Medien & Kritik

Wikipedia: Wie konservative und rechtsextreme Autoren das freie Lexikon manipulieren

Wikipedia ist die DAS globale Lexikon. Die Wikipediaszene in Österreich ist jedoch klein. Das machen sich rechte Parteien & konservative Kampfposter bzw. Autoren zunutze, um dort zu manipulieren. Dazu sind Frauen auf Wikipedia sowohl bei Autorenschaft als auch in den Einträgen stark unterrepräsentiert.

Wer etwas wissen will, googelt und landet dann meist auf Wikipedia. Die Online-Enzyklopädie ist die fünft beliebteste Internetseite weltweit. Dass man dort so viele Informationen findet, liegt daran, dass viele Menschen ehrenamtlich Zeit investieren, recherchieren und Artikel verfassen. Doch es werden immer weniger und das nützen rechte Parteien und Kampfposter, um die Einträge zu manipulieren. Betrachtet man die Versionsgeschichte von Beiträgen über Spitzenpolitiker oder politischen Skandale stößt man auf ein rechtes Netzwerk, das die Wikipedia missbraucht.

Wikipedia Szene in Österreich ist recht übersichtlich

In der österreichischen Wikipedia Szene gibt es nur etwa 57 sehr aktive Nutzer, die mehr als 100 Bearbeitungen pro Monat durchführen. Darunter fallen Aufgaben von der Erstellung ganzer Absätze bis hin zum Ausbessern von Beistrich-Fehlern. Je mehr man bearbeitet, desto höher steigt man in der Wikipedia Hierachie auf und bekommt dadurch zusätzliche Rechte. Von diesen 57 Usern kümmern sich gerade einmal zehn um politische Artikel.

Wer also Informationen über die Ibiza-Affäre, Sebastian Kurz, Herbert Kickl oder Tal Silberstein sucht, bekommt Informationen, die durch die Weltsicht von zehn Wikipedia-Usern geprägt sind. Das Potential haben vor allem rechte Parteien erkannt.

Ein rechtes Wikipedia Netzwerk

Eine Schlüsselfigur im rechten Wikipedia-Netzwerk ist etwa der User Benqo. Er allein ist für 11.000 Änderungen in der Wikipeida verantwortlich, die meisten davon im Bereich Innenpolitik. Sieht man sich diese genauer an, lässt sich unschwer ein politischer Kurs erkennen. Er erstellte innerhalb von einem Tag einen Artikel über die Silberstein-Affäre mit 130 Einzelnachweisen und über 4.000 Wörtern.

Benqo schwächt Kritik an Politikern der ÖVP und FPÖ ab, löscht kritische Anmerkungen zu rechtsextremen Medienprojekten wie dem Wochenblick, während er kritische und linke Medien als Quellen entfernt. Und nebenbei versieht er den Artikel über die bekanntermaßen ÖVP-freundliche Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon mit einem schmeichelhafteren Bild.

Machen User wie benqo das alles ehrenamtlich in ihrer Freizeit oder stecken hier Mitarbeiter von FPÖ oder ÖVP dahinter? Oder handelt es sich bei Autoren wie benqo um gemeinschaftlich genutzte Accounts der politischen Rechten?

Benqo ist mittlerweile abgetaucht, kurz nachdem das Wochenmagazin profil über sein Wirken in der Wikipedia berichtet hatte. Nicht unwahrscheinlich ist, dass der oder die Autoren, die hinter dem Pseudonym benqo standen, nun mit anderen Accounts das Online-Lexikon in ihrem Sinne bearbeiten.

Bearbeitungskrieg bei Kickl

Ein Verbündeter von Benqo ist der User Pappenheim. Neben zahlreichen militärhistorischen Einträgen liefert er sich zum Beispiel einen Bearbeitungskrieg im Artikel über den ehemaligen Innenminister Herbert Kickl. Darin ging es etwa darum, ob erwähnt wird, dass Kickl bei einem rechtsextremen Kongress als Gastredner aufgetreten ist. Pappenheim streicht die Passage und argumentiert das so:

Für das DÖW (Anm. d. Red. Dokumentationsarchive des österreichischen Widerstandes) ist ohnehin alles rechtsextrem, was nicht links ist“. Er greift das Dokumentationsarchiv in weiterer Folge noch direkter an und bezeichnet es als Institution „in der sich Pseudodoktoren als Politwissenschafts-„Experten“ herumtreiben, die zu ihren Studentenzeiten für den KSV aktiv waren.“

Die ÖVP professionell am Werk

Am 30. Dezember Früh wurde in mehreren Medien veröffentlicht, dass Susanne Raab Integrationsministerin werden soll. Bereits am Tag davor um 19:59 wurde anonym eine Wikipedia-Seite über Raab angelegt. Wenn Medien und Politikinteressierte Informationen zu Susanne Raab suchen, finden sie als erstes Ergebnis auf Google den Wikipedia-Eintrag. Der ist durchwegs positiv gestaltet samt Links zu gefälligen Interviews.

Internationale Untersuchungen

Im englischsprachigen Raum wurden auch bereits Versuche unternommen, den politischen Bias von Wikipedia-Artikeln zu analysieren. Dafür wurden Begriffe, die politischen Playern eindeutig oder in klarer Tendenz zugeordnet werden können, gezählt und aus dem Verhältnis dieser Begriffe ein Bias-Score errechnet, der Ausprägung in Richtung des politischen Bias bestimmen sollte.

Festgestellt wurde auch, dass eine höhere Anzahl an Edits die Neutralität erhöhte. „Schuld“ an politischer Schieflage bzw. fehlender Neutralität von Artikeln sind nicht die Wikipedia-Autorinnen und Autoren. Vielmehr kann einzelnen Lobbyisten nicht ausreichend beigekommen werden, insbesondere bei „Nischenthemen“, die von einem eher kleinen Kreis an Usern bearbeitet werden.

Wissenshierarchien, Selbstbewusstsein und Standing

Insbesondere bei der Einflussnahme durch das Löschen missfallender kritischer Ergänzungen fallen Wissenshierarchien stark ins Gewicht: Denn das Wikipedia-Regelwerk liefert, genau gelesen und weit ausgelegt, einiges an Argumenten, mit denen der Großteil aktueller politischer Entwicklungen aus der Enzyklopädie gedrängt werden kann. Tagesgeschehen sei demnach nicht relevant und man müsse nicht jede Entwicklung abbilden, sondern nur die langfristig relevanten. Welche darunter fallen ist freilich meist erst im Nachhinein klar zu beurteilen und fällt eher in den Bereich der Spekulation. Hier kommt es darauf an, wer selbstbewusst genug ist, Änderungen komplett rückgängig zu machen und außerdem das entsprechende Standing hat, dass diese Beurteilung von der Community auch angenommen wird.

Frauen sind auf Wikipedia unterrepräsentiert

Ein weiteres problematisches Phänomen in der globalen Wikipdia ist die antifeministische Schlagseite des Lexikons. Frauen und Artikel über sie sind auf Wikipedia stark unterrepräsentiert. Laut internen Schätzungen sind von den aktiven Wikipedia Autoren 10 – 20 % Frauen. Von den biografischen Artikel auf Wikipedia behandeln nur etwa 18 % Frauen, was sich allerdings durch die historische Entwicklung der Geschlechterrollen in den globalen Gesellschaften erklären lässt.

Um dem entgegenzuwirken, hat sich die Gruppe „Women in red“ gegründet. Der Name leitet sich davon ab, dass Persönlichkeiten über die es noch keinen Artikel gibt in Wikipedia rot markiert werden. Das Ziel der Gruppe ist es, den Anteil an Biographien über Frauen zu erhöhen und nach Eigenangabe 2.000 Artikel im Monat dazu beizutragen.

Kollaborativer Journalismus
Liebe Leserin, lieber Leser!

Dir fehlt was? Poste unterhalb dieses Artikels weitere Informationen zum Thema. Brauchbare Inhalte mit Quellenangabe bauen wir – mit Verweis auf deinen Kommentar – in den Text ein. Alternativ kannst du uns auch ein Mail schicken!
Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1736 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1736 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 464 Stimmen
    16% aller Stimmen 16%
    464 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 363 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    363 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 284 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    284 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 145 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    145 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2992
12. März 2024
×
Von deiner IP-Adresse wurde bereits abgestimmt.
Share
Gerald Demmel und Marco Pühringer

Neue Artikel

Die EU-Fraktionen: Diese Parteien kannst du bei der EU-Wahl wählen

Am 9. Juni findet die EU-Wahl statt. Nach der Wahl bilden unsere österreichischen Parteien im…

7. Mai 2024

Extrem – das will Kickl: Arbeiterkammer zerschlagen, Fahndungslisten für Andersdenkende, gegen Klimaschutz

Eine Frauenpolitik aus den 50ern, Zerschlagung der Arbeiterkammer und ein schleichender EU-Austritt: Das sind nur…

7. Mai 2024

Die FPÖ in Brüssel: Mehr für Konzerne, wenig für die Beschäftigten, statt die Menschen: Das ist blaue EU-Klimapolitik

Das Europäische Parlament beschließt Gesetze zum Kampf gegen die Klimakatastrophe und zum Schutz der Menschenrechte:…

7. Mai 2024

So weit hinten wie noch nie: Österreich stürzt bei Pressefreiheit auf Platz 32 ab

Reporter ohne Grenzen (ROG) veröffentlichen jedes Jahr ein Ranking, wie es um die weltweite Pressefreiheit…

3. Mai 2024

AK-Wahlen: Sozialdemokratie gewinnt – Regierungsparteien verlieren

Die Fraktion der sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG) gewinnen trotz leichtem Minus die AK-Wahlen klar. In sieben…

3. Mai 2024

Die Familie Lopez aus Haslach: Bestens integriert, trotzdem abgeschoben!

2021 kam die Familie Lopez nach Haslach in Oberösterreich. Die Mutter fand schnell Arbeit als…

2. Mai 2024