Lieferando hat alle seine Fahrrad-Bot:innen gekündigt. Hunderte Kuriere verlieren ihre Anstellung. Jetzt wird die gesamte Logistik von einem Kollektivvertrag auf freie Dienstverhältnisse umgestellt. Warum das passiert ist, was das für die Essenszusteller:innen bedeutet und wie ihr Alltag aussieht, erklärt der Betriebsrat von Lieferando, Fabian Warzilek im Interview mit Kontrast.
Lieferando kündigt alle seine Rad-Bot:innen. Wie kam es dazu?
Lieferando hat in den letzten Jahren versucht, die Kuriere unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen anzustellen. Sie zahlten Urlaubs- und Weihnachtsgeld, machten Fortzahlung auch bei längeren Krankenständen und stellten Kleidung und Schutzausrüstung zur Verfügung. Das Ganze bei einem festen Anstellungsverhältnis, bei dem jede:r Kurier:in pro Stunde bezahlt wurde.
Leider haben Foodora und Wolt vor allem auf freie Dienstnehmer:innen und Subfirmen – oder, wie ich sie nenne, „Scheinselbstständige“ – gesetzt. Da die gesetzliche Lage dies zulässt, entstand ein Konkurrenzkampf zwischen den kostensparenden Ausbeutern und dem sozialen Arbeitgeber, der natürlich viel mehr Kosten zu stemmen hatte.
Dieser Kampf wurde nun von jenen gewonnen, die sich um gesetzliche Bestimmungen und das Wohlergehen der Mitarbeitenden wenig bis gar nichts scheren – von jenen, die Radkuriere pro ausgelieferter Bestellung bezahlen und nicht einen fixen Stundensatz.
Wie sind die Arbeitsbedingungen von Rad-Bot:innen zurzeit?
Als Fahrradkurier ist man bei jedem Wetter auf der Straße – egal ob Regen, Wind, Schnee, oder Hitze. Der massive Rucksack auf dem Rücken ist nicht nur für die Wirbelsäule eine Belastung, sondern bietet bei starkem Wind auch eine große Fläche, die das Fahren sehr gefährlich macht. Daher sind ordentliche Kleidung und Schutzausrüstung das A und O. Wenn das Wetter ganz arg wurde, dann hat Lieferando die Auslieferung eingestellt, um die Gesundheit der Kuriere zu schützen. Sie bezahlten die Kuriere trotzdem, wie bei jedem anderen Angestelltenverhältnis auch. Bei freien Dienstnehmer:innen ist das nicht der Fall: Je weniger du auslieferst, desto weniger verdienst du.
Du weißt auch nie, wann du deine Bestellungen zugeteilt bekommst. Solltest du eine Bestellung ablehnen oder mal zu lange brauchen, wirst du im internen, für dich unsichtbaren Ranking nach unten gereiht. Dann bekommst du fortan generell weniger Aufträge und auch nur die, die sonst niemand fahren möchte – weil sie beispielsweise sehr lange oder steil sind. Durch die App hat also die Firma, die sogenannte Plattform, die Macht darüber, ob du überhaupt arbeiten kannst. Die Kriterien können auch quasi über Nacht geändert werden – ohne irgendwelche Kontrollmechanismen. Diese Vorgehensweise soll nun durch eine EU-Richtlinie, die Plattformdirektive, in Zukunft stark eingeschränkt werden. Freie Dienstnehmer:innen können dann nicht mehr so leicht ausgebeutet werden – die Umsetzung liegt aber nun an der österreichischen Politik. Die hat uns seit Jahren trotz unserer ständigen Hinweise nicht ernst genommen und ignoriert.
Was braucht ihr, um euren Job unter guten Bedingungen erledigen zu können?
Um unseren Job auf der Straße unter guten Bedingungen zu erledigen, braucht es natürlich allen voran einen guten Helm, wasserdichte Jacken und Hosen. Aber auch Handschuhe, Sonnenbrillen, ein Multifunktionstuch, Sonnen- und Hautcreme gehören zur Schutzausrüstung dazu. Die bekam man bis dato bei Lieferando kostenlos gestellt, in Zukunft wird der Standard wohl wie bei Foodora sein: Du musst dir alles selbst kaufen, nur Jacke und Rucksack kannst du von der Firma gegen Kaution ausleihen.
Kannst du uns beschreiben, wie ein Arbeitstag im Leben von Rad-Bot:innen ausschaut?
Man muss da unterscheiden zwischen den sogenannten Hub-Ridern und den Remote-Ridern. Bist du Hub-Rider, so startest du deine Schicht im sogenannten Hub – einer Art Büro, Werkstatt und Fahrradgarage in einem. Du holst dir dort deinen Rucksack und das Firmenfahrrad, dann startest du los auf die Straße. Bist du Remote-Rider, benutzt du dein eigenes Fahrrad, mit dem du deine Schicht bestreitest. Du bewahrst den Rucksack zu Hause auf, wo du ihn auch in deiner Freizeit reinigst. Es gibt in jeder Stadt eine oder mehrere Startzonen, in welchen du als Remote-Rider deine Schicht beginnen musst.
Im Idealfall läuft es dann so: Sobald der erste Auftrag auf der App am Privathandy, verbunden mit einem Signalton und Push-Benachrichtigung, eingeht, begibst du dich auf den Weg zum Restaurant. Dort wartest du – je nach Menschlichkeit des Betriebs – entweder innerhalb oder außerhalb des Restaurants auf die Lieferung. Sobald du die Pizza im Karton oder das Sackerl voll mit Sushi, knuspriger Ente und Reis entgegengenommen hast, drückst du in der App auf „Bestellung erhalten“, gibst sie in deinen Rucksack und machst dich auf den Weg zu den Kund:innen. Die App zeigt dir den Weg auf der Karte an. Wenn du dann nach stressiger Fahrt durch den Straßenverkehr endlich angekommen bist, stellst und schließt du dein Rad ab, läutest bei der – hoffentlich beschrifteten – Glocke, steigst in den Lift und gibst den Kund:innen die Bestellung.
Aber es gibt auch nicht so ideale Fälle: Zum Beispiel, wenn das Getränk aufgrund schlecht sitzender Pappdeckel während der Fahrt ausrinnt und das Sackerl mitsamt Chicken Nuggets aufweicht, oder, wenn der Kunde oder die Kundin kein Stockwerk angibt, und du dich vom obersten bis in den untersten Stock kämpfen musst. Meistens wirst du in diesen Fällen dann an der Wohnungstüre beschimpft oder angeschrien. Trinkgeld gibt es seit dem Ende der Coronapandemie auch nur noch sehr selten. Bei einem 8-Stunden-Tag sind es ca. fünf, maximal 10 Euro pro Tag.
Rad-Bote zu sein ist also alles andere als ein einfacher Job. Welche Menschen arbeiten in dieser Branche und wieso?
Wir müssen von diesem Denken wegkommen, dass die meisten Kuriere Student:innen sind, die den Job nebenbei ausüben. Natürlich gibt es die auch noch. Aber die, die 20 oder gar 40 Wochenstunden auf dem Fahrrad schuften, sind vor allem Menschen, die sich bei der sonstigen Jobsuche sehr schwertun. Es betrifft Migrant:innen mit schlechten Deutsch- und Englischkenntnissen, behinderte Menschen und jene, die keinen leichten Start in ihr Leben hatten und vielleicht nicht mal einen Hauptschulabschluss haben.
Diese Menschen kann man einerseits sehr leicht ausbeuten, da sie ihre Rechte nicht kennen, noch nicht mal wissen, was die Arbeiterkammer ist, andererseits tun sie sich sehr schwer damit, einen anderen Job zu finden.
Das wissen Firmen wie Foodora und Wolt natürlich und können sie dementsprechend behandeln, denn wer möchte diese Menschen denn sonst einstellen? Lieferando hat bis jetzt alle meine Kolleg:innen menschenwürdig behandelt. Natürlich gab es Probleme, die gibt es in jedem Unternehmen. Aber unter dem Strich war Lieferando immer der Arbeitgeber, der fair war und das Gute im Auge hatte. Diese Zeiten sind nun vorbei.
Was können Konsument:innen machen, um die Rad-Bot:innen zu unterstützen?
Es ist dasselbe, wie bei anderen solchen Firmen: Jede und jeder redet zum Beispiel schlecht über Amazon, aber trotzdem geht keiner mehr in den lokalen Handel. Es klingt seltsam, da die Kuriere dadurch ihre Anstellung verlieren. Aber um etwas an den Umständen in der Branche zu ändern, kann ich nur sagen: Geht lieber zum Pizzaladen an der Ecke und holt euch euer Essen, als bei diesen ausnutzenden Großkonzernen zu bestellen. Dadurch kann sich auch der Pizzaladen die absurden „Vermittlungsgebühren“ einsparen und hat am Ende des Tages mehr Geld in der Kassa.
Aber wenn ihr konkret etwas tun wollt, dann gebt dem schwer schuftenden Kurier ein gutes Trinkgeld, seid ihm nicht böse, wenn die Bestellung zu spät kommt. Denn in 99 Prozent der Fälle kann er selbst gar nichts dafür, und richtet der Politik aus: So kann es nicht weitergehen!
Heute sind es „nur“ die Fahrradkuriere, doch dieses Ausbeutermodell der freien Dienstnehmer:innen kann auf so ziemlich jeden anderen Beruf angewandt werden. Das können wir bei Reinigungs- und Pflegekräften bereits beobachten.
Sie können maximal 7 Forderungen auswählen und ihre Abstimmung im Nachhinein ändern.