4-Tage-Woche

Marterbauer: Jetzt wäre der beste Zeitpunkt für eine Arbeitszeitverkürzung

Wer über die 4-Tage-Woche reden will, hört sofort die Ausreden: Geht nicht, da leidet die Wirtschaft – und überhaupt: Jetzt ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Stimmt das? Wir haben Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien, genau das gefragt.

Kontrast.at: Herr Marterbauer, in einem Interview sagte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer, eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zu fordern sei „absurd“, vor allem weil jetzt der falsche Zeitpunkt wäre. Er meint damit den starken Arbeitskräftebedarf. Ist dem so? Ist es denn so absurd und schlechtes Timing?

Markus Marterbauer: Selbstverständlich ist Arbeitszeitverkürzung mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung vereinbar. Das hat auch die Einführung der 40-Stunden-Woche in den 1970er Jahren gezeigt. Die gesetzliche Arbeitszeit wurde von 45 auf 40 Stunden innerhalb von fünf Jahren verkürzt. Damals war der Arbeitskräftemangel deutlich stärker als jetzt, auf eine offene Stelle kamen 0,5 Jobsuchende, gegenwärtig sind es zwei. Und man muss sagen: Man redet immer von Arbeitskräftemangel, aber man könnte es auch Vollbeschäftigung nennen, eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ziele!

Also würde die Wirtschaft nicht zusammenbrechen.

Marterbauer: Nein! Genau zu der Frage, welche Folgen eine Arbeitszeitverkürzung für die Wirtschaft hat, haben wir beim WIFO eine Studie beauftragt. Es ist ja so: Wer Vollzeit arbeitet, möchte etwas weniger Stunden pro Woche haben, wer Teilzeit ist, möchte oft mehr Stunden arbeiten. Im Schnitt wünschen sich Beschäftigte laut der Arbeitskräfteerhebung eine um 1,2 Stunden kürzere Wochenarbeitszeit, das heißt 34,9 statt 36,1 Wochenstunden. Das sollte man nicht kleinreden, denn immerhin ist das schon ein Drittel des Weges in Richtung 32-Stunden-Woche.

Das WIFO hat untersucht, wie sich kürzere Arbeitszeiten gesamtwirtschaftlich auswirken und da sehen wir: Die Beschäftigung steigt, Arbeitslosigkeit sinkt, die Produktivität steigt, das Budgetdefizit verringert sich – das BIP wächst weniger rasch und die Preise sind geringfügig höher. Das ist alles überschaubar. Also: Eine Arbeitszeitverkürzung ist für die Gesamtwirtschaft gut verkraftbar.

In den letzten 20 Jahren ist die Produktivität der Beschäftigten in Österreich um fast 30 % gestiegen. (Quelle: OECD)

Das müsste die Industriellenvereinigung – oder auch die WKÖ und die ÖVP – auch wissen. Warum wehren die sich mit Händen und Füßen gegen einen derartigen Schritt?

Marterbauer: Die Industriellenvereinigung ist offenbar sehr in der Vergangenheit verhaftet. Aber auch die IV muss sehen: Arbeitskräfteknappheit bedeutet, dass sich die Machtverhältnisse drehen. Es sind die Unternehmen die sich anpassen und attraktiv für Arbeitskräfte machen müssen.

Es werden sich jene Firmen durchsetzen, die sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren. Und die Beschäftigten wollen nun mal weniger Belastung und Stress, kürzere Arbeitszeit und mehr Freizeit. Das wird zu einem Strukturwandel hin zu produktiven und innovativen Unternehmen führen.

Das heißt, eigentlich ist jetzt sogar genau der richtige Moment für eine Arbeitszeitverkürzung?

Marterbauer: Wenn in der Vergangenheit die Arbeitszeit verkürzt wurde, dann in Phasen der Arbeitskräfteknappheit. Denn da haben die Gewerkschaften auch mehr Durchsetzungskraft.

Ein anderes Argument, das die IV und andere aufbringen, ist eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit. Haben erfahrene Unternehmen wirklich einen Nachteil, wenn hierzulande die Wochenarbeitszeit gekürzt wird?

Marterbauer: Die Gewerkschaften berücksichtigen ja auch bei den Lohn- und Arbeitszeitverhandlungen immer die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Der Punkt ist einfach: Es gibt einen erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum und dieser muss mehr den Beschäftigten zugutekommen. In Form höherer Löhne und in Form von mehr Freizeit – also: mehr Freiheit.

Was wir auch wissen: Es gibt ja schon viele Unternehmen, die genau das tun. Die ihren Mitarbeiter:innen entgegenkommen. Vom kleinen Tischler über Gastro-Betriebe bis hin zur Industrie, wo beispielsweise Schichtmodelle umgesetzt werden mit 30-, 32- und 34-Stunden-Wochen. Man kann in den 1950ern verharren, dann wird man verlieren – oder man ist innovativ, bemüht sich um Beschäftigte auch bei den Arbeitszeiten, dann wird man Wettbewerbsvorteile haben.

Eine Debatte, die gerade auch läuft, ist jene um die Vermögenssteuer. Da möchte uns die Industriellenvereinigung auch einreden, dass man künftig jede Armbanduhr und jede Halskette beim Finanzamt melden muss. Ist dem so?

Marterbauer: Der Industriellenvereinigung geht es um Verschleierung und Intransparenz der Vermögensverhältnisse der Multimillionär:innen und Milliardär:innen. Armbanduhren und Halsketten haben nichts mit Vermögenssteuern zu tun, es geht um die großen Immobilien-, Finanz- und Unternehmensvermögen.

Der Verwaltungsaufwand der Erhebung von Vermögenssteuern ist gering, da viele Informationen ja bereits vorliegen. Es gibt Firmenbücher für Beteiligungen und Firmenvermögen, Grundbücher für Immobilienvermögen, digitale Depots etc.

Wieder einmal versucht die IV mit der Behauptung des „Nachschnüffelns“ bei der Mittelschicht, diese für die Interessen der besonders Reichen einzuspannen. Sie wird damit aber nicht durchkommen.

Die Mittelschicht ist von einer Vermögenssteuer nicht betroffen. Denn bei allen Modellen gibt es hohe Freibeträge, oft von ein bis zwei Millionen, die unangetastet bleiben. Also 96 bis 99 Prozent der Bevölkerung sind von einer Vermögenssteuer nicht betroffen. Es geht um die besonders Reichen, die besteuert werden sollen. Denn wir brauchen das Geld: Um Armut zu verhindern, die Pflege auszubauen und die Steuern auf Arbeit zu senken.

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12. März 2024
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