Frauen & Chancengleichheit

Wie Milliardäre und Rechtsextreme die europäischen Abtreibungsgegner finanzieren

Die politischen Erfolge von Abtreibungsgegner:innen und fundamentalistischen Christ:innen werden in Europa häufiger. Ihre Aktivitäten und ihr Auftreten gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und die Rechte von Homosexuellen werden vielfältiger und moderner. Ein Bericht zeigt, wie religiös-extremistische Geldgeber in einem internationalen Netzwerk diese Gruppen finanzieren. Im Laufe von 10 Jahren sind demnach über 700 Millionen Dollar geflossen.

Sie sind gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, Abtreibung, Verhütung und die Scheidung. Gegen die Sexualaufklärung in der Schule machen sie genauso mobil wie gegen die Istanbul-Konvention, die Frauen vor Gewalt schützen soll. Sichtbar werden die Ultrakonservativen bei Demonstrationen wie dem „Marsch des Lebens“, bei dem strenggläubige Katholik:innen und Kirchenvertreter:innen gemeinsam mit Rechtsextremen gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen protestieren. Auch die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler nahm vergangenen Oktober daran teil.

Dahinter steht ein internationales Netzwerk

Doch die Aktivist:innen handeln nicht alleine. Hinter ihnen steht ein einflussreiches internationales Netzwerk von Abtreibungsgegner:innen, Ultrakonservativen und Rechtsextremen. Mit besten Kontakten in die Politik und zu erzkonservativen Superreichen. Ihre Erfolge auf der politischen Ebene nehmen genauso zu, wie die finanzielle Unterstützung durch Stiftungen und Privatpersonen, wie ein aktueller Bericht des Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung (EPF) zeigt. Demnach sind innerhalb von 10 Jahren zumindest 707,2 Millionen Dollar von religiös-extremistischen Geldgebern an europäische NGOs und Think-Tanks geflossen. Doch das wird noch lange nicht alles sein, denn diese Summe basiert lediglich auf nachweislich getätigten Zahlungen. Der Großteil bleibt im Dunkeln. 

Die Strategien der Abtreibungsgegner:innen werden immer professioneller

Neil Datta, Sekretär des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte, Foto: epfweb.org

Um ihre Ziele zu erreichen, setzen die Akteur:innen des Netzwerks auf verschiedene Aktivitäten. Sie organisieren Kampagnen, Petitionen und Demonstrationen; verleumden progressive Richter:innen, reichen Stellungnahmen bei Gesetzesentwürfen ein oder verbreiten Verschwörungstheorien und Fehlinformationen zum Thema Verhütung. 

Dabei gehen sie viel professioneller und strategischer vor als noch vor 10 Jahren. Sie arbeiten grenzüberschreitend zusammen. Eine erfolgreiche Kampagne wird in ein anderes Land übertragen. Bei Meetings tauscht man sich aus, welche Strategie am erfolgreichsten war und adaptiert sie dann für die eigenen lokalen Gegebenheiten.

„Wir sprechen hier von strategisch modernem Organizing“, wie der Studienverfasser und Sekretär des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte, Neil Datta erklärt.

Dabei sind Personen aus politischen Institutionen beteiligt, Strategen, Expert:innen für das jeweilige Land und Milliardäre, die einen Großteil der Aktivitäten der Abtreibungsgegner:innen finanzieren. Ihre Sitze verteilen sich auf Zentren internationaler Relevanz: Städte, in denen auch internationale Menschenrechtsorganisationen ihre Sitze haben. Auch in Wien fanden immer wieder Vernetzungstreffen statt.

Größer, vielfältiger, erfolgreicher

Die Abtreibungsgegner:innen mobilisieren dabei mit Emotionen wie Angst und Wut. Sie stellen Bemühungen zur Selbstbestimmung der Frau als Bedrohung der „Familie“ dar und bringen es mit einer vermeintlichen Gefährdung des Kindeswohls oder der Religionsfreiheit in Verbindung. Sie schüren Angst und Wut auf politische Korrektheit, „die Eliten“ oder die Politik. 

Alte Ideen verpacken sie somit in eine moderne Sprache. Ihr Auftreten soll dabei respektabel und modern wirken. Nicht die fundamentalistische Überzeugung steht im Vordergrund, sondern Werte wie Leben, Familie und Freiheit. Und damit sind sie sehr erfolgreich.

Mit der europäischen Parlamentswahl 2019 verdoppelte sich der Anteil an Mitgliedern des Europäischen Parlaments auf geschätzt 30 Prozent, die die Gleichstellung der Geschlechter, sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen, sexuelle Aufklärung, die gleichgeschlechtliche Ehe und die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung jeglicher Formen von Gewalt gegen Frauen ablehnen“, schreibt die Beobachtungsstelle für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa.

Wie erfolgreich die Bewegung ihre Vorstellungen in Gesetze bringen kann, zeigt etwa Ungarn. Dort ist die Aufklärung über Homosexualität gesetzlich verboten, Unternehmen dürfen keine homosexuellen Paare in Werbespots zeigen. Auch in Bulgarien hat das Verfassungsgericht die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen als verfassungswidrig abgelehnt. Polen will aus der Konvention aussteigen.

Das Budget der Abtreibungsgegner:innen hat sich in 10 Jahren vervierfacht

Das Aufkommen dieser Bewegung in Europa haben viele zunächst unterschätzt, weil man davon ausging, dass es sich um ein bekanntes Relikt einer kleinen religiösen Lobby handle. Schrittweise hat die Bewegung aber an öffentlicher Unterstützung gewonnen, die Politik beeinflusst und die politische Landschaft mitgestaltet.

Auch die Finanzierung ist gewachsen: In den letzten 10 Jahren hat sich ihr Budget vervierfacht, soweit sich auf Basis von transparenten Zahlen erkennen lässt. Insgesamt konnte Neil Datta 707,2 Millionen Dollar offenlegen, die zwischen 2009 und 2018 an europäische Organisationen, NGOs, Think-Tanks und Stiftungen geflossen sind. Dabei spielen Fundraising-Kampagnen ebenso eine Rolle, wie Spenden von einflussreichen Personen, religiösen Akteuren und öffentliche Mittel. Auffallend ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Nähe zu Rechtsextremen. „Hier werden ganz bewusst strategische Finanzierungsentscheidungen getroffen“, erklärt Neil Datta.

81 Millionen Dollar von Ultrareichen und Rechten aus den USA, 188 Millionen aus Russland

Die ehemalige US-Bildungsministerin und Abtreibungsgegnerin Betsy DeVos. Foto: Joe Raedle/Getty Images/AFP (c)

Wichtige Geldgeber sind seit vielen Jahren evangelikale und rechte Organisationen aus den USA. Die jährlichen Zahlungen nach Europa haben sich in den letzten Jahren von 4,7 auf 7,7 Millionen Dollar fast verdoppelt. Dazu zählt etwa die DeVos-Familie, die zu den reichsten amerikanischen Familien gehört und mit Betsy DeVos unter Trump sogar die Bildungsministerin stellte. Mit deren Geld werden „rechtsextreme Abtreibungsgegner in Europa“ unterstützt, die Falschinformationen über die „Gefahren“ von Verhütung und Abtreibung verbreiten und behaupten, dass sich „Homosexuelle durch den Missbrauch von Kindern fortpflanzen“.

Noch stärker haben die Zahlungen von russischen Oligarchen zugenommen – im Zeitraum von 2013 bis 2018 um insgesamt 188 Millionen Dollar. Bald mehr als 24 Millionen jährlich werden für Aktivitäten in Europa ausgegeben. Der Großteil kommt von den Oligarchen Vladimir Yakunin, der gute Kontakte zum Kreml hat, und von Konstantin Malofeev, der international bestens vernetzt ist.

Doch auch in anderen Ländern lassen sich die guten Kontakte zwischen rechten und konservativen Spitzenpolitiker:innen und reichen Spender:innen erkennen. So taucht die Rechtsextreme Partei Chega in Portugal im Bericht auf, die sich – nicht zuletzt durch großzügige Spenden von Abtreibungsgegner:innen – bei den Wahlen im Jänner vervielfachen konnte. Auch der Milliardär Hintze spendet nicht nur an die konservative Tory Partei in Großbritannien, sondern auch an die Anti-Abtreibungs-Denkfabrik Agenda Europe. Aufgrund seiner großzügigen Zahlungen, erhob ihn der ehemalige Premier David Cameron sogar in den Ritterstand. 

Unterstützung kommt auch von konservativen Aristokrat:innen: Etwa von Nikolaus von Liechtenstein, Gloria von Thurn und Taxis, Eduard von Habsburg oder dem rechten Investor August von Finck, wie Experte Datta in seinen Recherchen herausgefunden hat. 

Der Ausgangspunkt war Österreich

Eva Maria Holzleitner, SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende und Abgeordnete zum Nationalrat, Foto: SPÖ

Was inzwischen ein internationales Netzwerk von über 100 Organisationen und Stiftungen ist, hatte seinen Ausgangspunkt in Österreich. 2013 hat die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler die Gründung der Lobby-Organisation Agenda Europe angestoßen, um die sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen zurückzudrängen und Stimmung gegen Homosexuelle zu machen. Diese Organisation war für viele Jahre ein Hauptakteur und organisierte jährliche internationale Vernetzungstreffen für Ultrakonservative, Rechtsextreme und Superreiche und agierte dabei stets im Verborgenen. „Wir wissen, dass viel in Österreich passiert, weil Österreich immer wieder genannt wird. Aber die Finanzen konnten wir nicht offenlegen“, bedauert Experte Neil Datta. Denn Österreich zeichne sich durch große Intransparenz aus. 

„Die Frauenministerin scheint am rechten Auge blind zu sein“, so die SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner bei der Präsentation des Berichts. Es passiere viel zu wenig, um dieses Netzwerk offenzulegen. Dabei wisse man, dass Österreich hier eine große Rolle spielt.

Namentlich erwähnt werden im Bericht allerdings Kardinal Christoph Schönborn, der 2016 15.000 Euro an eine italienische Stiftung spendete, die sich gegen die Rechte von Homosexuellen sowie Abtreibung einsetzt. Die Turnauer-Familie – sie zählt zu den 40 reichsten Familien Österreichs – hat nicht nur enge Verbindungen zu Schönborn, sondern auch zu monarchistischen Kreisen und zur FPÖ. Ein Vertreter der Familienstiftung nahm laut Bericht an dem geheimen Vernetzungstreffen von Agenda Europe teil.

Am Rednerpult: Nationalratsabgeordnete Petra Bayr (SPÖ), Foto: Parlamentsdirektion, Johannes Zinner (c)

Auch im österreichischen Parlament bemerkt man die Aktivitäten der Abtreibungsgegner. Immer wieder gibt es Petitionen, die – auch mithilfe der ÖVP – viel Aufmerksamkeit erhalten, wie Holzleitner berichtet. „Und mit der FPÖ haben die Akteure eine eigene „Anti-Gender-Partei“ im Parlament, die bei jeder Gelegenheit gegen Fortschritte im Bereich der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung Stimmung macht“, ergänzt SPÖ-Nationalratsabgeordnete Petra Bayr.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1630 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1630 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 433 Stimmen
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    433 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 346 Stimmen
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    346 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 254 Stimmen
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    254 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 132 Stimmen
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    132 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2795
12. März 2024
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