Die Unterordnung fast der gesamten Welt unter die absoluten Regeln des kapitalistischen Marktes hat die Demokratie geschwächt. Die Staaten einen guten Teil ihrer wirtschaftspolitischen Steuermöglichkeiten abgegeben, die Macht hat sich zugunsten multinationaler Konzerne verschoben. Europa gerät dabei wirtschaftlich unter Druck zwischen, während die Menschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Niki Kowall schreibt, was dagegen zu tun ist.
Der globale Markt ist nicht rational, die Wirtschaft steuert sich nicht selbst im Sinne der Menschen
Die globalen Krisen der letzten 15 Jahre – Finanzkrise, Pandemie, Inflationskrise – haben uns die Instabilität jenes globalisierten Kapitalismus vor Augen geführt, der eigentlich das Ende der Geschichte hätte einläuten sollte. Die Unterordnung nationaler Interessen unter die disziplinierende Wirkung der „goldenen Zwangsjacke“ des Weltmarkts war in zweierlei Hinsicht verheerend: Einmal, weil alle, die ihr Staatswesen diesem Sinne liberalisiert haben, sich ihrer wirtschaftspolitischen Steuerungsinstrumente entledigten. Dies führte zu einer kontinuierlichen Machtverschiebung von der nationalen Demokratie zu multinationalen Konzernen. Die entsprechende Handlungsunfähigkeit der Politik ist ein Grund dafür, weshalb die Demokratie immer weniger Rückhalt in der Bevölkerung genießt, wovon autoritäre und nationalistische Strömungen profitieren.
Zweitens war die Geschichte von der Auflösung nationaler Interessen im Getriebe des „rationalen“ Weltmarkts fatal, weil gewisse geopolitische Akteure diese Öffnung von Markt und Gesellschaft nur scheinbar beschritten haben. Im Nachhinein erwies sich die liberale Utopie, dass Freihandel und freie Gesellschaft Hand in Hand gehen, dass man die Demokratie quasi mit seinem Kapital gleich mitexportieren kann, als hochgradig naiv. Die Energie-Abhängigkeit von einem mittlerweile autoritären und aggressiven Russland, die während der Inflationskrise in Folge des russischen Angriffskriegs offenkundig wurde, ist dabei noch das geringere Problem.
Folgenschwere Abhängigkeit von China
Viel schwerer wiegt die Abhängigkeit Europas von China – das Land ist mittlerweile der größte Handelspartner der EU für Güter. Die hohe Abhängigkeit von China im Bereich medizinischer Schutzausrüstung, jener von Indien bezüglich Penicillins und die drastischen Folgen stockender Produktion und Logistik auf Grund der Pandemie-Bekämpfung in China haben uns die Anfälligkeit globaler Lieferketten vor Augen geführt. China wurde in den letzten zehn Jahren nach innen autoritärer und nach außen aggressiver. Sollte sich diese Tendenz fortsetzen, kann eine enge wirtschaftliche Verflechtung wesentlich gravierendere wirtschaftliche und politische Folgen haben, als die Gasabhängigkeit von Russland.
Die Lösung für das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Demokratie und Kapital und die Lösung für die Unabhängigkeit von anderen geopolitischen Akteuren – auch von demokratischen wie den USA – ist die gleiche, nämlich die stärkere Regionalisierung der europäischen Wirtschaft. Und wären diese beiden Motive für Regionalisierung nicht schon ausreichend, kommt als dritter Aspekt die Nachhaltigkeit hinzu. Die Idee Freihandelsabkommen mit z.B. Südamerika abzuschließen um Schweinebäuche in schwerölbetriebenen Containerschiffen, die für einen erheblichen Teil der globalen Stickoxid-Emissionen verantwortlich sind und durch Lärmverschmutzung ganze Arten von Meereslebewesen stark beeinträchtigen, über den Atlantik zu schippern, ist auch ökologisch grotesk.
Europa braucht mehr Binnenhandel sowie Investition in die Energie- und Mobilitätswende
Die Regionalisierung der europäischen Wirtschaft ist ein bewusster planerischer Akt, basierend auf zwei Stoßrichtungen: Die Dämpfung der europäischen Außenhandelsdynamik durch Regulatorien – genannt seien hier Lieferkettengesetze oder die CO2-Grenzausgleichsteuer –, bei gleichzeitiger drastischer Investition in die europäische Energie- und Mobilitätswende. Dazu bedarf es des Abschieds von den EU-Fiskalregeln sowie eines Ausbaus der Refinanzierungsmöglichkeiten der EU-Kommission wie im Rahmen des EU-Wideraufbaufonds.
Entgegen der neoliberalen Mär würde eine solches Programm die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, vor allem gegenüber China und den USA, deutlich erhöhen. Der Kern der Wettbewerbsfähigkeit von Hochlohnländern sind seit je Innovation und Technologie – beide würden im Rahmen einer grünen Investitionsoffensive erhebliche Impulse erfahren.
Stop dem Wettbewerb bei Unternehmenssteuern, Löhnen, Umwelt- und Sozialstandards
Damit Konzerne EU-Mitgliedsstaaten nicht mehr gegeneinander ausspielen können, müssen parallel dazu jene Politikfelder stärker europäisch koordiniert werden, die derzeit ein offenes Tor für Unterbietungswettbewerb darstellen. Unterbunden werden müssen der Wettbewerb im Bereich der Unternehmenssteuern, der Löhne sowie der Umwelt- und Sozialstandards. Gleichzeitig müssen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung aktiv bekämpft werden.
Für alle diese politischen Auseinandersetzungen ist die europäische Ebene besser geeignet als der Mitgliedsstaat, der womöglich mit einem Auge auf kurzfristige nationale Vorteile und nicht auf das langfristige Wohl der Bevölkerung aller EU-Partner:innen achtet. Insofern ist die Regionalisierung der europäischen Wirtschaft im Interesse der EU und Österreichs.