Durch die Corona-Krise ist die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen neu entfacht. Die Grundidee: Jeder erwachsene Österreicher und jede erwachsene Österreicherin bekommt monatlich eine fixe Summe. Ein Volksbegehren forderte 2019 eine Höhe von 1.200 Euro. Und zwar einfach so, ohne Gegenleistung. Ist das realistisch? Was spricht dafür? Was dagegen? Hier die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente
1.200 Euro für jeden Österreicher und jede Österreicherin über 18. Das will Peter Hofer, Initiator des Volksbegehrens für ein Grundeinkommen, in der Verfassung verankern. Auch wer arbeitet oder in Pension ist, soll zusätzlich 1.200 im Monat ausgezahlt bekommen. Wegfallen würden dagegen Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung. Die Erwartungen sind hoch:
„Ich wünsche mir eine Million Unterschriften, sonst ist die Sache für mich gegessen“, sagt Initiator Hofer.
Das Grundeinkommen ist keine „linke Idee“. Es kommt aus einer liberalen Tradition: Der neoliberale Ökonom Milton Friedmann forderte ebenso ein Grundeinkommen wie die Tech-Konzerne im Silicon Valley: Die Beratungsfirma Y Combinator stattet aktuell etwa 6.000 Kenianer mit einem Grundeinkommen aus, um die Effekte zu untersuchen.
Der Internetkritiker Evgeny Morozov glaubt, dass die Tech-Konzerne Aufstände verhindern wollen, wenn immer mehr Menschen durch die Automatisierung ihre Arbeit verlieren.
Das Grundeinkommen hat für viele eine große Anziehungskraft – aus unterschiedlichen Gründen. Die einen glauben, dass sich das Problem von schlecht bezahlter und sinnloser Arbeit dadurch löst. Andere denken, dass unentgeltliche Pflege, Kindererziehung und Arbeit in Vereinen und der Gemeinde endlich mehr Stellenwert hätten.
Kritiker sehen wiederum den Sozialstaat mit Pensionen, Arbeitslosengeld und öffentlichem Gesundheitssystem in Gefahr, wenn das Grundeinkommen kommt. Was spricht also für, was gegen das Grundeinkommen? Hier die häufigsten Pro- und Contra-Argumente!
Wenn jeder und jede 1.200 Euro erhält, gibt es keine Armut mehr. Niemand muss auf der Straße leben, niemand muss hungern oder frieren. Die grundlegenden Bedürfnisse jedes Staatsbürgers sind abgedeckt, weil man sich Obdach leisten und Grundbedürfnisse stillen kann.
Befürworter des Grundeinkommens sagen: Menschen sind von Natur aus schöpferisch und kreativ, sie wollen arbeiten, sich entfalten und etwas für andere tun – aber nicht diktiert vom Chef oder dem Arbeitsamt, sondern aus freien Stücken. Das bringt auch bessere Ergebnisse für die Gesellschaft.
„Jeder Mensch solle die Möglichkeit haben, frei von Existenzsorgen Arbeiten zu übernehmen, die er […] selbst für sinnvoll hält“, heißt es im Text des Volksbegehrens.
Für Befürworter des Grundeinkommens sind Menschen in erster Linie Menschen – und keine verwertbaren Arbeitskräfte. Wenn man Menschen zu schlechter Arbeit zwingt, die sie nicht gerne machen, werden sie krank und unmotiviert. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch eine Verschwendung von Ressourcen.
Der niederländische Autor und Historiker Rutger Bregman führt als Beispiel gerne das niederländische Pflegeunternehmen Buurtzorg an. 15.000 Pflegerinnen arbeiten dort ohne Management – völlig selbst organisiert. Das Ergebnis: Die Mitarbeiterinnen sind motivierter, die Kunden zufriedener und insgesamt ist das Unternehmen erfolgreicher.
Jeder 4. zweifelt am Sinn der eigenen Arbeit, wie eine große Studie zeigt. Der Anthropologe David Graeber ist in seinem Buch „Bullshit-Jobs“ zu dem Schluss gekommen, dass ein Drittel unserer Jobs sinnlos sind. Das sind zu viele Menschen, die 40 Stunden oder mehr mit einer Tätigkeit verbringen, die sie sinnlos finden – einfach weil es keine Alternative gibt. Hätten diese Menschen 1.200 Euro zur Verfügung, würden sie sich umorientieren oder eine neue Ausbildung abschließen. Unternehmen wären gezwungen, gute und sinnvolle Jobs anzubieten – statt schädliche Arbeit, die niemand freiwillig machen will.
Bregman bezeichnet das Grundeinkommen daher auch als Wagniskapital (venture capital) für jeden und jede: Jeder hat genug Geld, um sich zu überlegen, was man aus seinem Leben machen will – frei von Zwang und existenziellen Nöten.
Das Argument wird vor allem von neoliberalen Befürwortern des Grundeinkommens angeführt: Wenn jeder Staatsbürger 1.200 Euro bekommt, fallen Anträge, Formulare und Überprüfungen weg. Ob die Kriterien für Sozialleistungen erfüllt sind, muss hingegen immer kontrolliert werden – und das kostet Geld. Bekommt jeder das Geld einfach bedingungslos ausbezahlt, fällt viel Bürokratie weg und das entlastet das System.
Dein Chef beutet dich aus, aber du tust nichts dagegen, weil du Angst hast, deinen Job zu verlieren? Deine Partner/Partnerin behandelt dich schlecht, aber du traust dich nichts dagegen zu tun, weil du von dieser Person finanziell abhängig bist? Das Grundeinkommen könnte hier ein Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit sein. Weil man sich versorgen kann, ist man finanziell weniger abhängig von anderen.
Für den Ökonomen Markus Marterbauer wäre die breite Mittelschicht die große Verliererin eines Grundeinkommens: Denn sie profitiert am meisten vom Sozialstaat. Vom Kindergartenplatz über Gesundheits- und Pflegeleistungen bishin zum Arbeitslosengeld. Das Arbeitslosengeld ist gerade für die Mittelschicht mehr wert als 1.200 Euro – doch das würde wegfallen. Wie gefährdet die anderen Sozialleistungen wären, ist unklar. Kritiker befürchten, dass das Grundeinkommen dazu führen würde, dass es viel weniger Sozialleistungen geben würde. Das Motto: 1.200 Euro für jeden, dafür muss sich aber jeder selbst durchschlagen.
Die Initiatoren des Volksbegehrens schlagen das Grundeinkommen als Ergänzung zum Sozialstaat vor. Das wäre nur zu schaffen, wenn neue Steuerbeiträge eingehoben werden – etwa Vermögens-, Erbschafts- oder Finanztransaktionssteuern. 92 Mrd. Euro müssten zusätzlich finanziert werden. Die aktuellen Sozialausgaben Österreichs sind etwa genauso groß.
Besonders die Gewerkschaften argumentieren, dass das Grundeinkommen zu niedrigeren Löhnen führen könnte. Denn wenn das Grundeinkommen bereits für das finanzielle Überleben der Menschen sorgt, muss das der Lohn nicht mehr tun. Besonders niedrige Einkommen am Arbeitsmarkt wären also mehr eine Draufgabe statt eine Existenzsicherung. Unternehmer würden Kosten also auf die Allgemeinheit verlagern, weil die Existenz aller Menschen aus der öffentlichen Hand gesichert wird – statt aus Löhnen.
Das würde langfristig auch die Einnahmen des Staates schmälern, da die Einkommen und damit auch die Einkommenssteuern zurück gehen würde. Und das wäre wiederum eine Gefahr für den Sozialstaat.
Manche Grundeinkommens-Befürworter fordern beides: Kürzere Arbeitszeiten und ein Grundeinkommen. Kommt hingegen nur ein Grundeinkommen ohne Arbeitszeitverkürzung, droht eine gespaltene Gesellschaft: Ein Teil der Leute arbeitet viel, verdient gut und hat einen hohen sozialen Status. Ein anderer Teil hat keine Arbeit mehr, weil ihr Job wegrationalisiert wurde. Die Arbeitslosen müssen dann von 1.200 Euro leben, haben wenig Chancen am Arbeitsmarkt und können sich maximal ein paar hundert Euro in schlecht bezahlten Jobs dazu verdienen. Kritiker befürchten, dass diese Menschen eher Perspektiven und Unterstützung verlieren würden und sich aus der Gesellschaft verabschieden könnten.
Allen Staatsbürgern 1.200 Euro zu bezahlen, würde 92 Milliarden Euro jährlich kosten. Das ist in etwa so viel wie alle Sozialausgaben (Pensionen, Arbeitslosengeld, Familienleistungen usw.) zusammen. Finanzieren will das Initiator Peter Hofer mit einer „Finanztransaktionssteuer“ in Höhe von 0,94 Prozent.
Dabei geht es ihm nicht um die Besteuerung von Aktien und Finanzpapieren, sondern um jeden Zahlungsakt in Österreich: Jedes Mal, wenn irgendetwas gekauft oder verkauft wird, müssten 0,94 Prozent des Betrags an den Staat gehen – als „Solidaritätsbeitrag.“ Das gilt nicht nur für den Konsumenten wie bei der Umsatzsteuer, sondern für jeden Kauf im Produktionsprozess. Hofer schätzt, dass der Staat dadurch über 190 Milliarden Euro im Jahr einnehmen würde. Ökonomen kritisieren die Rechnung im “Standard” jedoch als “nicht nachvollziehbar”.
Löhne variieren in den Bundesländern, ebenso die Mietpreise. Wer im Burgenland lebt, kann – bei einem ausbezahlten Grundeinkommen – eher seine Kosten decken als in Salzburg. Unklar ist, ob solche Faktoren berücksichtigt werden. Eventuell könnte ein Grundeinkommen, das für alle gleich ist, dazu führen, dass viele Menschen plötzlich umziehen und sich so die Bevölkerungsverteilung stark ändert. Welche Folgen das wiederum haben kann, ist unklar.
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Blog von Peter Kaiser (Kärntner Landeshauptmann): Meine Gedanken zur Zukunft der Arbeitswelt und damit verbunden zum Thema Grund-Sicherung
Markus Marterbauer: Grundeinkommen statt Sozialstaat?
Rutger Bergmann: Utopien für Realisten
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