Cleveland in der USA war früher eine boomende Industriestadt. Als viele der ansässigen Firmen in Billiglohn-Länder wechselten, brach die Wirtschaft und das soziale Gefüge der Stadt zusammen. Es kam zu Massenarbeitslosigkeit und Armut. Vor zwölf Jahren wurden die ersten Genossenschaften in einer der ärmsten Gegenden der Stadt gegründet. Sie setzen auf Beteiligung und Mitbestimmung der Arbeiter und nachhaltiges Wirtschaften. Gemeinsam mit der Stadtregierung entwickelten die Genossenschaften einen regionalen Wirtschaftsplan und schafften den wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser Erfolg wurde bekannt als das “Cleveland Modell” und wurde zum Vorbild für Städte auf der ganzen Welt.
Am Stadtbild von Cleveland im US-amerikanischen Bundesstaat Ohio kann man gut die Geschichte der Stadt ablesen. Cleveland ist voll mit alten Fabrikhallen und die Skyline ist geprägt von Wolkenkratzern aus der Zwischen- und Nachkriegszeit. Das war die goldene Zeit Clevelands, als die USA das Zugpferd der Welt-Industrie war. Der Mittlere Osten mit Städten wie Detroit, Chicago und Cleveland waren das Herz dieser Industrienation. Als jedoch die Unternehmen der Region in den 1970ern begannen ihre Produktion in Länder mit billigeren Löhnen zu verlagern, begann auch die Wirtschaft Clevelands zu bröckeln. Aus der ehemaligen Industrie-Metropole wurde eine Stadt, die geprägt war von Armut und Abwanderung.
Genossenschaften in den ärmsten Gegenden der Stadt
Besonders betroffen vom wirtschaftlichen Niedergang Clevelands waren Viertel mit einer besonders hohen afroamerikanischen Bevölkerung, so etwa der Stadtteil Glenville. Massenarbeitslosigkeit, Armut und hohe Kriminalität prägten Glenville. In diesem Stadtteil eröffnete 2008 eine Wäscherei mit dem Namen Evergreen Cooperative Laundry. Die Wäscherei unterschied sich deutlich von ähnlichen Betrieben in der Gegend, denn die Evergreen Wäscherei ist eine Genossenschaft. Den Arbeitern gehört der Betrieb und sie selbst bestimmen, wie er geführt wird.
Gestartet wurde das Projekt von einem Zusammenschluss aus der Stadtregierung Clevelands, den Universitäten und Spitälern der Stadt und mehreren gemeinwohlorientierten Stiftungen. Die Wäscherei blieb nicht lange die einzige Genossenschaft der Gegend. Das Modell war so erfolgreich, dass bald mehrere Ableger gegründet wurden. Neben der Wäscherei betreibt Evergreen Cooperatives eine Produktionsstätte für Solarpaneels und mehrere riesige Glashäuser, in denen frisches Gemüse für Cleveland produziert wird.
Das Cleveland Modell
Die Evergreen Genossenschaften in Cleveland sind aber nicht nur einfache Genossenschaften, sondern Teil eines lokalen Wirtschaftsplans, dem sogenannten Cleveland Modell. Die Idee dahinter: Lokale Bedürfnisse sollen von lokalen Produzenten abgedeckt werden und die Arbeiter selbst sollen die Kontrolle über diesen Prozess haben.
Obwohl Cleveland wirtschaftlich stark angeschlagen war, gab es immer noch erfolgreiche Unternehmen in der Stadt. Cleveland hat ein paar der besten Krankenhäuser der USA und hervorragende Universitäten. Anders als bei den ehemaligen Fabriken ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Krankenhäuser und die Universitäten jemals die Stadt verlassen werden, denn sie sind in der Stadt fest verankert. Im Cleveland Modell werden diese Unternehmen „Anker-Institutionen“ genannt.
Diese Anker-Institutionen brauchen jedoch eine ganze Palette an Produkten, um funktionieren zu können. Die Krankenhäuser und Universitäten brauchen Strom und Mahlzeiten für ihre Studenten und Patienten. Im Krankenhaus wird außerdem am laufenden Band frische Wäsche benötigt. Anstatt diese Produkte und Dienstleistungen irgendwo außerhalb von Cleveland einzukaufen, können sie diese jetzt direkt bei den Genossenschaften der Stadt beziehen. Diese können langfristige Verträge mit den Anker-Institutionen abschließen und dadurch sichere Jobs in krisengeschüttelten Gegenden wie Glenville schaffen. Unterstützt werden die Genossenschaften dabei von gemeinnützigen Organisationen und der Stadtregierung, die beide auch ein Interesse daran haben möglichst viele Jobs in der Stadt zu schaffen.
Wo die Arbeiter das Sagen haben
In den Evergreen Genossenschaften bestimmen die Arbeiter, wie produziert wird und was mit dem Profit gemacht wird. Das ist nicht nur gerechter, als wenn die Aktionäre das Sagen haben. Nicht nur, weil sie keine Ahnung von der eigentlich Arbeit haben, sondern das hat auch einen anderen Vorteil: Die Arbeiter werden nie beschließen ihre eigene Firma aus der USA in ein Billiglohn-Land zu verschieben. Dadurch kann sich der wirtschaftliche Zusammenbruch, der mit der Abwanderung der großen Fabriken entstanden ist, nicht wiederholen.
Die Arbeiter bekommen aber nicht einfach den Besitz und die Kontrolle über die Unternehmen geschenkt. Wenn ein Arbeiter seine Tätigkeit bei den Evergreen Genossenschaften beginnt, wird pro Stunde 50 Cent von seinen Lohn abgezogen. Nach 7 Jahren hat er einen Genossenschafts-Anteil von 65.000 Dollar.
Die Genossenschaften denken im Cleveland Modell aber nicht nur an sich selbst. Einen Teil ihres Profits zahlen sie in einen gemeinsamen Topf. Mit diesem Geld kann dann anderen Genossenschaften durch schwierige Zeiten geholfen werden oder neue Genossenschaften gegründet werden.
Sozial gerecht und ökologisch nachhaltig
Neben dem Schaffen von gut bezahlten Jobs in krisengeschüttelten Gegenden wollen die Evergreen Genossenschaften noch ein Pionier in nachhaltigen Wirtschaften sein. Evergreen versorgt große Teile von Cleveland mit grünem Strom und lokal angebauten Gemüse. Die genossenschaftliche Wäscherei verbraucht bedeutend weniger Strom und Wasser als eine gewöhnliche Wäscherei. Außerdem sorgen die starken regionalen Wirtschafts-Verbindungen dafür, dass lange Transportwege vermieden werden und die lokale Wirtschaft gestärkt wird.
Einflüsse des Cleveland Modells
Die Inspiration für das Cleveland Modell kommt aus einer kleinen Stadt im spanischen Baskenland namens Mondragón. Ähnlich wie Cleveland war Mondragón in einer wirtschaftlichen Krise, als die ersten Genossenschaften gegründet wurde. Der spanische Bürgerkrieg hat zu einer starken Wirtschafts-Einbruch geführt. Unter Anleitung des linken Pfarrers José María Arizmendiarrieta wurden eine technische Hochschule und mehrere Genossenschaften in der Kleinstadt gegründet. Heute ist Mondragón die größte Genossenschaft der Welt mit Niederlassungen im 31 verschiedenen Ländern und über 80.000 Mitarbeitern. Der ganze Genossenschafts-Bund wird von den Arbeitern demokratische geführt und ist in ihrem Eigentum.
Aber Cleveland ist selbst auch Vorbild. Die nordenglische Stadt Preston hat eine ähnliche Geschichte wie Cleveland. Preston war früher eine pulsierende Industriestadt, die De-Industrialisierung hat die Stadt jedoch hart getroffen. Genauso wie Cleveland ist mit einem lokalen Wirtschaftsplan – basierend auf Genossenschaften – die Kehrtwende gelungen. Heute ist das sogenannte Preston-Modell offizieller Teil des Wirtschaftsprogramms der britischen Labour-Party.