Der Verfassungsgerichtshof kippt das Überwachungspaket der türkis-blauen Regierung fast gänzlich. SPÖ und NEOS hatten eine Beschwerde vor Gericht gebracht. Die bedenken der Oppositionsparteien bestätigten nun die Richter. Das Paket hätte „gravierend“ in unsere Privatsphäre eingegriffen. Versuche einen Bundestrojaner einzuführen, sind nun zum dritten Mal gescheitert. Aber auch andere Teile des Pakets wurden zurückgewiesen.
„Die verdeckte Erfassung und Identifizierung von Lenkern, die Verarbeitung von Daten aus Section-Control-Anlagen durch Sicherheitsbehörden, die geheime Überwachung verschlüsselter Daten und die Ermächtigung zur Installation eines Programms zur Überwachung von Bürgern“ seien allesamt rechtswidrig, erklärte Christoph Grabenwarter, Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) bei der Pressekonferenz. Doch was hätte das Paket erlaubt. Was sollte der Staat, laut den türkis-blauen Plänen über uns wissen sollen?
Sicherheitsbehörden, also das Innenministerium oder auch die Landespolizeidirektionen, sollten einen nahezu maßlosen Zugriff auf Daten aus Ortungsdiensten, SMS, Whatsapp, Facebook und Co. haben – und sie dann für fünf Jahre speichern. Die Regierung will zudem die Videoüberwachung ausbauen und einen Bundestrojaner einführen.
„Die Bundesregierung versucht alles, um der Bevölkerung vorzugaukeln, dass das neue Überwachungspaket für mehr Sicherheit sorgen kann und dass es keine Massenüberwachung enthält. Beides ist falsch“, sagt Thomas Lohninger, Sprecher der Grundrechts-NGO epicenter.works. Er hofft, mit dem Urteil sei „der Bundestrojaner nun in Österreich Geschichte.“
Kritik kam sogar aus den eigenen Reihen. Als „verdachtsunabhängige und maßlose“ hat selbst der einstige ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath das Vorhaben von ÖVP und FPÖ kritisiert. Österreich mutiere mit dem Überwachungspaket „zu einem polizeilichen Überwachungsstaat“.
Ähnlich sieht das Rechtsanwalt Ewald Scheucher. Beim ExpertInnen-Hearing der Oppositionsparteien am 5. April 2018 resümierte er:
„Wir kippen langsam in einen Superstaat, wo es in Wahrheit keine freie Regung mehr gibt, ohne dass irgendjemand Zugriff darauf hat.“
Welche Folgen hat das Paket?
Verschlüsselte Nachrichten sollten überwacht werden. Die Daten werden dann an die Strafverfolgungsbehörde weitergegeben. Dazu brauchte es den sogenannte Bundestrojaner – eine schädliche Software. Sie nützt Sicherheitslücken aus, damit das Programm am Gerät installiert werden kann, das überwacht werden soll. Das bedeutet auch: Die Regierung hat ein Interesse daran, dass alle Geräte hackbar bleiben – man kennt das etwa von der NSA: Der amerikanische Nachrichtendienst hielt eine gravierende Sicherheitslücke bei Windows drei Jahre lang geheim, weil er sie selbst nutzen konnte. Microsoft macht die NSA für den weltweiten Hackerangriff „WannaCry“ verantwortlich, bei dem 75.000 Unternehmen und Privatpersonen erpresst wurden.
„Der Bundestrojaner ist, als würde die Regierung auf der Autobahn Schlaglöcher nicht mehr ausbessern, weil ja ein Bankräuber drüber fahren könnte“, fasst Angelika Adensamer zusammen. Sie ist Juristein bei epicenter.works.
Eine Überwachung von Nachrichten dieser Art bedeutet, dass die Regierung auf bedenkliche Weise in das individuelle Persönlichkeitsrecht eingreift.
Außerdem sollten Unternehmen „mit öffentlichem Versorgungsauftrag“ massenhaft Daten zur Verfügung stellen. Gemeint sind z.B. die ÖBB, die ASFINAG oder Verkehrsbetriebe. Sie sollten, so die Pläne der Kurz-Regierung, alle Videoaufzeichnungen, die sie machen, sichern und übermitteln, sobald eine Sicherheitsbehörde das verlangt. Die meisten Menschen warten auf Straßenbahnen, auf Bahnhöfen oder bewegen sich an Verkehrsknoten-Punkten. Wenn Videoaufnahmen dieser Art gespeichert werden müssen, können BetrachterInnen ausführliche Bewegungsprofile von Privatpersonen erstellen.
Die Kurz-Regierung wollte eine „Anlass-Datenspeicherung“ einführen (besser bekannt als „Quick-Freeze“). Gibt es einen Verdacht, sollen Anbieter mobiler Dienste verpflichtet sein, Daten eines Nutzers bis zu 12 Monate zu speichern – ein Löschen von Daten wird verboten.
Alle Handys sollen ohne Unterstützung der Netzbetreiber – und ohne Verdacht – lokalisiert werden können. Kriminelle werden kein Problem haben, sich ausländische SIM-Karten zu besorgen und diese zu verwenden – wodurch sie die Regelung umgehen. Die Pläne der Regierung treffen also vielmehr unbescholtene Nutzer.
Mit Änderungen im Sicherheitspolizei-Gesetz wollte die Regierung „Sicherheitsforen“ schaffen. Was harmlos klingt, bedeutet, dass Sicherheitsbehörden Aufgaben an private BürgerInnen übertragen können. Die Sorge ist, dass damit Denunziantentum und Willkür bei der Verfolgung Tür und Tor öffnen.
Einen Preis für die geplante massenhafte Datensammlung legte die Regierung keinen vor. Epicenter.works kritisierte, dass „enorme finanzielle Kosten für eingriffsintensive Maßnahmen entstehen, die die Sicherheit erwiesenermaßen nicht erhöhen“. Gleichzeitig werde der Rechtsschutz im Gesetzesentwurf in vielen Punkten nicht ausreichend gewährleistet: Richterliche Bewilligungen sind für vorgesehene Maßnahmen selten eine Voraussetzung.
Interessant ist, dass die FPÖ noch 2017 das Überwachungspaket von seinem Vorgänger Innenminister Sobotka abgelehnt hat. Kickl hat es mit dem „Überwachungssystem der DDR“ gleichgesetzt. Nun ist er Verfechter der geplanten Daten-Bereicherung.
Ursprünglich wollten ÖVP und FPÖ nicht einmal eine Begutachtung – dann verweigerten sie ein öffentliches Hearing mit ExpertInnen zum Thema. Am 5. April 2018 haben die Abgeordneten aller Parteien die Gesetzesvorlage im Justizausschuss diskutiert.
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