Europa

ÖVP-Arbeitsminister Kocher verweigert Zustimmung für höhere EU-Mindestlöhne

Die EU-Kommission und eine große Mehrheit im EU-Parlament wollen einen höheren Mindestlohn für Beschäftigte in Europa. Besonders in jenen Ländern mit niedrigem Lohnniveau und schwachen Kollektivverträgen. Doch Österreichs Arbeitsminister stellt sich seit Beginn der Verhandlungen dagegen – beim Sozialgipfel im Dezember verweigert er die Zustimmung. Für seine Haltung wird er nicht nur von der SPÖ, der Gewerkschaft und der Arbeiterkammer kritisiert, sondern auch von den Grünen. 

In Polen verdienen ArbeiterInnen ziemlich genau ein Drittel (33,2%) dessen, was ArbeiterInnen in Österreich verdienen. Da hat sich auch in den letzten 10 Jahren kaum etwas bewegt, die Lohnunterschiede in der EU sind kaum kleiner geworden. Das liegt vor allem daran, dass in vielen Ländern Süd- und Osteuropas das Kollektivvertragssystem in den Jahren seit der Finanzkrise zerstört wurde – nicht zuletzt auf Anraten der EU. Doch jetzt will die EU den Trend umkehren und schlägt eine Richtlinie für höhere Mindestlöhne vor.

Doch Österreichs Arbeitsminister ist dagegen. Martin Kocher (ÖVP) steht dem Vorschlag für eine EU-Richtlinie zu Mindestlöhnen „skeptisch“ gegenüber. Als im Juni ein Fortschrittsbericht zum Thema Mindestlohn sowie ein Kompromissvorschlag der portugiesischen Ratspräsidentschaft präsentiert wurde, hielt Kocher an der Ablehnung fest. Im Dezember verweigert er jetzt seine Zustimmung beim EU-Sozialgipfel für weitere Verhandlungen im Trilog, also dem eigentlichen Verhanldungsprozess zwischen EU-Rat, EU-Parlament und EU-Kommission. Dennoch stimmte eine Mehrheit für die Verhandlungen, die jetzt starten können – gegen Österreichs Willen.

In Polen verdienen ArbeiterInnen ziemlich genau ein Drittel (33,2%) dessen, was ArbeiterInnen in Österreich verdienen.

Grüner Sozialminister für höheren Mindestlohn in Europa

Der Grüne Sozialminister Wolfgang Mückstein sah das anders. Er unterschrieb Anfang Mai gemeinsam mit anderen grünen Ministern einen offenen Brief, der höhere Mindestlöhne unterstützt. Doch Mückstein durfte daraufhin gar nicht am Sozialgipfel in Porto teilnehmen.

„Lange Zeit waren wir in Österreich ein Vorzeigeland für schlagkräftige Regeln gegen Lohn- und Sozialdumping. Aber jetzt werden notwendige EU-Gesetze wie die Entsenderichtlinie einfach nicht umgesetzt und Initiativen wie der europaweite Mindestlohn von Anfang an blockiert“, kritisiert die SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner Österreichs Blockade in einer Aussendung.

Auch Walter Gagawczuk, AK Experte für Lohn- und Sozialdumping, bestätigt, dass sich in den letzten Jahren die Haltung von Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und ÖVP verschoben habe: Bis vor wenigen Jahren gab es auch von den Wirtschaftsvertretern in Österreich Zustimmung zum Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Heute sind andere Interessen dominant, sagt Gagawczuk. Für die geht sogar eine kleine Initiative zur Anhebung der Löhne in Ost- und Südeuropa zu weit. Sie nutzen das Lohngefälle für Extra-Profite.

EU-Richtlinie will Gewerkschaften und Kollektivverträge stärken

Seit Oktober 2020 wird der Richtlinienvorschlag für höhere Mindestlöhne verhandelt. Der EU-Vorschlag berücksichtigt auch, dass in Ländern wie Österreich Kollektivvertrags-Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen. Hierzulande sind 98 Prozent aller Beschäftigten von Kollektivverträgen erfasst. Zum Vergleich: In Deutschland sind es nur 45 Prozent. Bald arbeitet ein Viertel der deutschen ArbeitnehmerInnen im Niedriglohn-Bereich. In Polen sind nur 15 Prozent der Beschäftigten durch Kollektivverträge geschützt, in Rumänien rund ein Drittel der Beschäftigten.

Der EU-Vorschlag will Kollektivverhandlungen in allen Mitgliedsstaaten fördern. Zumindest 70 Prozent der Beschäftigten sollen kollektivvertraglich abgedeckt sein. An der Stellung österreichischer Kollektivverträge würde auch das Umsetzen der EU-Richtlinie nichts ändern, was Kocher dennoch als Grund seiner Blockade anführt. Österreichs Gewerkschaftspräsident Katzian kann das nicht nachvollziehen:

„Die Richtlinie sieht keine Eingriffe in Kollektivverträge vor. Es geht darum, Kollektivverhandlungen zu fördern und Löhne und Gehälter zu verbessern, ohne in bestehende Strukturen und Verträge einzugreifen.“

Nur wenn die KV-Abdeckung in einem Land unter 70 Prozent fällt (das EU-Parlament forderte sogar 80%), sollen nationale Umsetzungspläne und (vorübergehend) gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden. Österreich wäre mit einer KV-Abdeckung von 98 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse unmittelbar nicht betroffen, nur indirekt durch höhere Mindestlöhnen in den Nachbarländern. „Österreich ist ein Hotspot für Arbeitskräftemobilität mit vielen PendlerInnen aus angrenzenden Nachbarländern“, betont Katzian.

Mindestlohn in Europa: Kocher und andere wollen nur zahnlose „Empfehlung“

Sämtliche Arbeitgeber-Verbände lehnen verbindliche Mindestlöhne ab – und mit ihnen Österreichs Arbeitsminister. In Brüssel kursiert seit Anfang des Jahres ein Brief, der von Kocher unterzeichnet wurde – gemeinsam mit Ministern aus acht weiteren EU-Ländern. Darin machen sie klar, dass sie keine verbindlichen Vorgaben zu Mindestlöhnen wollen, sondern bloß Empfehlungen.

„Wir denken, dass eine Empfehlung ein besseres rechtliches Instrument ist, weil es den Mitgliedsstaaten die Flexibilität ermöglicht, die Ziele des Vorschlags zu erreichen“, schreiben Kocher und Minister-Kollegen im Brief.

Heißt übersetzt: An Empfehlungen müssen sich die Staaten nicht halten, weshalb sie „flexibler“ in Bezug auf Mindestlöhne bleiben.

ÖGB-Präsident Katzian appelliert an den Arbeitsminister, in den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping zu unterstützen: „24 Millionen ArbeitnehmerInnen würden von der Umsetzung des Mindestlohns in der EU profitieren. Eine europaweite Stärkung der Tarif- und Kollektivvertragsverhandlungen und höhere Mindestlöhne würden die wirtschaftliche Erholung von Covid-19, die es so dringend braucht, fördern.“

Auch der Markus Koza, Arbeits- und Sozialsprecher der Grünen und Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, haben Kochers Enthaltung in einer Aussendung kritisiert: „Unser gemeinsames europäisches Ziel muss sein, Lohndumping zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU zu beenden. Wir müssen die EU-weiten Bemühungen unterstützen und vorantreiben – nicht zuletzt, weil gerade Österreich davon profitieren würde“.

 

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1892 Stimmen
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    1892 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 16%, 504 Stimmen
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    504 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 384 Stimmen
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    384 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 298 Stimmen
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    298 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 161 Stimme
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    161 Stimme - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 3239
12. März 2024
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