Der Migrationspakt ist kein Vertrag, der „unterzeichnet“ wird. Er ist vielmehr eine internationale Vereinbarung von Ländern, in der Migrationspolitik zusammenzuarbeiten. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, „dass die Migrationsproblematik von keinem Staat allein bewältigt werden kann.“ Dann begannen Österreichs Rechtsextremisten gegen die UN-Vereinbarung zu kampagnisieren und fanden in Sebastian Kurz plötzlich einen Verbündeten.
Inhaltlich bekennen sich die Länder zu folgenden Maßnahmen:
Als Sebastian Kurz Außenminister war, hat Österreich die UN-Vereinbarung, wie es sie heute gibt, mitverhandelt. Doch jetzt sagt Österreich „Njet“. Erhard Busek, ehemaliger ÖVP-Vizekanzler, kann den Schwenk nicht nachvollziehen.
„Es ist schwer erklärbar, dass sich Österreich verabschiedet, nachdem Kurz mitgewirkt hat“, sagt Busek in einem Standard-Interview.
Auch Bundespräsident Alexander van der Bellen und Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament kritisieren die Ablehnung des Paktes.
Wie ist es eigentlich zum „Nein“ gekommen? Und was sind die Folgen?
Seit September 2018 haben Rechtsextremisten in Österreich, die sogenannten „Identitären“, Stimmung gegen die UN-Vereinbarung zur Migration gemacht. Der Anführer der rechtsextremen Gruppe sah schon den „Untergang der europäischen Völker“ voraus, wenn Österreich dem Pakt zustimmt. Die „Identitären“ haben daher zu einem „Info-Krieg“ ausgerufen und gegen das Papier kampagnisiert.
Aufgegriffen hat die Kampagne das FPÖ-nahe Magazin „Wochenblick“, das schon mehrmals vom Presserat verurteilt worden ist und in dessen Redaktion ebenfalls ein bekannter Kader der „Identitären“ sitzt. Das Magazin startete eine Petition gegen die Vereinbarung.
Als nächstes war der FPÖ-Blog „unzensuriert“ am Zug und machte auf seiner Seite und in den sozialen Medien Stimmung. Zuletzt ist dann auch die „Kronen Zeitung“ auf die Kampagne aufgesprungen. Adressat der Kampagne war Sebastian Kurz – er wurde zum Handeln und zur Ablehnung aufgefordert.
Karin Kneissl, Außenministerin für die FPÖ in der Regierung, hat den österreichischen Diplomaten das OK zum Verhandeln gegeben. Kneissl wollte, dass Österreich dem UNO-Übereinkommen zustimmt. Sie hat argumentiert, dass das Papier keine Verpflichtungen oder Sanktionen beinhaltet. Doch sowohl Argumente wie Expertise der Ministerin und der Diplomaten wurden von FPÖ-Chef Strache ignoriert. Kneissl wurde FPÖ-intern zurückgepfiffen.
Das Argument der Regierung ist der angeblich „bindende“ Charakter der Vereinbarung. Doch diesen gibt es gar nicht.
„Der globale Migrationspakt ist, auch wenn sein Name anderes suggeriert, kein Vertrag. Vielmehr handelt es sich, wie auch in der Präambel klargestellt wird, um ‚einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen‘“, erklärt etwa Völkerrechtler Ralph Janik.
Kurz verspricht, Österreich werde den Pakt „nicht unterzeichnen“. Das ist korrekt. Allerdings wird kein einziges Land unterzeichnen. Denn bei der UN-Vereinbarung ist gar kein Unterzeichnen vorgesehen. Sie wird einfach unter Anwesenheit aller Staaten-Vertreter feierlich angenommen („Akklamation“). Das hätte ein Bundeskanzler, der vier Jahre Außenminister war, wissen können. Oder Kurz behauptet wider besseren Wissens etwas anderes, um Stimmung zu machen:
Trotzdem hat die FPÖ gegen den angeblichen Souveränitätsverlust gewettert. Und auch Kurz spricht nun vom Erhalt der „souveränen Migrationspolitik“, um das „Nein“ zu rechtfertigen. Es ist ein Einknicken vor der FPÖ. Die Kanzler-Partei hat sich „ein wenig hineintheatern“ lassen, fassen es ÖVPler zusammen.
Die ÖVP-Schwesterpartei CDU hat „Falschmeldungen“ zur UN-Vereinbarung kritisiert. Darunter eben jene Erzählung, der Pakt sei „bindend“. Während ÖVP und FPÖ vor „Gewohnheitsrecht“ und einem „Recht auf Migration“ warnen, agiert die CDU nüchtern und beantwortet auf ihrer Homepage Fragen zum Thema. Die CDU erklärt etwa:
Frage
Wird das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik zu regeln und für einen effizienten Grenzschutz zu sorgen, eingeschränkt?Antwort
Nein, ganz im Gegenteil. Im Pakt werden diese beiden Rechte der Staaten bekräftigt.Frage
Hilft der UN-Migrationspakt auch bei einer gerechteren Lastenverteilung?Antwort
Ja, indem er möglichst viele Herkunfts-, Transit- und Zielländer politisch einbindet, damit sie einen größeren Beitrag bei der Reduzierung der illegalen Migration und bei der Bekämpfung von Fluchtursachen leisten.
Der FPÖ war die Ablehnung der UN-Vereinbarung besonders wichtig. Denn es passt zur Kampagne gegen Zuwanderer und Flüchtlinge. Dass dazugehörige Nein der ÖVP wurde jedoch teuer erkauft. Denn im Gegenzug forderte Kurz von Strache das „Ja“ zur Enteignung von Jobsuchenden und zur Abschaffung der Notstandshilfe – und bekommt es auch.
Für Jobsuchende heißt es künftig: Arbeitslosengeld erhalten sie nur eine gewisse Zeit, danach fallen sie automatisch in die Mindestsicherung. Um diese zu erhalten, müssen sie Sparbücher und Bausparbriefe auflösen, Haus- oder Wohnung verkaufen, das Auto verkaufen. Das populistische Nein zu einem unverbindlichen UN-Papier kostet nun 160.000 Menschen in Österreich ihr ganzes Erspartes.
Grund zum Feiern sehen hingegen die rechtsextremen „Identitären“. Sie bedanken sich jetzt öffentlich bei Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl:
Zum Weiterlesen:
Wie eine Kampagne rechter Propagandisten Österreichs Ausstieg aus dem Migrationspakt beeinflusste (Neue Züricher Zeitung)
Fragen und Antworten zum globalen Migrationspakt (Blogbeitrag des Völkerrechtlers Ralph Janik)
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