Politik

Aggressive Außenpolitik: Erdogan treibt die Türkei in militärische Konflikte

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolgt eine aggressive Außenpolitik: In gleich vier Ländern ist die Türkei militärisch aktiv. Durch Konflikte in den Ländern Irak, Syrien, Libyen und Aserbaidschan legt sich die Türkei auch mit der Supermacht Russland an. Außerdem provoziert sie die Nachbarländer Zypern und Griechenland im Streit um Gas- und Erdölvorkommen – und damit die EU. Wie kam es zu all diesen Konflikten? Und was bezweckt die Türkei damit?

Das außenpolitisch immer aggressivere Vorgehen der Türkei stößt nicht nur Russland, sondern auch die EU zunehmends vor den Kopf. Die einst engen Beziehungen zur Türkei sind nun angespannt: Noch im Jahr 2019 ging ein Drittel aller deutschen Waffenexporte an die Türkei. Bis vor kurzem galt die Türkei noch als möglicher EU-Beitrittskanditat – das liegt momentan auf Eis. Der Türkei geht es um Gas- und Erdölvorkommen und die Ausweitung ihrer Macht. Die EU, aber auch Russland versuchen die Konflikte zu entschärfen. Auch Vladimir Putin möchte aus strategischen Gründen nicht, dass sich die Spannungen weiter aufladen.

 

Ein Überblick über die derzeitigen Konflikte der Türkei

Foto: AteshCommons, Änderungen vorgenommen

  • Grün = militärische Beteiligung in aktiven Konflikten wie im Irak, Syrien, Libyen, Aserbaidschan.
  • Orange = die Türkei und das verbündete Nord-Zypern,
  • Gelb = diplomatische Auseinandersetzungen mit Zypern und Griechenland.

Doch worum geht es eigentlich genau in den einzelnen Konflikten? Beginnen wir mit Kurdistan.

Jahrzehntelanger Konflikt: Türkei gegen Kurden

Ein Video eines türkischen Drohnenangriffs geht viral: Eine Familie badet in einem Fluss im Irak. Ohne Vorwarnung geht einige Meter von ihnen entfernt eine Bombe nieder, schreiend bringt sich die Familie in Sicherheit. Doch dieser Angriff auf unschuldige Zivilisten ist leider kein Einzelfall.

Die Türkei bombardiert den Nordirak seit mehreren Jahren und seit Mitte 2020 wurden die Angriffe massiv verstärkt. Hintergrund dafür ist der schon Jahrzehnte andauernde Konflikt zwischen der Türkei und dem Volk der Kurden:

Die Kandil-Berge im Irak/Kurdistan: der letzte Rückzugsort der PKK. Foto: M moradyan

Die Kurdinnen und Kurden sind die weltweit größte Völkergruppe ohne eigenen Staat.

Sie leben im von der Türkei bombardierten Nordirak, in Syrien, dem Iran, aber auch in der Türkei selbst. Dort werden sie aber bis heute massiv unterdrückt – sogar ihre eigene Sprache war verboten. Der türkische Staat schikanierte die Kurden jahrzehntelang: Als Antwort darauf entstand die Arbeiterpartei Kurdistans, kurz die PKK. Diese griff auch zum Mittel der Gewalt um gleiche Rechte und mehr Freiheit für die Kurden zu erkämpfen.

Von der Türkei wurde die PKK daher als terroristische Organisation eingestuft. Wegen dem bewaffneten Konflikt im Südosten der Türkei wurde die PKK bis 2017 auch auf der EU-Terrorliste geführt. Das aber zu Unrecht – wie ein jüngstes Urteil ergab.

In dem Konflikt mit der türkischen Regierung kamen bereits mehrere Zehntausend Menschen ums Leben. Den jahrelangen Bürgerkrieg verlor die PKK aber und wurde damals in die Kandil-Berge im Nordirak zurückgedrängt. Um die kurdische Eigenständigkeitsbewegung endgültig zu besiegen, bombardiert die Türkei nun seit Mitte 2020 verstärkt PKK-Stellungen im Nordirak.

Damit verletzt sie aber auch die Unabhängigkeit des Iraks selbst. Unter den Drohnenangriffen leiden kurdische Zivilisten massiv – aus Furcht vor weiteren Toten wurden schon mehr als 500 Dörfer verlassen. Mittlerweile wurden auch schon türkische Soldaten im Nordirak eingesetzt.

 

Jesiden: Zuerst Völkermord durch IS-Terror, nun türkische Bomben

Doch unter den Bombenopfern sind nicht nur Kurden, sondern auch Jesiden. Sie sind eine ethnisch-religiöse Minderheit mit mehreren hunderttausend Angehörigen. Ihre ursprüngliche Hauptsiedlungsgebiete liegen im nördlichen Irak, in Nordsyrien und in der südöstlichen Türkei.

Die Türkei nutzt Drohnen für militärische Bombardements. Foto: Bayhaluk

Die Situation der Jesiden war aber schon davor katastrophal: Die Volksgruppe der Jesiden litt am meisten unter dem IS-Terror. Man spricht vom Genozid, einem Völkermord: Denn es kam zum Massenmord an den Männern und der Verschleppung und Versklavung der jesidischen Frauen und Kinder seit Kämpfer des selbsternannten Islamischen Staats im Jahr 2014 Teile des Nordirak eroberten. Seit dem Ende der Terrorherrschaft des IS findet man immer wieder Massengräber. Eine große Anzahl an jesidischen Häuser liegen noch immer in Schutt und Asche. Der Beschuss durch die Türkei verschlimmert ihre Lebenssituation nun weiter.

Türkische Söldner terrorisieren Nordsyrien

Doch auch Nordsyrien ist ein Schauplatz der türkischen Angriffe: Auch dort führen sie einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Traurige Berühmtheit erhielt etwa die kurdische Politikerin Hevrîn Xelef, die türkische Söldner 2019 an einer Straßensperre töteten. Die Gräueltat wurde damals sogar gefilmt, um andere Frauen gezielt einzuschüchtern. Ein Kriegsverbrechen, aber nur eines von vielen in der nördlichen syrischen Region Afrin.

Demonstranten in Berlin halten den Banner der ermordeten kurdischen Politikerin Hevrîn Xelef hoch. Eines von vielen Kriegsverbrechen, begangen von türkischen Söldnern. Foto: Leonhard Lenz

Doch wer sind diese türkischen Söldner eigentlich? Das sind gegen Bezahlung angeworbene, zumeist zeitlich befristet dienende und durch einen Vertrag gebundene Soldaten. Die Türkei wirbt dafür meist Syrer an, die im syrischen Bürgerkrieg gegen den Diktator Baschar Al-Assad gekämpft hatten. Ein großer Teil der Söldner sind Islamisten, Vertreter einer fundamentalistischen Anschauung des Islam, die einen Gottesstaat anstreben und Frauen- und Minderheitenrechte ablehnen. Diese hatten die Region Nordsyriens bereits 2016 besetzt.

Nordsyrien galt als Vorzeigebeispiel

Doch ursprünglich war der Norden Syriens ein Vorzeigebeispiel des Nahen Ostens für Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte gewesen. Denn im Jahr 2013 hatte sich der syrische Diktator Baschar Al-Assad aus der Region zurückgezogen. Fortan füllten kurdische und andere ethnische und religiöse Minderheiten das Machtvakuum und gestalteten ein friedliches Zusammenleben in Nordsyrien. Einige der positiven Änderungen, die umgesetzt wurden:

  • Nordsyrien wurde demokratisch regiert;
  • Frauenrechte wurden garantiert: In jedem Dorf wurde ein Frauenhaus zum Schutz vor häuslicher Gewalt aufgebaut, in der Politik wurde eine Frauenquote von 40 Prozent eingeführt, die die weibliche Mitbestimmung absichern soll;
  • Kinderehen wurden abgeschafft und es wurde konkret gegen sogenannte ‚Ehrenmorde‘ vorgegangen; (also Morde an einem meist weiblichen Familienmitglied als Strafe für eine vermutete Verletzung der Verhaltensregeln innerhalb einer Familie)
  • Die Rechte und Pflichten des Ehegesetzes wurden reformiert: Zwangsehen und Polygamie (die Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen) wurden verboten. Menschen in Nordsyrien können zusätzlich nun auch zivil heiraten. Das erleichert Ehen zwischen unterschiedlichen Glaubensrichtungen, zum Beispiel zwischen Christen und Muslimen.

Gerade wegen all dieser Fortschritte in den Bereichen Demokratie und Gleichberechtigung von Frau und Mann, aber auch zwischen unterschiedlichen Glaubensrichtungen, fürchtete sich die Türkei. Sie hatte Angst, dass eigenständige kurdische Gebiete in Nachbarländern der Türkei, die kurdische Bevölkerung innerhalb der Türkei zu Selbstbestimmungsversuchen anregen könnten.

Brutale und gezielte Gewalt gegen Frauen

Deswegen schickte die Türkei Söldnerheere nach Nordsyrien und besetzte die Region Afrin im Nordwesten des Landes. Das friedliche Zusammenleben wurde damit zerschlagen – nun regieren islamistische Söldner mit türkischer Unterstützung. Besonders die Frauen Afrins leiden unter den Besatzern: Ihre zuvor erkämpften Rechte wurden komplett rückgängig gemacht. Mehr noch: Der UNO-Menschenrechtsrat spricht von einem Krieg gegen Frauen. Hunderte von Frauen sind brutal ermordet, entführt, vergewaltigt, in die Prostitution gezwungen oder zwangsverheiratet worden.

„Sie töten wie in der Steinzeit: grausam, und absolut unmenschlich,“ sagt Shemsa, die selbst Opfer ihrer Gewalt wurde. „Frauen sind das Ziel ihrer Gewalt. Wir sind das Fundament unserer Gesellschaft, deshalb versuchen sie uns zu zerstören, zu brechen – wie sie das mit Hevrin Khalaf [Anm.: der kurdischen Politikerin] getan haben – die, wie alle gesehen haben, unbewaffnet war.“

Der türkische Einmarsch in Nordsyrien entfachte aber auch einen Konflikt mit Russland: Denn Moskau unterstützt den syrischen Machthaber Baschar Al-Assad. Dieser hatte zwar nur geringe Kontrolle über Nordsyrien, betrachtet das Gebiet aber trotzdem als Teil Syriens. Durch diesen Angriff provoziert die Türkei also nicht nur Syriens Diktator Al-Assad, zerstörte bewusst ein friedliches Zusammenleben und unterstützt organisierten islamistischen Terror gegen Zivilisten (und vor allem gegen Frauen) – die Türkei legt sich auch noch mit Vladimir Putins Russland an.

Zypern, Libyen und das Erdöl im Mittelmeer

Grenzzaun zwischen Zypern und Türkisch-Zypern. Seit 1974 ist Zypern geteilt. Foto: David Ben Splitt

Zusätzlich zu den Konflikten in Syrien und dem Irak kommen auch in Libyen türkische Söldner zum Einsatz. Statt um die Einschüchterung der kurdischen Bevölkerung, geht es der Türkei um die Ausweitung der wirtschaftlichen und politischen Einflusszone. Kurz gesagt: Um Erdöl.

Denn: Im östlichen Mittelmeer gibt es enorme Gas- und Erdölvorkommen. Das Erdölvorkommen im Mittelmeer ist fast so groß wie das von Norwegen, Europas zweitgrößtem Erdölförderer. Eigentlich gehören große Teile dieses Gas- und Erdölvorkommens Griechenland, das mit seinen vielen Inseln die Meeresgrenzen der Türkei stark beschränkt. Die Lage wird durch die türkische Besetzung Nordzyperns weiter kompliziert. Denn die Türkei eroberte 1974 den Norden der Mittelmeerinsel. Die Besetzung wird allerdings international nicht anerkannt. Sämtliche Meeresgrenzen um Zypern gehören nach internationalem Recht zum EU-Mitglied Zypern. Trotzdem beansprucht die Türkei in dem Gebiet Bohrrechte für Gas und Erdöl.

 

Deshalb hat die Türkei einen Deal mit der libyschen Regierung geschlossen: Für die türkische militärische Unterstützung durch Söldner und Drohnen bekommt die Türkei exklusive Bohrrechte im Mittelmeer.

Der Fall Libyen: 1 Land, 2 Regierungen

Nun ist die Situation in Libyen selbst aber kompliziert: Seit dem Sturz des Langzeitdiktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 befindet sich Libyen in einem Bürgerkrieg. Die Türkei unterstützt seitdem die international offiziell anerkannte Regierung der Nationalen Übereinkunft. Sie herrscht aber nur über den Westen Libyens. Der Osten des Landes wird von General Chalifa Haftar regiert. Dieser genießt wiederum die Unterstützung Russlands. Nun stellen beide Mächte – die Türkei und Russland – Söldnertruppen der jeweiligen Regierung in Libyen zur Seite. Das verschärft den Konflikt zwischen der Türkei und Russland naturgemäß zusätzlich.

In Libyen stehen sich der Osten und der Westen seit dem Bürgerkrieg gegenüber. Die Regierung im Westen ist von den Vereinten Nationen anerkannt – die militärische Führung im Osten wird vom russischen Präsidenten Vladimir Putin unterstützt.

Zurück zu den Bohrrechten, die die Türkei im Austausch für Söldnertruppen erhält: Diese von der libyschen Regierung vergebenen Bohrrechte beziehen sich nämlich auf Gebiete im Territorium Griechenlands. Diese illegalen Erdöl-Bohrungen der Türkei sorgen für einen Konflikt zwischen der Türkei und dem EU-Land Griechenland. Beide Länder begegnen sich mittlerweile mit Kriegsschiffen im Mittelmeer. Das Absurde an der Situation: Griechenland und die Türkei sind eigentlich beide Mitglieder des gleichen Militärbündnisses, der NATO.

Soldaten für Aserbaidschan

Doch auch damit nicht genug: Auch in Aserbaidschan kämpften türkische Söldner. Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien dreht sich um die Region Bergkarabach: Eigentlich ein armenisches Gebiet, das allerdings von Aserbaidschan beansprucht wird. Kontrast.at hat bereits berichtet. Aserbaidschan wird von der Türkei unterstützt, denn die beiden Länder sind kulturell verbunden – Erdoğan spricht gerne von „Zwei Staaten, eine Nation“.  

Wie viele Söldner aus Syrien nach Aserbaidschan geschickt worden sind, um dort gegen Armenien zu kämpfen, ist unklar. Russische Medien sprechen von 2000 Kämpfern, der deutsche Spiegel geht von mindestens 1000 Söldnern aus. Die Türkei und Aserbaidschan hingegen streiten den Einsatz von Söldnern in dem Konflikt komplett ab. Dagegen sprechen Medienberichte von Familien getöter Syrer, welche von der Türkei als Söldner angeworben wurden.

Not und Verzweiflung treibt in diesem Fall oftmals junge Männer in den Krieg: Für Zweitausend Dollar werden die gerade Volljährigen rekrutiert und an die Front des Kriegsschauplatzes gebracht. Viele sterben, wofür sie kämpfen ist ihnen nicht einmal klar.

„Geld ist der einzige Grund“, sagt ein junger Söldner. „Wer will nach Aserbaidschan gehen? Wer weiß überhaupt, wo Aserbaidschan liegt?“

 

Monument eines Panzers in Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs. Stephanakert ist nach den Kämpfen in 2020 eine der letzten Städte in Bergkarabach vor der aserbaidschanischen Grenze. Foto: Marcin Konsek

Der Krieg in Bergkarabach wurde mittlerweile beendet: Armenien hat verloren, Aserbaidschan mit türkischer Unterstützung gewonnen. Ein großer Teil der Region Bergkarabach geht nun an Aserbaidschan, denn Armenien musste nach hohen Gebietsverlusten während der Kämpfe einen Friedensvertrag unterschreiben. Als großer Vermittler in diesem Konflikt präsentierte sich nun nicht zuletzt aber Russland. Russische Soldaten sollen nun in Zukunft die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan sichern und so die Einhaltung des Friedensvertrages gewährleisten.

Erdogan legt sich mit Russland an

Durch diese zahlreichen Eingriffe in fremde Staatsgebiete durch türkische Söldner verstrickt sich die Türkei wie schon erwähnt, auch in einen Konflikt mit der Supermacht Russland und ihrem Präsidenten Vladimir Putin. Denn dieser unterstützt in Libyen und Syrien jeweils die andere Seite der Konfliktparteien.

Der Schein trügt: Russland und die Türkei stehen sich im Nahen Osten als Feinde gegenüber. Foto: Russian Presidential Executive Office

Mit dem Einsatz von Söldnern gegen Armenien, einem historischen Verbündeten Russlands, kommt nun ein dritter Konflikt hinzu, in dem sich die Türkei mit Russland angelegt hat. Was nicht ganz ungefährlich für die Türkei ist: Russland ist eine militärische Supermacht. Ein Konflikt zwischen der Türkei und Russland könnte außerdem die Konflikte in Syrien und Libyen noch weiter verschlimmern. Auch der junge Frieden in der armenisch-aserbaidschanischen Konfliktregion Bergkarabach könnte dadurch wieder eskaliert werden.

Die Türkei will zur regionalen Supermacht werden

Doch warum führt die Türkei so viele Kriege gleichzeitig? Und warum beginnt sie sie überhaupt? Erdoğans aggressive Außenpolitik knüpft an die Politik des Osmanischen Reiches an. Das Osmanische Reich beherrschte bis 1920 große Teile des Nahen Ostens und war damit eine regionale Supermacht. Nachdem das Osmanische Reich den Ersten Weltkrieg zusammen mit Deutschland und Österreich-Ungarn verloren hatte, verlor es viele Gebiete wie den Irak und Syrien. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg kratzte am Nationalstolz der Türkei und stärkte gleichzeitig den aufkommenden Nationalismus im Land. Ähnlich war es in Deutschland und Österreich.

Der in der Türkei relativ weit verbreitete Nationalismus bietet nun die Basis für Erdoğans Ziel die Türkei wieder zur regionalen Supermacht im Nahen Osten zu machen. Kritiker der Erdoğan-Regierung sprechen vom Neoosmanismus, in Anlehnung an das alte osmanische Reich.

Die türkische Regierung möchte mit ihrer aggressiven Außenpolitik aber auch von innenpolitischen Themen ablenken: Man schränkt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger immer mehr ein, gleichzeitig leidet man aber unter hoher Inflation, also darunter, dass die türkische Währung, der Lira, immer weniger wert wird. Das heißt, auch der türkischen Bevölkerung geht es wirtschaftlich nicht gut. So erhofft die Erdoğan-Regierung sich, durch ihre Kriegsführung trotzdem die Stimmen nationalistischer Wähler zu sichern.

Entgegen der aggressiven türkischen Politik, sind aber sowohl Russland als auch die EU bemüht die Beziehungen zur Türkei zu entspannen – allerdings aus unterschiedlichen Gründen.

Russland um Entspannung bemüht

Russland selbst ist um eine Entspannung in den Beziehungen zur Türkei bemüht. Denn die Türkei sorgt durch ihre aggressive Außenpolitik für Chaos bei den westlichen Gegnern Russlands: Einmal schließt sich die Türkei mit der Nato zusammen, einmal mit Russland. Das entspricht ihrem Selbstverständnis als Regionalmacht. Frankreichs Präsident spricht von einem „Türkei-Problem“ der NATO, denn diese halte sich einfach nicht an Bündnisabkommen.

Momentan sorgt die Türkei für Chaos in der NATO, und das nützt Russland. Russland will den Konflikt mit der Türkei also nicht verschlimmern, denn das würde die Türkei wieder stärker an die NATO und ihre Mitglieder binden.

Russland fürchtet außerdem, die Türkei könnte muslimische Separatisten wie im russischen Tschetschenien befeuern sich gegen Russland aufzulehnen. Und Putin möchte Konflikte direkt vor seiner Haustür, wie im Falle von Armenien und Aserbaidschan möglichst vermeiden. Deswegen war auch Putin der Friedensvertrag im Konflikt Bergkarabach besonders wichtig. Die Beziehung EU-Türkei hingegen wirkt angespannter denn je.

Die Beziehungen EU-Türkei sind schwer gestört

Ursprünglich war die Türkei ein enger Partner Europas: So ist die Türkei Mitglied des westlichen Militärbündnisses NATO und des Wirtschaftsbündnisses OECD. Zumindest formell ist die Türkei auch momentan noch ein Beitrittskandidat für die Europäische Union. Ein EU-Beitritt der Türkei wurde in den letzten Jahren aber immer unwahrscheinlicher. Der Grund: Nach einem gescheiterten Militärputsch gegen Erdoğan 2016 reagierte seine Regierung mit einer Verhaftungswelle gegen alle Kritiker. Politische Gegner Erdoğans, wie etwa Mitglieder der kurdischen Oppositionspartei HDP, werden eingesperrt. Diese autoritäre Vorgehensweise Erdoğans schreckte viele Europäer ab. Seitdem liegen die Beitrittsverhandlungen auf Eis.

Die türkische Regierung unterdrückt jede Opposition: Polizeirazzia gegen die kurdische, oppositionelle Partei HDP in Diyarbakır. Foto: Mahmut Bozarslan

EU-Türkei: Abhängigkeiten und gute Geschäfte

Trotzdem sind sowohl EU als auch Türkei voneinander abhängig: Für die Türkei ist die EU der wichtigste Handelspartner. In der Flüchtlingsfrage ist hingegen die EU abhängig von der Türkei. Außerdem machen die EU-Länder auch ein gutes Geschäft mit Waffenexporten an die Kriegsmacht Türkei.

Rund ein Drittel aller Waffenexporte Deutschlands im Jahr 2019 gingen an die Türkei. Da die EU aber nicht aktiv die Kriege in Syrien unterstützen wollte, vereinbarte man noch im selben Jahr einen Lieferstopp – verpflichtend war dieser aber nicht. Jedes EU-Land muss dies für sich selbst beschließen.

Die türkische Erpressung der EU

Doch auch in der EU-Flüchtlingsfrage spielt die Türkei eine Rolle: Denn 2016 schloss die EU einen Pakt mit der Türkei. Und der ging so: Gegen hohe Geldsummen verhindert die Türkei, dass Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien weiter in die EU reisen. So machte sich die EU aber erpressbar. Denn sie nahm sich die Möglichkeit wegen all der anderen Konflikte und Menschenrechtsverletzungen mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Etwa mit Wirtschaftssanktionen. Die Türkei nutzt diese Situation nun geschickt aus, und setzt die geflüchteten Menschen aus der Kriegsregion Syrien als politische Waffe ein. Türkisches Druckmittel ist es nun, die Geflüchteten über ihre Landesgrenze in die EU zu lassen. Indem die Türkei Menschen zu einer politischen Waffe instrumentalisiert, gewinnt sie so ein Druckmittel gegen Europa.

Tötungsdrohnen-Motor „made in Austria“

Österreich beschloss etwa 2016 ein Waffenembargo gegen die Türkei. Trotzdem machten auch danach noch österreichische Unternehmen Geschäfte mit der türkischen Rüstungsindustrie. So flogen türkische Kampfdrohnen im Armenien-Aserbaidschan-Konflikt mit österreichischen Motoren, hergestellt in Wels. Weder die Hersteller, das Unternehmen Rotax, noch der Staat Österreich fanden das falsch. Denn die Motoren seien Freiware, können also „legal ohne die Einholung einer vorherigen Genehmigung durch das Wirtschaftsministerium in die Türkei exportiert werden konnten und können“, wie Wolfgang Schneider vom ÖVP geführten Wirtschaftsministerium erklärt.

Doch eben diese Kampfdrohnen kamen im Nordirak, Libyen und Nordsyrien zum Einsatz und wurden auch an Aserbaidschan weiter verkauft. Oktober 2020 reagierte das Unternehmen Rotax schließlich auf öffentliche Proteste und stoppte den Motorenverkauf an die Türkei.

Doch auch Deutschland liefert trotz Waffenembargo weiter Militärgerät: Denn das deutsche Waffenembargo betrifft nur Waffen, die in Syrien eingesetzt werden könnten, nicht aber in all den anderen türkischen Konflikten. So werden besonders Materialien für den Bau von Kriegsschiffen und U-Booten weiter an die Türkei verkauft. Mit der Gefahr, dass diese bei einem Konflikt im Mittelmeer gegen das EU-Mitglied Griechenland eingesetzt werden könnten.

Kurdische Kämpferinnen der YPJ während der türkischen Offensive auf Afrin. Während der Kämpfe in Afrin standen sie deutschem Exportgut gegenüber: Leopard-Panzern. Foto: Kurdishstruggle

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1463 Stimmen
    59% aller Stimmen 59%
    1463 Stimmen - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 375 Stimmen
    15% aller Stimmen 15%
    375 Stimmen - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 306 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    306 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 214 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    214 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 109 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    109 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2467
12. März 2024
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