Korruption

Anti-Korruptions-Experte zum Justizsystem: Österreich könnte heute nicht mehr der EU beitreten

Die ÖVP hat versucht, laufende Strafverfahren zu beeinflussen. Zu diesem Schluss kommt die Untersuchungskommission zur Causa Christian Pilnacek. Wegen der fehlenden Distanz zwischen Politik und Justiz wäre Österreich heute „nicht mehr EU-aufnahmefähig“, so Kommissionsleiter Martin Kreutner. 

In Österreich herrscht eine „hoch problematische Zwei-Klassen-Justiz“. Das sagt der Leiter der Pilnacek-Untersuchungskommission Martin Kreutner am Montag bei einer Pressekonferenz. Kreutner zufolge hätten Politiker in der Vergangenheit immer wieder Druck auf einzelne Justizbeamte ausgeübt, um laufende Strafverfahren zu beeinflussen. Dabei geht es laut dem Korruptions-Experten vor allem um ÖVP-Politiker. Zu allen Vorwürfen – von unsachgemäßen Interventionen, Compliance-Verstößen bis hin zur Weitergabe von vertraulichen Informationen – habe die Kommission Belege gefunden.

Schulnote 4 bis 5: Leiter der U-Kommission stellt Österreichs Justizsystem verheerendes Zeugnis aus

In der Zeit im Bild 2 vom 15.07.2024 legte Kreutner nach und stellte dem österreichischen Justizsystem ein verheerendes Zeugnis aus:

„Nach Notensystem würde ich sagen, sind wir, leider Gottes, wenn wir ehrlich sind, auf 4 bis 5.“

Dabei gehe es nicht um das gesamte Justizsystem – das funktioniere insgesamt hervorragend – sondern um Einzelfälle. Etwa wenn Politiker ihre Stellung oder ihre Bekanntschaft zu Justizbeamten nutzen, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Deshalb spricht Kreutner von einer „Zwei-Klassen-Justiz“.

Anti-Korruptions-Experte zum österreichischen Justizsystem: Österreich könnte heute nicht mehr der EU beitreten

Das sei auch der Grund, warum Österreich heute nicht mehr EU-aufnahmefähig wäre, so der Leiter der Untersuchungskommission in der ZiB 2. Dafür spreche allein die Tatsache, dass Staatsanwaltschaften, wie die WKStA (also Organe der unabhängigen Justiz), dem Justizministerium (einem politischen Organ) Berichte über laufende Verfahren liefern müssen. Noch dazu ist die WKStA gegenüber dem Justizministerium „weisungsgebunden“, das heißt, sie muss letztlich beim Ministerium nachfragen, ob gewisse Ermittlungsschritte erlaubt sind.

Anti-Korruptions-Experte Martin Kreutner, Leiter der Untersuchungskommission zur Causa Christian Pilnacek// Bild: ORF/Zeit im Bild 2

Pilnacek-Kommission wirft vor allem ÖVP-Politikern fehlende Distanz zur Justiz vor

Generell fehle in Österreich die Distanz zwischen Politik und Justiz, so der Korruptions-Experte am Montag bei der Präsentation des 230 Seiten langen Kommissionsberichts. Die fehlende Distanz betrifft laut Kreutner vor allem Politiker und Justizbeamte im Umfeld der ÖVP. Die Kommission verweist zum Beispiel auf die Chats zwischen OGH-Vizepräsidentin Eva Marek und dem ehemaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Darin beschwerte sich Marek über fehlende Unterstützung bei ihrer Bewerbung für den Posten.

Auch der 2023 verstorbene, ehemals höchste Beamte im Justizministerium, Christian Pilnacek, stand der ÖVP nahe. Ihm wurde vorgeworfen, mehrmals zu Gunsten der ÖVP in Ermittlungen und Prozesse eingegriffen und interne Informationen an die Partei weitergeleitet zu haben. Zum Beispiel schrieb Pilnacek in einer Nachricht an den Kabinettschef des damaligen Finanzministers Gernot Blümel (ÖVP), nachdem dessen Wohnung durchsucht wurde: „Wer vorbereitet Gernot auf die Einvernahme?“. Unter anderem deswegen wurde Pilnacek 2021 von der grünen Justizministerin Alma Zadić suspendiert.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) soll immer wieder interveniert haben

In einem heimlich aufgezeichneten Gespräch sagte Pilnacek, er werde von der ÖVP gedrängt, Ermittlungen und Hausdurchsuchungen „abzudrehen“. Er habe das jedoch nie gemacht und sei deshalb auch im Stich gelassen worden. Die ÖVP solle froh sein, wenn er nicht „auspacke“, so der langjährige Justiz-Sektionschef. Als einen Politiker, der immer wieder bei ihm interveniert hätte, nannte Pilnacek Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka von der ÖVP.

„Auffälligkeiten“ rund um Pilnaceks Tod

Im Oktober 2023 fand man Pilnacek tot am Ufer der Donau. Ein Fremdverschulden schloss die Polizei nach der Obduktion seiner Leiche aus. Die genauen Umstände von Pilnaceks Tod sind jedoch nach wie vor ungeklärt. Kreutners Kommission wollte sich dazu allerdings nicht äußern: „Wir sind keine Tatortgruppe“. Dennoch gebe es rund um Pilnaceks Ableben „Auffälligkeiten“, räumte Kreutner auf Nachfrage des Ex-Abgeordneten Peter Pilz (Zackzack) ein.

Kommission fordert eine von der Politik unabhängige Justiz

Damit Politiker und andere Entscheidungsträger die Justiz nicht zu ihren Gunsten beeinflussen können, fordert Korruptions-Experte Martin Kreutner die Gründung einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft. Nur sie soll den Staatsanwaltschaften in Zukunft Weisungen erteilen können und nicht mehr das Justizministerium. Außerdem kritisiert die Kommission, dass es zu wenig Personal in der Justiz gebe – insbesondere bei den Staatsanwaltschaften.

Besonders skurril: Die Kommission empfiehlt in ihrem Bericht außerdem die Gründung eines Suchtpräventions- und –hilfsprogramms. Denn offenbar hätten Personen aus Justiz- und Rechtsanwaltskreisen auf Feiern unter Drogeneinfluss Insiderinformationen weitergegeben, „die man nicht hätte erfahren dürfen“, so die Kommission in ihrem Bericht.

Für Aufregung sorgte am 23. Juli zusätzlich die Veröffentlichung des vollständigen Berichts. Denn das Justizministerium hat den Bericht der Kommission online gestellt, die ihn allerdings an einigen Stellen geschwärzt abgegeben hat. So sind an einigen Seiten nur einzelne Wörter lesbar, wie etwa „im Schwarzen Kameel“. Was sich in diesem Wiener Nobel-Restaurant abgespielt hat – und wer sich dort mit wem getroffen hat – bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Auf der Plattform X üben deshalb einige Journalisten Kritik, Peter Pilz kündigt eine Veröffentlichung der geschwärzten Stellen auf Zackzack.at an.

Der Artikel wurde am 16. Juli 2024 veröffentlicht und am 23. Juli 2024 aufgrund der Veröffentlichung des Berichts aktualisiert.

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7. August 2024
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