klimakrise sollten ebenfalls mit Blick auf bestehende Vermögensungleichheiten ausgestaltet werden.
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