Frauen waren im Iran die ersten, die Widerstand gegen das Khomeini-Regime geleistet haben – und sie sind auch jetzt diejenigen, die den Widerstand gegen Repression und Gewalt im Land tragen. Die Protestierenden nützen Schlupflöcher gegen die Zensur, damit wir sehen, wie sie sich wehren. Was ihnen helfen würde, wäre eine konsequent feministische Außenpolitik, die dazu beiträgt, Frauen in ihren Rechten zu stärken – und sie vor Gewalt zu schützen.
Die brutale Ermordung der Kurdin Mahsa (Jina) Amini, einer 22-jährigen Frau aus Saqqez, hat einen ungeahnten Protest im Iran ausgelöst. Amini war zu Besuch in der Hauptstadt Teheran und wurde dort wegen eines zu locker sitzenden Kopftuchs von einer Einheit der „Moralpolizei“ angehalten. Man hat sie zwecks Ermahnung auf eine Polizei-Dienststelle mitgenommen – sie starb. Ihr Tod hat die iranische Gesellschaft bis ins Mark erschüttert.
Seit drei Wochen gehen vorwiegend sehr junge Menschen auf die Straße. Frauen verbrennen ihren Hijab in der Öffentlichkeit. Menschen stehen nachts an ihren Fenstern und rufen „Tod dem Diktator“. Der Spruch „Frau, Leben, Freiheit“ ist zu einem Mantra dieser Protestbewegung geworden. Zuletzt haben sich auch die Mitarbeiter der petrochemischen Unternehmen im Süden des Landes in Form von Streiks den Protesten angeschlossen. Es ist eine Gruppe, die klassischerweise der Arbeiterschaft zuzurechnen ist. Sie fordern das Regime auf, die ausufernde und oftmals tödliche Gewalt gegenüber den Demonstrierenden einzustellen.
Wir alle sehen laufend die Videos, die mutige Menschen im Iran mithilfe von VPN-Zugängen senden. Sie umgehen die immer drastischere Netzzensur und nutzen iranische Messenger-Kanäle und soziale Medien. Oder sie schicken sie ihren Kontakten: meist Personen aus der iranischen Diaspora in Europa, Kanada und den USA. Unter den Hashtags #IranProtests2022, #IranRevolution oder #MahsaAmini wird quasi stündlich dokumentiert, wie es um die Protestbewegung im Iran steht.
Der ausgeprägte Kampfgeist der Frauen ist das Ergebnis eines historischen Entwicklungsprozesses. Die ersten iranischen Frauenorganisationen wurden 1906, nach dem Sieg der Konstitutionellen Revolution (1905-1911) gegründet. Diese Organisationen eröffneten Mädchenschulen und warben in Zeitschriften und Vorträgen für Aufklärung. Ihr Ziel war sehr spezifisch die Emanzipation der Frau im privaten und im öffentlichen Bereich. Bereits diese ersten feministischen Organisationen am Anfang sprachen sich gegen einen Hijab-Zwang aus.
Die darauffolgende Ära der Monarchie unter den beiden Pahlavi-Shas (1925-1979) war eine zweischneidige. Während die Inanspruchnahme politischer Rechte und die Ausübung der Meinungsfreiheit brutal unterdrückt und politische Gegner:innen vom Geheimdienst SAVAK verfolgt, verhaftet und gefoltert wurden, wurden Männern und Frauen dieselben gesellschaftlichen Freiheiten gewährt und eine aktive (selbstverständlich regimefreundliche) politische und zivilgesellschaftliche Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben ermöglicht.
Ayatollah Khomeini kehrte 1979 aus dem französischen Exil in den Iran zurück. Er übernahm die Macht und läutete eine der dunkelsten Epochen des Iran ein: die Islamische Republik. 1981 hat der den Hijab-Zwang für alle Frauen eingeführt.
Die ursprüngliche Idee des Regimes, diesen Hijab-Zwang direkt nach dem Sieg der Revolution (12. Februar 1979) einzuführen, konnte aufgrund des enormen Widerstandes der Frauen nicht umgesetzt werden. Es dauerte 1,5 Jahre bis das Regime mittels Repression, Verhaftungen, Folter und (Massen)Hinrichtungen dazu in der Lage war.
Die iranische Frauenbewegung hat insbesondere in den vergangenen 10-15 Jahren an Stärke und Auftrieb gewonnen. Persönlichkeiten wie die ehemalige Journalistin Masih Alinejad, die heute in den USA lebt und wegen ihres Einsatzes für Frauenrechte unter ständigem Polizeischutz steht, haben stark dazu beigetragen, den Freiheitskampf der iranischen Frauen in die Öffentlichkeit zu tragen. Die sozialen Medien und ganz besonders die Messenger-Dienste, die im gesamten Nahen Osten mit seiner sehr jungen Bevölkerung für die Verbreitung von Informationen eine wesentlich wichtigere Rolle spielen als klassische Medien, sind ein Segen für die Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit der iranischen Frauenbewegung.
Bereits seit Jahren finden in den iranischen Städten feministische Kampagnen statt, in deren Rahmen Frauen ihre Kopftücher ablegen, das Ganze filmen und posten. Etliche dieser Frauen wurden verhaftet und sitzen langjährige Haftstrafen in berüchtigten Einrichtungen wie dem Teheraner Gefängnis Evin ab.
Die letzten großen Proteste dieser Art fanden 2018 statt. Frauen begannen im Zuge von Demonstrationen gegen wirtschaftlicher Engpässe, ihre Kopftücher und Schleier abzulegen. Die 31-jährige Vida Mohamed machte den Anfang, indem sie im Zentrum von Teheran ihr weißes Kopftuch abnahm und auf einen Stromkasten hing. Das Foto ging damals um die Welt und führte zu einer landesweiten Dynamisierung der Frauenbewegung.
Quasi zeitgleich mit den iranischen Protesten im Jahr 2018, hat das schwedische Außenministerium ein Handbuch herausgebracht, in dem die im Jahr 2014 eingeführte feministische Außenpolitik erklärt wird als ein Ansatz, „in der gesamten außenpolitischen Agenda systematisch die Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit einzunehmen“. In dem 110-seitigen Leitfaden beschreibt die schwedische Regierung verschiedene feministische Themen wie den Kampf gegen sexuelle Gewalt in Nachkriegsgesellschaften oder die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Außenpolitik. Diese Geschlechtergerechtigkeit sei „essenziell zum Erreichen sämtlicher Ziele der Regierung wie Frieden und Sicherheit“. In den darauffolgenden Jahren haben sich zunächst Kanada, Frankreich, Luxemburg, Mexiko, Spanien und zuletzt auch Deutschland den Prinzipien einer feministischen Außenpolitik verschrieben.
Was aber hat nun diese feministische Außenpolitik, die vielfach als schwammiges, nicht ernst zu nehmendes Konstrukt beschrieben wird, mit der kämpferischen iranischen Frauenbewegung zu tun? Ich meine: sehr viel.
Der Freiheitskampf der iranischen Frauen ist geradezu ein Lehrbuchbeispiel für den Einsatzbereich dieser feministischen Außenpolitik. Listungen von Einzelpersonen und Entitäten auf internationalen Sanktionslisten, das Einfrieren von Vermögenswerten, die Verweigerung von Einreise- und Aufenthaltsmöglichkeiten, die Stärkung der iranischen Zivilgesellschaft, die Unterstützung bei der Umgehung von Netzsperren. Die klare Benennung der Tatsache, dass es sich beispielsweise bei den islamischen Revolutionsgarden um eine Terrororganisation handelt. Und zu guter Letzt die Junktimierung von internationalen Verträgen mit dem Iran mit der Einhaltung der Frauen- und Menschenrechte vor Ort. Alle diese Maßnahmen sind konkret und durchführbar – wenn der politische Wille vorhanden ist.
Insgesamt wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für die Europäische Union in ihrer Gesamtheit, die feministische Außenpolitik (verschriftlicht) zu einer Basis und einer Leitlinie des außenpolitischen Handelns zu machen.
Wie es mit der iranischen Protestbewegung insgesamt weitergeht, ist aktuell schwer zu beurteilen. Persönlich glaube ich an einen Prozess, der schon länger läuft, nun an großer Dynamik gewonnen hat und mittelfristig die islamische Republik zum Besseren verändern wird. Eine konsequente feministische Außenpolitik des „Westens“ kann und wird das unterstützen – ganz ohne regime change von außen.
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