Digitales Leben & Web

Aus für Anonymität im Netz: „Das Standard-Forum von heute wäre dann zerstört“

Im Internet darf künftig nicht mehr anonym diskutiert werden. Betreiber von Online-Foren wie derstandard.at müssen die Identitäten ihre User sammeln: Vorname, Nachname und Wohnadresse müssen angegeben werden. Gerlinde Hinterleitner hat vor 20 Jahren das Standard-Forum gegründet. Heute ist sie Online-Chefredakteurin und erklärt gemeinsam mit dem Community-Manager Christian Burger was die neue Ausweis-Pflicht für das Standard-Forum bedeutet.

In Österreich ist das Standard-Forum wohl das wichtigste politische Diskussions-Forum. Täglich werden dort seit 20 Jahren Artikel, Kommentare und Meldungen des Standard von den Lesern kommentiert. Der Online-Standard hat damit das Versprechen des Mitmach-Internet ein Stück weit eingelöst: Nachrichten werden nicht nur verkündet, sondern diskutiert – Foren-Betreuer kümmern sich um die Diskussionskultur.

Doch jetzt hat die Regierung ein Gesetz vorgelegt, dass Online-Medien verpflichtet, die echten Daten ihrer Nutzer zu sammeln und bei Bedarf offen zu legen. Gelten wird das für alle Plattformen, die mehr als 100.000 registrierte Nutzer haben oder über 500.000 Euro Jahresumsatz. Der Standard ist also betroffen. Rechte Plattformen wie unzensuriert fallen ebenso wenig unter die Regelung wie Kontrast.at. Auch ausländische Betrieber wie Facebook, Youtube oder Twitter nicht.

Kommt die neue Registrier-Pflicht, wird es das Standard-Forum von heute nicht mehr geben, erklärt uns die Online-Chefin des Standard, Gerlinde Hinterleitner im Interview. User würden auf Facebook oder Twitter ausweichen oder sich zurückziehen. Sie und der Community-Manager des Standard, Christoph Burger, sehen im Gesetz eine Vorratsdatenspeicherung von User-Daten – eine wirksame Maßnahme gegen Hass im Netz sei es jedenfalls nicht.

Kontrast: Die Regierung hat eine Identifikationspflicht für Foren-Poster angekündigt. Welche Auswirkungen hätte diese „Ausweispflicht“ die auf den Online-Standard?

Hinterleitner: Wenn das Gesetz wirklich so beschlossen wird, dann wird es das Standard-Forum so nicht mehr geben. Dieser offene Diskurs wird nicht mehr möglich sein. Die geforderte Registrierung wäre sehr aufwändig und viele User wollen einfach ihre Privatssphäre geschützt wissen, wenn sie sich über heikle Themen oder Politik unterhalten. Die User haben Angst, dass ein Datenklau passiert – wie das etwa in Südkorea der Fall war, wo es ein ähnliches Gesetz gab. Die Diskussion in der jetzigen Form wäre einfach zerstört und nich mehr möglich.

Wenn das Gesetz wirklich so beschlossen wird, dann wird es das Standard-Forum so nicht mehr geben.

Standard.at-Chefredakteurin Gerlinde Hinterleitner im Interview mit Kontrast-Redakteurin Patricia Huber.

Burger: Ja, diese Pflicht zur Identifikation für Alle ist eine große Hürde für die Menschen und schließt viele Menschen aus der Diskussion aus. Außerdem wollen viele User ihre Daten nicht offen legen: Sie fürchten einen Datendiebstahl oder den politischen Zugriff – und dann wäre dokumentiert, welche politische Meinung oder sexuelle Orientierung ich habe. All das kommt ja in den Online-Gesprächen vor – wenn man das mit der Person verknüpfen kann, kann man wirklich ein sehr genaues Profil von meiner Person erstellen.

Werden die Diskussionen im Internet dann wo anders stattfinden? 

Hinterleitner: Konzerne wie Facebook, YouTube oder Twitter vertreten die Rechtsauffassung, dass sie kein österreichisches Medium sind. Sie sehen sich von diesem Gesetz nicht betroffen. Das bringt natürlich eine massive Benachteiligung österreichischer Medien, die versuchen, gegen Internet-Giganten etwas auf die Beine zu stellen.

Das ist eine Benachteiligung österreichische Medien gegenüber internationalen Betreibern.

Burger: Und dazu kommen noch kleinere Fakenews-Plattformen, die auch von dem Gesetz ausgenommen sind und wo es praktische keine Forenbetreuung gibt. Es ist also doppelt schlecht, wenn sich die Diskussionen im Internet in diese beiden Richtungen verlagert.

Uns geht es ja tatsächlich um die Debattenkultur und um das Diskussionsthema. Wir wollen beim Standard.at keine Emotionalisierung in den Foren, wie etwa bei Facebook. Wir versuchen beruhigend zu wirken in der Moderation: Also wir stellen keine Aufreger-Postings oben auf, sondern verschiedene gute Argumente. Das wirkt sich positiv auf die Diskussionskultur aus – das hat einen Beispielseffekt.

Hinterleitner: Facebook hat 20.000 Moderatoren und 50.000 Einträge pro Moderator täglich. Würde Facebook seine Foren so intensiv moderieren wie derstandard.at, müssten dort 315.000 Moderatoren arbeiten. Beim Standard hat ein Moderator rund 3.000 Kommentare am Tag.

Standard.at Christian Burger: Diskussionen werden auf Facebook oder Fakenews-Plattformen verdrängt.

Jeder Facebook-Moderator soll theoretisch 50.000 Forenbeiträge täglich bearbeiten.

Was habt ihr für Erfahrungen mit Hass im Netz? Und was tut dieses Gesetz dagegen?

Hinterleitner: Es ist ganz klar, dass Hass im Netz durch dieses Gesetz nicht verhindert wird. Das Problem war nie, dass die Leute nicht identifizierbar sind. Das Problem ist, dass viele Foren nicht moderiert sind – und dann findet der Hass dort ungezügelt statt. DerStandard.at hat eine sehr engmaschige Moderation und wir haben viel Ressourcen investiert, um eine gute Diskussionskultur aufzubauen. Wenn sich jemand beleidigt fühlt, sind wir auch jetzt schon verpflichtet, die Daten rauszugeben. E-Mail-Adresse, Vorname, Nachname und Adrese geben wir raus. Vor kurzem mussten wir etwa Verkehrsminister Hofer Daten übergeben, weil er sich beleidigt gefühlt hat – und da hat er brauchtbare Daten von uns bekommen.

Aber das, was dieses Gesetz macht, ist eine Vorratsdatenspeicherung für alle User-Daten.

Burger: Wir sehen überhaupt keine Verbesserung durch dieses neue Gesetz. Denn da werden alle Nutzer unter Generalverdacht gestellt. In den allermeisten Fällen kann man die Daten jetzt schon haben – nach dem E-Commerce-Gesetz und in den allermeisten Fällen kann man mit diesen Daten auch eine Strafverfolgung anstoßen. Und das passiert wirklich sehr sehr selten, weil es selten so sehr eskaliert.

Alle User stehen unter Generalverdacht. Und wenn sie vorab ihre Daten hinterlegen müssen, dann ist das eine neue Form der Vorratsdatenspeicherung.

Hinterleitner: Und in dem Gesetz steht nicht einmal eine Löschpflicht von Hasskommentaren – da sieht man ja, dass es um etwas Anderes geht. Denn meistens ist es ja so: Wenn sich jemand beleidigt fühlt, will er vor allem, dass die Beleidigung wieder aus dem Netz verschwindet – das ist für die Meisten wichtiger als den Beleidiger gerichtlich zu verfolgen. So ein Recht auf Löschung der Beleidigung innerhalb von 24 Stunden, das wäre sehr wirksam gegen Hass im Netz. Viele Shitstorms sind einfach stehen geblieben, weil niemand verpflichtet ist, das zu löschen.

Insgesamt 12 Moderatoren kümmern sich um die Standard-Foren

In der Realität wäre das wichtigste die Pflicht zur Löschung von Hass-Kommentaren. Gerichtliche Verfolgung wird selten angestrebt.

Warum kommt es kaum zu schweren Fällen bei euch?

Hinterleiter: Weil wir in den letzten Jahren eine Poster-zentrierte Moderation machen, statt einer Posting-zentrierten. Das heißt: Wir beschäftigen uns nicht mit dem einzelnen Posting, sondern wir reden mit den Postern: Und wir versuchen ihnen klar zu machen, dass sie die Forenregeln einhalten müssen. Und wenn sie die nicht einhalten, dann schmeißen wir sie raus. Und das tun wir auch: Wir haben in den letzten Jahren auch viele Leute von der Diskussion ausgeschlossen. Wenn sie sich an die Regeln halten, dürfen sie wieder mitmachen.

Burger: Auch die Präsenz der Moderatoren ist wichtig. Wo viel los ist, stellen unsere Moderatoren Fragen. Und das wirkt präventiv: Das Forum ist ein Ort, wo man mit Standard-Leuten ins Gespräch kommt. Da setzt in 99 Prozent der Fällen die soziale Kontrolle ein. Es ist viel wichtiger präventiv tätig zu sein, als zu warten, bis etwas passiert und dann zur Rechenschaft zu ziehen.

Das Gespräch führten Gerald Demmel und Patricia Huber.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1470 Stimmen
    59% aller Stimmen 59%
    1470 Stimmen - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 378 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    378 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 307 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    307 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 215 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    215 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 109 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    109 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2479
12. März 2024
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Kontrast Redaktion

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