Mehr als eine halbe Millionen Menschen suchen Arbeit. Damit hat Österreich die höchste Winter-Arbeitslosigkeit der Zweiten Republik erreicht. Die Regierung beschließt eine Fortsetzung der 450 Euro zusätzlichen Arbeitslosengeldes. Doch jenen, die die Corona-Krise am härtesten trifft, hilft das nicht.
Rund 520.000 Menschen sind im Dezember in Österreich arbeitslos. Ihr durchschnittliches Arbeitslosengeld liegt bei rund 30 Euro am Tag, das sind ca. 900 Euro im Monat – oft ist es auch weit darunter.
Der durchschnittliche Bezug ist auch deshalb so niedrig, weil in der Corona-Krise vor allem Menschen ihren Job verloren haben, die ohnehin schon wenig verdient haben: Jobs wurden vor allem in der Gastronomie, im Handel und im Baugewerbe gestrichen. Auch viele Reinigungskräfte haben ihr Einkommen verloren.
Das Durchschnittseinkommen am Bau und im Handel liegt bei rund 1.500 Euro, im Tourismus und der Gastronomie überhaupt nur bei 750 Euro, wie das Moment Institut errechnet hat. Diese Menschen haben schon Geldsorgen, wenn sie Arbeit haben – wenn sie die Arbeit verlieren, reichen 55 Prozent des letzten Einkommens bei weitem nicht mehr aus, um die wichtigsten Kosten des Lebens abzudecken.
Bei 1.500 Euro netto Letzteinkommen bleibt ein Arbeitslosengeld von etwa 825 Euro übrig. Davon ist es schwer, die Miete, das Essen und Reparaturen zu bezahlen oder gar Kreditraten auf die Wohnung oder das Haus. Und die Lage ist derzeit aussichtslos:
Zum Jahreswechsel suchen so viele Menschen eine Arbeit wie noch nie seit Kriegsende.
Seit Ende März fordern Gewerkschaft, SPÖ, FPÖ und Arbeitsmarkt-Experten daher die Erhöhung des Arbeitslosengelds auf 70 Prozent des letzten Einkommens. Denn von 900 Euro oder weniger im Monat kann niemand leben – besonders dann nicht, wenn die Arbeitslosigkeit völlig unvorhergesehen auf einen zukommt, wie es in der Corona-Krise bei vielen der Fall war. Stattdessen denken ÖVP und Grüne laut über eine schrittweise Kürzung des Arbeitslosengeldes nach.
Andere europäische Staaten, wie die Schweiz (79%), Portugal (76%), Dänemark (74%) oder die Niederlande (74%), haben deutlich höhere Nettoersatzraten.
„Die niedrige Rate von 55 Prozent in Österreich stammt aus einer Zeit der Vollbeschäftigung, als Menschen nur sehr kurz arbeitslos waren. Für längere Phasen der Arbeitslosigkeit ist der Satz zu niedrig“, sagt AMS-Vorstand Dr. Herbert Buchinger.
Statt der Erhöhung des Arbeitslosengeldes beschloss die Regierung eine Wiederholung der Einmalzahlung für Arbeitslose von 450 Euro. Für viele ist das aber nicht einmal mehr als nichts: Wer weniger Arbeitslosengeld als die existenzsichernde Grenze von 917,35 Euro bekommt, hat Anspruch auf Sozialhilfe in Höhe der Differenz.
Wer also ohnehin schon weniger als 917 Euro erhält, kann mit Sozialhilfe auf diesen Betrag aufstocken. Das Problem: Die Einmalzahlung verringert entsprechend die Sozialhilfe. Wer also alleinstehend ist und vor der Corona-Krise 1.200 Euro netto im Monat verdient hat und jetzt arbeitslos ist, bekommt 660 Euro Arbeitslosengeld und 257,35 Euro Sozialhilfe. Wenn die Betroffenen mit 660 Euro Arbeitslosengeld nun die Einmalzahlung auf 3 Monate verteilt erhalten, bleibt das Arbeitslosengeld in Summe bei 917 Euro monatlich, wie Wiens Sozial-Landesrat Peter Hacker vorrechnet.
Bekommt der Betroffene 150 Euro Corona-Erhöhung pro Monat, verringert sich lediglich der Sozialhilfe-Zuschuss auf 107, 35 Euro. Am Ende kommen also so oder so 917,35 Euro aufs Konto. Der einzige Unterschied: Der Betrag kommt aus einem anderen Topf.
Auf diese Problematik haben bereits bei der ersten Auszahlung der 450 Euro die SPÖ-Soziallandesräte hingewiesen. Sie fordern eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des letzten Einkommens.
„Die Einmalzahlung kommt nicht an. Arbeitslose brauchen eine monatliche Erhöhung, um nicht weiter in die Armut abzurutschen.“
Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des letzten Einkommens ist aber nur ein Teil des Programms für den Arbeitsmarkt, dass die SPÖ seit dem Sommer im Parlament fordert. Sie legte ein Paket für Jugendbeschäftigung inklusive Lehrlings- und Ausbildungsgarantie vor. Zusätzlich soll es einen Mindestlohn von 1.700 Euro geben sowie eine Steuersenkung um 1.000 Euro pro Jahr – das soll die Konjunktur ankurbeln. Dazu fordern die Sozialdemokraten ein Konjunkturpaket, das nachhaltige Investitionen in Klimaschutz, Bildung, Forschung, sozialen Wohnbau forciert. Abseits dieser klassischen, konjunkturstärkenden Maßnahmen möchte die Sozialdemokratie aber auch neue Wege gehen: Eine freiwillige 4-Tage-Woche soll gefördert werden und eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose nach dem Vorbild der Aktion 20.000 eingeführt werden.
Das Maßnahmen-Paket würde dabei helfen, die Krise besser in den Griff zu bekommen. Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist aber trotzdem entscheidend, denn sie hilft schnell und direkt. Das niedrige Arbeitslosengeld führt auch dazu, dass die Kosten der Krise ungleich verteilt sind. Denn die Corona-Arbeitslosigkeit trifft vor allem Arbeiter, Leiharbeiter und Menschen mit Lehrabschluss, wie jüngst eine WIFO-Studie festgestellt hat. Kaum betroffen sind dagegen Akademiker und Angestellte. Sie profitieren von Homeoffice und Kurzarbeit, wie der Arbeitsrechtler Martin Risak erklärt.
Im April haben laut der Wifo-Studie 12% der Arbeiter ihren Job verloren, aber nur 0,8 Prozent der Angestellten und Beamten. 9 von 10 der verlorenen Jobs trafen Arbeiterinnen und Arbeiter. Das liegt zum einen am deutlich schlechteren Kündigungsschutz für Arbeiter: Während Angestellte eine Kündigungsfrist von mindestens sechs Wochen haben, können Arbeiter innerhalb von 14 Tagen gekündigt werden. In manchen Branchen, wie etwa der Baubranche, beträgt die Kündigungsfrist in einigen Fällen sogar nur fünf Tage.
Es liegt aber auch an der Möglichkeit, trotz Ausgangsbeschränkungen im Homeoffice weiterzuarbeiten. So hat das Forschungsteams des „Austrian Corona Panel Project“ festgestellt:
Je mehr jemand verdient und je höher jemand gebildet ist, desto wahrscheinlicher kann er oder sie auch im Home-Office arbeiten. Und wer seine Arbeit von zuhause aus fortsetzen kann, verliert auch kein Einkommen.
Von zuhause arbeiten können vor allem Akademiker (zu 60 Prozent) und zumindest jeder zweite mit Matura. Dem gegenüber kann nur jeder Vierte mit abgeschlossener Lehre von zuhause aus arbeiten und überhaupt nur jeder 7. Arbeitnehmer mit Pflichtschulabschluss.
All das ist besonders fatal: Denn gerade wer wenig verdient, den treffen Gehaltseinbußen besonders schwer. Ausgleichen könnte man das durch ein höheres Arbeitslosengeld. Denn wer jetzt die Arbeit verliert und wer sie behält, hängt offensichtlich nicht vom Arbeitseinsatz oder dem Wert der Arbeit ab, sondern in erster Linie von der Frage, ob man zur Bildungs- und Einkommenselite gehört oder nicht.
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