Österreich steht vor dem zweiten Lockdown. Die Regierung hat eine neue Covid-Verordnung beschlossen und warnt vor baldigen Engpässen in den Spitälern, wenn die Kontaktbeschränkungen nicht eingehalten werden. Doch im Vergleich zum März fiel die Zustimmung zu den Maßnahmen von 91 auf 53 Prozent. Und auch Kanzler Kurz stürzt von 67 Prozent Zustimmungswert auf Minus 2 ab. Dafür gibt es einige Gründe.
„Wir sehen quer durch alle Daten, es gibt eine Verunsicherung, eine Müdigkeit, eine Ratlosigkeit“, sagte die Leiterin des Gallup-Instituts, Andrea Fronaschütz, bei einer Online-Pressekonferenz im Oktober. Um fast 40 Prozent ist das Zutrauen der Bevölkerung in die Corona-Maßnahmen der Regierung seit März gefallen. Das liegt auch am Krisenmanagement der Regierung.
Wie sich die Zahlen im Herbst entwickeln werden, war vorhersehbar, doch die türkis-grüne Regierung hat die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verloren. Die Regierung sprach bis vor zwei Wochen noch von stabilen Verhältnissen auf hohem Niveau und davon, dass sie die Situation unter Kontrolle habe. Das hatte sie aber offenbar nicht.
Dass die Ansteckungszahlen ohne gezielte Maßnahmen wieder außer Kontrolle geraten werden, war spätestens im September für viele ExpertInnen klar. Seit Juni stiegen die Corona-Fälle exponentiell an, dennoch tat die Regierung den gesamten Sommer so, als wäre das Schlimmste vorbei.
Jetzt werden den Österreichern strengere Maßnahmen auferlegt, „als nötig gewesen wären, hätte man sie früher schon auf auf tieferem Niveau getroffen“, schreibt der Virologe Robert Zangerle von der Med-Uni Innsbruck im Falter.
Das späte Reagieren führt nicht nur dazu, dass es schneller zur Spitalsengpässen kommt und im schlimmsten Fall nicht mehr alle Patienten behandelt werden können. Es hat noch einen anderen Effekt, der die Zustimmung der Menschen untergraben kann: „Je später Maßnahmen gesetzt werden, desto ungerechter werden sie“, urteilt Zangerle.
Solange man die Mehrzahl der Fälle durch Contact Tracing und Clusteranalysen noch einzelnen Ausbruchsherden zuordnen kann, lässt sich auch gezielt reagieren: Lokale schließen, die Abstands- und Belüftungsregeln nicht einhalten, Chorproben in geschlossenen Räumen verbieten und nur noch im Freien erlauben, aber Bereiche offen halten, in denen keine Infektionen nachgewiesen wurden. Das geht aber nur so lange, solange Cluster verlässlich nachverfolgt werden können.
Mittlerweile werden 52 Prozent der Corona-Fälle privaten Haushalten zugeordnet. Das heißt nicht viel mehr, als dass man bei der Mehrzahl der Fälle nicht mehr weiß, wie das Virus in den Haushalt gekommen ist. Oder wie der Mediziner Christoph Wenisch am 28.10. in der ZiB2 sagte:
„Ansteckung war im Privaten, das bedeutet nichts anderes, als ich weiß es nicht“.
Was das Infektionsgeschehen wirklich vorantreibt, sind die Quellcluster – sei es im Chor, in der Fußballkantine oder im Büro. Der deutsche Virologe Christian Drosten betont, dass die Infektion sich nach wie vor in Clustern verbreitet, dass die Gesundheitsämter diese Cluster aber nicht mehr nachverfolgen können. Es ist aktuell fast nicht mehr möglich, Ansteckungen im öffentlichen Verkehr, beim Einkaufen oder in Restaurants nachzuvollziehen – das führt dann zu flächendeckenden Schließung von Gastronomie und Kultureinrichtungen statt zu gezielten Maßnahmen. Und Einrichtungen, die viel in Covid-Schutz investiert haben, haben jetzt nichts davon.
Die SPÖ-Vorsitzende und Virologin Pamela Rendi-Wagner fordert daher einen unabhängigen Expertenrat, der die Maßnahmen wissenschaftlich begleitet und begründet.
Es ist „dringend erforderlich, dass transparente Datengrundlagen aufbereitet werden, die für jeden ganz klar den Zusammenhang zwischen den gesetzten Maßnahmen und den zugrundeliegenden Daten und Fakten erkennen lassen“,
heißt es in einem parlamentarischen Entschließungsantrag. Diese ExpertInnen sollen untersuchen, ob die Maßnahmen zu den Forschungsergebnissen passen und ob sie auch wirklich das gelindeste Mittel sind.
Es gibt eine dramatische Zunahme von Covid-19-Fällen, die in den Spitälern intensivmedizinisch betreut werden müssen. Seit vergangenem Montag ist die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen um 78 Prozent und in Spitälern um 62 Prozent gestiegen.
Zum Vergleich: Deutschland hat weniger als die Hälfte der Fälle pro Einwohner als Österreich – das gilt auch für die Zahl der Corona-Patienten in Krankenhäusern und auf Intensivstationen. Trotzdem gelten dort ähnliche Maßnahmen wie in Österreich, um das Gesundheitssystem zu schützen.
Am Montag sprach der Gesundheitsminister bereites von 336 Patienten, die intensivmedizinische versorgt werden mussten – ein Zuwachs von 45 Personen gegenüber dem Vortag. Einige oberösterreichische Spitäler sind jetzt schon an ihrer Kapazitätsgrenze, wie die Oberösterreichischen Nachrichten berichteten. In Wien sind die Intensivbetten zu zwei Drittel belegt. Doch die Regierung hat es bis heute nicht geschafft, den tatsächlichen Stand der Intensivbetten zu erheben und koordiniert aufzustocken.
Acht Monate nach Beginn der Pandemie hat die Regierung noch immer nicht herausgefunden, wie viele Intensivbetten samt Fachpersonal in ganz Österreich zur Verfügung stehen. Die Kapazitäten hat die Regierung immer als ausreichend dargestellt. Im Oktober hieß es plötzlich bei einer Regierungspressekonferenz, dass die Auslastung der Intensivbetten immer über 85 Prozent liegt. Die freien Kapazitäten sind demnach sehr viel begrenzter als bis dahin vermittelt.
Je weiter sich das Coronavirus ausbreitet, umso mehr wollen die Menschen darüber wissen. Doch wichtige Informationen fehlen – auch die Maßnahmen werden nicht so so aufbereitet, dass man sie gut nachvollziehen kann. Das liegt zum einen daran, dass wesentliche Daten über Cluster und Übertragungswege entweder nicht vorhanden sind oder nicht veröffentlicht werden. Es liegt aber auch daran, dass Sebastian Kurz “nicht rot-weiß-rot, sondern weiterhin ausschließlich türkis“ agiert, wie der Journalist Johannes Huber auf diesubstanz schreibt.
Das sieht man etwa daran, dass die Regierung ÖVP-geführte Bundesländer in die Ausarbeitung von Verordnungen mit einbezogen hat. Das Burgenland, Kärnten und Wien hingegen bekamen die Informationen aus den Medien. Die Regierung verzichtete als auf die Expertise von drei Bundesländern – darunter die einzige Millionenstadt, die mit ganz anderen Rahmenbedingungen zu kämpfen hat, als der Rest des Landes. Anders der Szene-Gastronom Martin Ho, der bereits zwei Tage früher über den Lockdown informiert gewesen sein soll als der Rest des Landes.
Wenig Weitsicht hat die Regierung auch am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaftspolitik bewiesen. Zu Beginn des ersten Lockdown hat sie das Epidemiegesetz gekippt. Damit ist auch der rechtliche Entschädigungsanspruch für Unternehmen gefallen, die schließen mussten. Damals haben in wenigen Wochen 200.000 Menschen ihre Arbeit verloren, weil die Hilfszahlungen zu bürokratisch und zu niedrig waren. Jetzt verspricht die Regierung, zumindest 80 Prozent des entfallenen Umsatzes zu ersetzen, und verlängert die Kurzarbeit. Sogar eine Arbeitsplatzgarantie soll es für Firmen geben, die Hilfszahlungen erhalten – die SPÖ hat das monatelang gefordert.
Zu Beginn des zweiten Lockdown sind 423.750 Menschen in Österreich arbeitslos. Im November ist ein weiterer Anstieg zu erwarten, viele rechnen mit 500.000 Arbeitslosen in diesem Winter. Dennoch stehen dem AMS pro Arbeitslosem heuer weniger Mittel zur Verfügung als noch 2017. Auf 423.000 Arbeitslose kommen heute nicht einmal 65.000 offene Stellen. Trotzdem wurde das Arbeitslosengeld nicht erhöht und bleibt mit 55 Prozent des Letztgehaltes eines der niedrigsten in ganze Europa. Im Durchschnitt bekommt ein Arbeitsloser 900 Euro.
Das bedeutet nicht nur Armut für die Betroffenen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Soziale Nöte verringern die Bereitschaft, die gesundheitliche Bedrohung zu sehen. Die Massenarbeitslosigkeit und das geringe Arbeitslosengeld führen wohl dazu, dass immer weniger Menschen bereit sind, die Maßnahmen der Regierung mitzutragen.
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