ÖVP-Obmann Sebastian Kurz zeigt Verständnis für Viktor Orbán und seine Politik. Auch die Europäische Volkspartei (EVP) steht hinter dem FIDESZ-Chef. Eine Resolution im Europäischen Parlament, die die Entwicklungen in Ungarn kritisiert, lehnte die EVP ab. Dabei gibt die Politik von Orbán Grund zur Sorge. Seit 2010 gestaltet der ungarische Ministerpräsident das Land nach seinen Vorstellungen um, den ungarischen Hitler-Verbündeten Horthy nennt Orbán fast schwärmerisch einen „Ausnahmestaatsmann“. Wir zeichnen nach, wie Orbán Einfluss auf Ungarn genommen hat und was das für das Land bedeutet.
Orbán gab Medien, die nicht positiv genug über seine Partei berichtet hätten, die Schuld, dass die FIDESZ lange ihr Wahlziel einer Verfassungsmehrheit nicht erreichen konnte. Nicht verwunderlich also, dass es Orbán nach 2010 auf die Medien abgesehen hat. Er baute sich ein straff organisiertes Medienimperium auf: Alle vier ungarischen Fernsehsender, sieben Radioprogramme und die Nachrichtenagentur Magyar Távirati Iroda (MTI) wurden unter dem Dach eines Mediendienstleistungs- und Vermögensfonds (MTVA) zusammengelegt. Ab Sommer 2011 begannen Massenentlassungen. Eine neue Mediensteuer seit 2014 trifft vor allem unabhängige Medienhäuser.
Darüber hinaus stellte Orbán alle öffentlich-rechtlichen und privaten Medien unter die Kontrolle einer Behörde. Diese kann ohne parlamentarische Kontrolle Verordnungen erlassen und Geldstrafen bis zu 90.000 Euro verhängen. An der deren Spitze steht eine regierungstreue Präsidentin, die für neun Jahre ernannt wurde. Nun dominieren im öffentlichen Fernsehen Unterhaltungssendungen mit nationaler Note.
Ebenfalls ins Visier geriet der Verfassungsgerichtshof. 2010 beschnitt die FIDESZ-Regierung dessen Kompetenzen. Fortan darf er sich bei Finanzthemen nur noch in wenigen beschränkten Fällen äußern. 2013 folgte ein weiterer Einschnitt: Verfassungsrichter können sich seitdem nicht mehr auf frühere Erkenntnisse berufen. Ebenfalls verunmöglicht ist dem ungarischen Verfassungsgerichtshof außerdem die inhaltliche Prüfung von Parlamentsbeschlüssen über weitere Verfassungsänderungen.
Orbáns Regierung nutzte außerdem seine Mehrheit im Parlament, um 2011 die ungarische Verfassung nach seinen Vorstellungen zu ändern. So ist diese nun von einem „nationalen Glaubensbekenntnis“ gezeichnet. Die „Republik Ungarn“ wurde verworfen, die Nation wird ethnisch definiert. Außerdem: Wer die 1.000-jährige Heilige Krone, das Symbol des christlichen Ungarns, beleidigt, muss nun mit einem Jahr Haft rechnen.
2011 führte die Regierung den „Ungarischen Arbeitsplan“ ein. Er sieht vor, dass Sozialhilfe-EmpfängerInnen zu Zwangsarbeit herangezogen werden können – zwei Stunden Anfahrtsweg und Unterbringung in Lagern, die von ehemaligen Polizisten überwacht werden, gelten als zumutbar.
2013 hat die Regierung, um Armut unsichtbar zu machen, Obdachlosigkeit in der Öffentlichkeit verboten. Kommunen legen seitdem fest, wo keine Obdachlosen anzutreffen sind – bei Verstoß droht den Betroffenen Gefängnis.
Demgegenüber beschloss die Regierung eine Flat Tax mit einem Satz von 16 Prozent Einkommenssteuer, die Spitzenverdiener begünstigt.
2012 wurde ein „Superministerium“ für „Humanressourcen“ eingeführt – das umfassende Kompetenzen erhielt: Kultur, Bildung, Soziales, Familie, Religion, Gesundheitswesen und Minderheiten. Über all diese Bereiche entscheidet nur noch ein Mann: Zoltán Balog.
2016 führte die Regierung ein Referendum durch, um sich der Aufnahme von Flüchtlingen zu verweigern. Allerdings nahmen zu wenige UngarInnen an der Abstimmung teil, das Referendum war dadurch ungültig.
Aktuell will Orbán gegen NGOs vorgehen, die ihm lästig sind. Im Visier sind die Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ), das Ungarische Helsinki-Komitee (MHB) und der ungarische Ableger von Transparency International (TI). TASZ und MHB kritisieren immer wieder den Umgang der Regierung mit Asylbewerbern und legen dar, wie diese sowohl inländisches und internationales Recht verletzt. TI wiederum prangert die Korruption in Ungarn an.
„Diese Organisationen müssen mit allen Mitteln von hier weggeputzt werden“, erklärte Szilárd Németh, Vizefraktionschef der FIDESZ.
Ebenfalls von der Bildfläche verschwinden soll die Central European University (CEU), die ihren Sitz in Budapest hat. Mit einem Hochschulgesetz, das per Eilverfahren abgestimmt wurde, wird der CEU de facto die Existenzberechtigung entzogen. Ihr Gründer, George Soros, ist ein Feindbild für Orbán, denn er tritt für eine offene Gesellschaft ein. Schon im letzten Jahr machte der Regierungschef deutlich, dass „das Jahr 2017 von der Verdrängung der Kräfte aus Europa künden wird, die durch Soros verkörpert sind“.
Ein interessantes Detail am Rande: Orbán selbst war ein Soros-Stipendiat. 70.000 Menschen protestierten vergeblich in Budapest. Ändert sich an der aktuellen Lage nichts, wird die Universität ab 2018 keine weiteren Studierenden aufnehmen können und muss 2021 endgültig ihre Pforten schließen.
Der Ausgangspunkt für Orbáns Erfolg war die Parlamentswahl im Jahr 2002, bei der die Partei ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreicht hatte. Ab diesem Zeitpunkt vollzog die FIDESZ einen Wandel. Orbán schärfte das völkisch-nationale Profil, seiner Partei und rechnete mit liberalen Parteigefährten ab – er entschied über die DirektkandidatInnen in den Wahlkreisen. Je kantiger der Auftritt, desto besser.
Die Partei agierte insgesamt aktionistischer und populistischer . So baute die FIDESZ ein ungarnweites Netzwerk aus „Bürgerkreisen“ auf, die an die Partei gebunden wurden. Eingängige Parolen und die Nutzung neuer Medien erzeugten Stimmung gegen die damalige Regierung.
2006 erhielt die FIDESZ 42 Prozent der Stimmen, blieb aber in Opposition. Was in Ungarn folgte, waren vier „Krisenjahre“, die die FIDESZ als Opposition beflügelten. Zwischen 2002 und 2006 hatte die Regierung Ausgaben und dadurch die Staatsverschuldung erhöht. Der damals amtierende Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány gestand aber erst nach der Wahl 2006 ein, dass es um die budgetäre Lage Ungarns nicht gut bestellt war. Die Folge war nun ein neoliberales Sparprogramm. Unter anderem wurden die Mehrwertsteuer angehoben und staatliche Zuschüsse für Gas und Strom gekürzt. Demonstrationen gegen die Regierung waren die Folge, wobei die nationalistischen Kräfte die „Bewegung vom Kossuth-Platz“ nutzten, um einen außerparlamentarischen rechtsaußen-Block zu formieren. Profiteure waren die FIDESZ und Jobbik.
2008 machten sich die Folgen der internationalen Wirtschaftskrise in Ungarn bemerkbar – das Land brauchte Unterstützung und bekam ein Hilfspaket in der Höhe von 20 Milliarden Euro. Die Kosten wurden auf die Bevölkerung übergewälzt, unter anderem wurde das Pensionsalter angehoben und erneut Massensteuern erhöht. Die FIDESZ inszenierte sich als „Retterin“, die alles ändern würde. Die Chance zum Sieg bot sich 2010.
Im Wahljahr 2010 rief Orban zur „nationalen Einheit“ und zur „nationalen Revolution“ auf. Die Ungarn sollten sich – unter Führung der FIDESZ – gegen ihre Feinde wehren: gegen die Regierung, gegen die EU und das Ausland generell. Europa sei „nicht frei“, es sei in Europa „verboten, die Wahrheit zu sagen“ und überhaupt seien „verborgene, gesichtslose Mächte“ am Werk. Die Ungarn, so die Behauptung, würden von diesen Kräften unterdrückt. Um diese Erzählung vermeintlich historisch zu belegen, bezog man sich auf den Ungarn-Aufstand 1956, bei dem gegen die sowjetischen Besatzer protestiert und der niedergeschlagen wurde.
2010 holte die Partei 52,9 Prozent der Stimmen. Durch das ungarische Wahlsystem war eine Zweidrittelmehrheit bei den Sitzen im Parlament gegeben. Seitdem bauen Orbán und seine Partei das Land nach eigenen Vorstellungen um.
ÖVP-Obmann Sebastian Kurz zeigt in Interviews, sei es in der „Welt“ oder bei „Anne Will“ im deutschen Fernsehen Verständnis für Orbán und seine Politik. Kritik am ungarischen Regierungschef wertet Kurz als Behauptung „moralischer Überlegenheit“ und lässt sie nicht gelten. Bei einem Treffen der Europäischen Volksparteien in Brüssel im Juni 2017 war Orbán ein Partner:
Im EU-Parlament wurde im Mai 2017 eine Resolution verabschiedet, die die Entwicklungen in Ungarn kritisiert. So wurden Verschlechterungen in den Bereichen Rechtstaatlichkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte und der Versorgung von Flüchtlingen festgestellt. Die Resolution fordert unter anderem ein Monitoring, also die Beobachtung der Entwicklungen im Land. Abgeordnete der Europäischen Volkspartei, der auch die ÖVP angehört, lehnten die Resolution ab.
Zum Weiterlesen:
Die fünf Gründe für Orbáns Wahlsieg http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-04/ungarn-orban-wahlsieg-kommentar
Orbáns Feldzug gegen die Linken http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-06/ungarn-pressefreiheit-medien-steuern
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