Mit billigen Ansagen über Asyl und Kopftücher können Kanzler Kurz und seine Regierungskollegen zwar in Österreich punkten. Doch auf dem EU-Parkett kommen sie mit nationalen Alleingängen und Schaumschlägen ins Schleudern.
Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft 2018 startet mit drei Bauchlandungen:
Am 4. Juli 2018, hat Sebastian Kurz vor dem EU-Parlament eine Rede gehalten. Dabei hat ihn Guy Verhofstadt, Chef der Liberalen Fraktion im EU-Parlament, heftig kritisiert. Er hat Kurz Opportunismus und Nationalismus vorgeworfen und ihm angelastet, den mehr als deutlichen Rückgang von Flüchtlingen in Europa zu vertuschen. Kurz arbeitet nicht an EU-weiten, gemeinsamen Lösungen, sondern praktiziert Alleingänge:
„Das Problem in Europa ist, dass der einzige Konsens, worüber man sich im Rat, mit den Staatschefs, worüber Sie sich mit Ihren Freunden heute einigen können, ist: ‚Nicht bei mir!‘ Das ist der einzige Konsens, auf den Sie sich einigen können. Das ist der Skandal in Europa! Reden Sie nicht über Migranten! Das jetzt ist eine politische Krise auf dem Rücken der Migranten! (…) Ich ersuche Sie, die europäische Karte zu spielen!“ (Guy Verhofstadt, EU-Abgeordneter aus Belgien bei der Antrittsrede von Kurz im EU-Parlament)
Am 7. Juli 2018 haben Medien über ein „Geheimpapier“ aus dem Innenministerium berichtet. Dieses haben Beamte als offizielles Papier zu einem Treffen der EU-Rats-Arbeitsgruppe „COSI“ mitgenommen. Der Inhalt des Papiers war ein Konzept für ein EU-Asylwesen, das der Genfer Flüchtlingskonvention widersprochen hat. Die Aufregung war groß.
Regierungssprecher Launsky-Tieffenthal war um Beschwichtigung bemüht: Das Papier sei nur ein „Denkanstoß“ gewesen und ohnehin „überholt“. Immerhin gab es ja einen „EU-Migrationsgipfel“ zum Thema. Doch das Papier ist nicht veraltet: Es wurde nicht vor, sondern nach dem „Gipfel“ – also trotz der dortigen Gespräche und Ableitungen – verfasst. Das Ergebnis sind viel Wirbel und offene Fragen.
Anlässlich des Starts der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft hat der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den österreichischen Kanzler am 6. Juli 2018 in Wien besucht. Gemeinsam haben sie eine Pressekonferenz gegeben. Als Kurz ankündigt, dass er eine Einigung in der Asylfrage herbeiführen wird, kontert Juncker vor laufender Kamera: Kurz soll nicht so „großspurig“ auftreten – denn die eigentliche Arbeit hätte die Kommission bereits erledigt:
„Die Kommission hat Ihre Arbeit gemacht. Wäre ich Ratsvorsitzender, würde ich nicht so großspurig hier auftreten, weil ich weiß, wie schwierig die Kompromissfindung zwischen Mitgliedstaaten ist.“ (EU-Kommissionspräsident Juncker zu Sebastian Kurz)
Konkret ging es um Vorschläge für eine Reform des europäischen Asylsystems, die die EU-Kommission vorgelegt hat und die bisher immer noch keine Zustimmung der Mitgliedstaaten bekommen haben. Kurz hat in der Pressekonferenz mit Juncker angekündigt, verhandeln zu wollen. Verhandelt werden jene Kommissionsvorschläge jedoch schon seit mehr als zwei Jahren. Vor allem bei der Frage nach der Verteilung der Flüchtlinge durch eine Quote und der Reform der Dublin-Verordnung hakt es immer noch.
Mehrere Medien haben über Junckers Aussage berichtet. Juncker selbst dementiert, den Kanzler attackiert zu haben.
Es sind erst wenige Tage Ratspräsidentschaft vergangen. Und Österreich hat es mit seinem Auftreten mehrmals in die Negativschlagzeilen geschafft. Nicht ohne Grund also sorgen sich hierzulande Viele um die Reputation Österreichs. Mit dem Vorwurf, Kurz agiere als einer von mehreren Nationalisten in Europa, ist Verhofstadt nicht allein. Auch JournalistInnen in Österreich fordern Kurz auf, seine Prioritäten zu überdenken:
„Dass es kurzfristig populär in Österreich wirkt, sich mit dem seltsamen Herrn Seehofer zu verbrüdern oder mit dem demokratiepolitisch bedenklichen Viktor Orbán zu konferieren, will hier niemand leugnen. Als EU-Ratsvorsitzender darf er aber nicht nur auf Meinungsumfragen schielen. Kurz sollte als österreichischer Kanzler und als EU-Ratsvorsitzender auch weiter denken: Diese Republik darf nicht in einen Populismus-Contest mit Seehofers, Salvinis und Co treten, sondern sollte im EU-Konflikt vermitteln.“ (Isabelle Daniel „Österreich“, 9.7.2018)
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