Ibiza-U-Ausschuss

Nach Verfassungsbruch: Nur 6 Grüne Abgeordnete fehlen für Blümel-Rücktritt

SPÖ, FPÖ und NEOS bringen eine Ministerklage gegen Gernot Blümel ein. Grund: Der Finanzminister widersetzte sich zwei Monate lang einer höchstgerichtlichen Aufforderung, Akten an den Ibiza-Untersuchungsausschuss zu liefern. Erst nachdem der Bundespräsident mit der Durchsetzung der Aktenlieferung drohte, lieferte Blümel. Er druckte alle Mails aus und lieferte sie in Kisten. Nur eine von vielen Aktionen, die Blümel rücktrittsreif machen. Damit die Klage der Opposition erfolgreich ist, müssten im Parlament aber auch Abgeordnete der Regierung zustimmen.

„Meine Damen und Herren, ich wende mich heute an Sie, weil etwas eingetreten ist, dass es in dieser Form in unserem Land noch nicht gegeben hat“ mit diesen Worten meldete sich Bundespräsident Van der Bellen am 6. Mai an die Bevölkerung. Der Verfassungsgerichtshof, eines der drei obersten Gerichte unseres Landes, hatte zuvor beim Bundespräsidenten die Durchsetzung einer seiner Entscheidungen beantragt. Hintergrund: Gernot Blümel weigerte sich zwei Monate lang, Akten an den Ibiza-Untersuchungsausschuss zu liefern – obwohl der Verfassungsgerichtshof entschied, dass er dazu verpflichtet ist. Ein amtierender Minister widersetze sich also einem Höchstgericht. Stefan Kappacher schreibt dazu in seinem Blog „gehört gebloggt“:

„Man (kann) sich keinen größeren Affront vorstellen, den sich ein Mitglied der Bundesregierung in unserem Verfassungsgefüge leistet. Gernot Blümel hat die Gewaltenteilung quasi mit Füßen getreten – die türkisen Socken, in denen er respektlos im Sitzungssaal des Nationalrats herumgelaufen ist, die kann man sich dazu denken.“

Blümel liefert zwar 65.000 Seiten –  doch Abgeordnete dürfen nicht einmal darüber sprechen

Blümel lieferte nach der Ankündigung Van der Bellens doch noch die gewünschten Daten. Es geht um mehrere tausend E-Mails. Allerdings klassifizierte das Finanzministerium die Mails auf Stufe drei der vierstufigen Sicherheitsskala. Die ist eigentlich nur für Dokumente vorgesehen, die bei einer Veröffentlichung die Staatssicherheit oder gar Menschenleben bedrohen würden. Bis jetzt hätten die Ordner aber noch nichts dergleichen hergegeben, heißt es aus dem Ibiza-Untersuchungsausschuss.

Die Sicherheitseinstufung hat weitreichende Folgen für die Arbeit des Untersuchungsausschusses: Die Mails wurden ausgedruckt in 204 Aktenordner geliefert. Insgesamt 65.000 Seiten. Sie dürfen nicht kopiert werden, lesen darf man sie nur in einem abhörsicheren Raum im Keller des Parlaments, Leseplätze gibt es nur zwei. Selbst das Reden über diese Mails ist den Abgeordneten außerhalb dieses Raumes verboten – auch im Untersuchungsausschuss darf darüber nur gesprochen werden, wenn keine Medienvertreter:innen anwesend sind. Die Abgeordneten und Mitarbeiter:innen müssen sich bei der Sichtung der Dokumente abwechseln.

Kartons mit den Akten aus dem Finanzministerium. Foto: Parlamentsdirektion / Thomas Jantzen

Blümel-Verzögerungstaktik: Dem Untersuchungsausschuss rennt die Zeit davon

Darunter findet sich aber auch vieles, das eindeutig nicht geheim ist. Etwa OECD Studien, die man öffentlich im Internet finden kann. Trotzdem wurden sie – wie alles andere – pauschal als geheim klassifiziert. So wuchs der Berg an schwer zu durchsuchenden Papieren massiv an. Die Arbeit im Untersuchungsausschuss wird so zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Irgendwo in diesen 65.000 Seiten könnte zwischen viel Belanglosem etwas Entscheidendes versteckt sein. Blümels Manöver, gleich alle Mails pauschal in dieser Sicherheitsstufe zu liefern, könnte eine Verzögerungstaktik sein. Der Ausschuss tagt nur noch bis 15. Juli – danach kann er nur durch die Regierungsmehrheit verlängert werden. Den Abgeordneten rennt damit sprichwörtlich die Zeit davon, um die Fülle an Mails zu lesen.

Alle Fraktionen wollen deshalb diese Einstufung aufheben – nur die ÖVP ist dagegen. Ob sie aufrecht bleibt, entscheidet Nationalratspräsident Sobotka (ÖVP).

Opposition bringt Ministeranklage gegen Blümel ein – Grüne und ÖVP unterstützen ihn weiter

Blümels Verzögerung hat jetzt aber auch ein parlamentarisches Nachspiel bekommen. Blümel missachte seit einem Jahr die Verfassung und seit Anfang März eine Anordnung des VfGH, kritisierte der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried. Dies sei ein “Tiefpunkt” türkiser Politik. “Regierungsmitglieder, die auf die Verfassung und unsere Gesetze vereidigt sind, müssen diese auf Punkt und Beistrich befolgen”, so Leichtfried. Ein Minister, der sich so verhält wie Blümel, sei daher rücktrittsreif. Da mit einem freiwilligen Rücktritt des Finanzministers nicht zu rechnen ist, bringen SPÖ, FPÖ und Neos eine Ministeranklage ein. Die Ministerklage ist ein Instrument zur parlamentarischen Kontrolle: Hat ein Regierungsmitglied mutmaßlich ein Gesetz gebrochen, kann durch einen parlamentarischen Mehrheitsbeschluss Anklage beim Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Die Verfassungsrichter:innen können den Minister dann seines Amtes entheben.

Die Opposition ist sich dabei einig, dass ein Gesetzesbruch vorliegt: Immerhin hat sich Blümel zwei Monate lang der Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes widersetzt.

Freilich ist es recht unwahrscheinlich, dass die Aktion Blümel seinen Job kosten wird: Dem Antrag der Opposition müssten zumindest sechs Abgeordnete der Grünen zustimmen. Deren Klubobfrau Sigrid Maurer kündigte aber schon an, Blümel weiter zu unterstützen.

Gernot Blümels Amtszeit in Zahlen

86 Mal konnte sich der Finanzminister bei seiner ersten Befragung im Untersuchungsausschuss bei Fragen nicht erinnern – nicht einmal, ob er einen Laptop hatte.

9 Mal entschlug sich der Minister bei seiner zweiten Befragung im U-Ausschuss, weil eine wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung nach sich ziehen könnte.

1 Laptop nahm Blümels Frau während der Hausdurchsuchung beim Minister mit, als sie spazieren ging.

In 1 Verfahren wird wegen möglicher Bestechlichkeit gegen den Minister ermittelt.

6 Nullen fehlten in seinem ersten Budget.

3 Misstrauensanträge überstand er bisher.

65.000 Seiten musste das Finanzministerium dann doch an den Untersuchungsausschuss liefern. Blümel lieferte sie in Papierform, ungeordnet und unter einer Sicherheitsstufe, die den Parlamentarieren das Leben schwer macht.

Er ist das erste Regierungsmitglied in der Geschichte Österreichs, dem der Bundespräsident mit einer Exekution einer höchstrichterlichen Entscheidung drohen musste.

Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 59%, 1471 Stimme
    59% aller Stimmen 59%
    1471 Stimme - 59% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 381 Stimme
    15% aller Stimmen 15%
    381 Stimme - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 308 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    308 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 219 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    219 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 4%, 109 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    109 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 2488
12. März 2024
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Marco Pühringer

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