4-Tage-Woche

Kürzer arbeiten macht uns gesünder und schützt die Umwelt. Sagt die Ökonomin und Soziologin Juliet Schor

Weltweit sinkt der CO2-Verbrauch im Corona-Jahr zwar um wenige Prozente, der Klimawandel bleibt aber eine der größten Bedrohungen für unser Zusammenleben. Die Ökonomin und Soziologin Juliet Schor beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, wie die Klimakrise mit der Arbeitszeit zusammenhängt. Das Ergebnis: Wenn wir klimaneutral leben wollen, müssen wir die Produktivitätsgewinne in Freizeit für die ArbeitnehmerInnen umwandeln.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit Arbeit, Konsum und Klima aus wissenschaftlicher Sicht. Was haben Sie in Ihren Studien herausgefunden?

Ich habe eine Reihe von Arbeiten darüber verfasst, dass Volkswirtschaften mit langen durchschnittlichen Arbeitszeiten tendenziell höhere Kohlenstoffemissionen haben. Ich habe Studien über die USA sowie global durchgeführt.

Wir haben festgestellt, dass Staaten mit längeren Arbeitszeiten höhere Emissionen haben – auch, wenn andere Faktoren gleich sind.

Juliet Schor im Online-Gespräch.

Wie erklären Sie sich diesen Zusammenhang?

Es gibt zwei Gründe, warum mehr Arbeitsstunden zu mehr Emissionen führen. Erstens: Volkswirtschaften generieren ständig Produktivitätswachstum, mit dem man zwei Dinge tun kann. Man kann entweder gleich viel arbeiten und dabei mehr produzieren, oder aber gleich viel produzieren und dabei weniger Stunden arbeiten. Eine Wirtschaft mit kürzeren Arbeitszeiten nutzt einen Teil des Produktivitätswachstums, um die Arbeitszeit zu reduzieren, anstatt mit maximaler Geschwindigkeit zu produzieren. Eine Volkswirtschaft mit langen Arbeitszeiten neigt dazu, in maximalem Umfang zu produzieren. Und das bedeutet auch mehr Emissionen.

Es gibt noch einen zweiten Zusammenhang, den ich den „entscheidungsorientierten Effekt“ nenne. Es geht dabei darum, wie die einzelnen Haushalte Entscheidungen treffen, was sie tun und wie sie dabei vorgehen. Die grundlegende Erkenntnis ist:

Haushalte mit wenig Freizeit und langen Arbeitszeiten neigen dazu, Dinge auf teurere und vor allem kohlenstoffintensivere Weise zu tun.

Ein zeitgestresster Haushalt wird sich eher für schnellere Fahrten entscheiden. Sie nehmen seltener öffentliche Verkehrsmittel, sondern eher das Auto oder machen einen Kurzurlaub mit dem Flugzeug.

Die Reichsten 10% verursachen 52% der CO2-Emissionen

Laut Oxfam-Studie sind die reichsten zehn Prozent (630 Millionen Menschen) für mehr als die Hälfte des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das reichste Prozent (63 Millionen) allein hat 15 Prozent des CO2 verbraucht, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur für sieben Prozent verantwortlich ist. Zum Artikel.

Man könnte annehmen, dass mit der mehr Freizeit auch die Emissionen steigen, weil man z.B. mehr Zeit für Flugreisen hat. Stimmt das also nicht?

Es stimmt. Wenn Sie mehr Zeit haben, können Sie mehr reisen. Aber es spielt auch immer das Verhältnis von Zeit und Einkommen eine Rolle. Ja, man kann mehr reisen, aber es ist unwahrscheinlich, dass man die Reisen mit hohem CO2-Verbrauch macht, weil es die teureren Reisen sind. Unterm Strich haben Reisen aufgrund von mehr Freizeit die anderen CO2-sparenden Faktoren nicht aufgewogen.

In Österreich gibt es doppelt so viele Menschen, die nicht fliegen, wie solche, die mehrmals im Jahr fliegen. Mehr dazu auf der Seite des VCÖ.

Meinen Sie, dass es im Sinne einer CO2-neutralen Wirtschaft sinnvoll wäre, wenn Menschen weniger Geld haben?

Je weniger Geld die Menschen haben, desto weniger Kohlenstoff-Emissionen gibt es. Denn die Kohlenstoff-Emissionen sind immer noch ziemlich eng mit dem BIP verbunden. Je mehr Produktion, desto mehr Emissionen.

Meine Vision ist nicht, dass die Leute „weniger Geld“ haben. Es geht darum, dass wir den Menschen nicht mehr Kaufkraft geben, sondern mehr Freizeit. Ein Programm, das den Menschen etwas wegnimmt, wird keinen Erfolg haben.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Geld und Zeit. Er besteht darin, dass Zeitzuwächse im Allgemeinen zu mehr Wohlbefinden führen, während das bei Geldzuwächsen nicht immer der Fall ist. Wenn wir etwas zum siebten, achten, neunten Mal kaufen, macht uns weniger glücklich als die ersten zwei Mal. Es gibt natürlich wichtige funktionale Vorteile, wie z.B. eine Klimaanlage im Auto. Aber wenn das Auto einfach nur schicker wird – dann hält man einfach nur mit.

Es gibt aber auch Menschen, die auf einen Teil ihres Einkommens für mehr Freizeit verzichten würde. Das ist die Gruppe der gut bezahlten, viel arbeitenden Berufstätigen mit Familie. Sie bilden eine Ausnahme von der Annahme, dass niemand auf sein Geld verzichten möchte.

Juliet Schor ist überzeugt: Wer mehr arbeitet, verbraucht tendenziell mehr CO2.

Entscheiden sich Menschen mit mehr Freizeit bewusst für einen umweltfreundlicheren Lebensstil?

Ich glaube, dass nur für wenige ökologische Gründe ausschlaggebend für ihr Verhalten sind. Viele handeln es aufgrund anderer Zwecke. Bio-Lebensmittel kaufen Menschen beispielsweise vor allem wegen des gesundheitlichen Nutzens. Sie denken nicht unbedingt an die Vorteile für die Umwelt.

Wenn wir in Zukunft CO2-neutral leben wollen, ist es nicht so wichtig, warum die Menschen so handeln, sondern dass sie so handeln.

Sie werden immer mehrere Motive haben. Manchmal tun die Leute es einfach, weil ihre Nachbarn oder Freunde es auch tun. Manchmal muss man nur damit anfangen, und andere Menschen werden es nachmachen.

Gibt es ein Best-Practice-Land gibt, von dem wir lernen können?

Eine Reihe von nordeuropäischen Ländern hat wirklich viel getan. Deutschland hat beispielsweise die Arbeitszeit reduziert und große Fortschritte bei den Emissionen und der gesamten Energieübertragung gemacht hat. Auch in Österreich wurden die Arbeitszeiten reduziert.

In den Niederlanden gab es ab 1980 jahrelang eine massive Rezession, Reallöhne stagnierten ziemlich und sie hatten sehr hohe Produktivitätszuwächse. Diese wurden in kürzere Arbeitszeiten umgewandelt, damit die Beschäftigung stabil bleibt. Alle neuen Regierungsangestellten und Angestellten im Finanzsektor gingen zur Vier-Tage-Woche über. Schließlich wurde ein Gesetz verabschiedet, das allen Angestellten das Recht auf Arbeitsverkürzung gab. So konnten sie ihre Arbeitszeiten reduzieren, ohne ihren Job wechseln zu müssen. In dieser Zeit haben die Niederlande große Fortschritte bei der Arbeitszeitverkürzung gemacht. Zusammen mit Deutschland sind sie in diesem Feld führend in Europa und der Welt.

Sie haben ihren Produktivitätszuwachs gegen kürzere Arbeitszeiten eingetauscht und diese gleichmäßiger in der Bevölkerung verteilt.

Glauben Sie, dass wir durch Corona eine Chance bekommen, die Gesellschaft in Richtung kürzere Arbeitszeiten und geringere CO2-Emissionen zu verändern?

Mit Sicherheit. Ich denke, dass es einerseits am Anfang der Pandemie viel Solidarität gab, wovon wir in Zukunft lernen können. Andererseits wurde unser Blick durch den Lockdown auf das Wesentliche geschärft. Wir brauchen Nahrung, wir brauchen eine Unterkunft, wir brauchen medizinische Versorgung, Bildung, ein bisschen Kleidung. So viel Zeug, das wir kaufen, brauchen wir eigentlich gar nicht.

Die Überlastung der Eltern oder der BetreuerInnen während geschlossener Schulen hat gezeigt, wie wichtig Bildungseinrichtungen sind. Ich denke, vieles, was passiert, zeigt uns einen Weg in Richtung einer nachhaltigeren Gesellschaft. Ob es sich wirklich verändert, ist eine ganz andere Geschichte. Mancherorts ist Veränderung möglich, aber an einigen Orten werden wir zu dem zurückzukehren, was wir vorher hatten.

JULIET SCHOR

Juliet Schor ist US-amerikanische Ökonomin und Soziologie-Professorin am Boston College. Sie beschäftigt sich u.a. mit den Zusammenhängen von Arbeitszeit, Konsum, wirtschaftlicher Ungleichheit und dem Klimawandel. Seit den Anfängen der Sharing-Economy untersucht sie die Auswirkungen von Uber, AirBnB & Co auf die Ausbeutung von ArbeiterInnen und Kohlenstoff-Emissionen, wie in ihrem kürzlich erschienen Buch After the Gig: How the Sharing Economy Got Hijacked and How to Win It Back nachzulesen ist.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1479 Stimmen
    59% aller Stimmen 59%
    1479 Stimmen - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 382 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    382 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 312 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    312 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 221 Stimme
    9% aller Stimmen 9%
    221 Stimme - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 110 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    110 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2504
12. März 2024
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