Die „Letzte Generation“ startet für einen Zeitraum von zwei Wochen wieder mit Straßenblockaden in Wien. Die Tatsache, dass der Ort des Aktionismus nicht mit dem Adressaten des Protests zusammenfällt, das hat den Klimaklebern viel Kritik eingebracht. Aber was sollten die Klima-Aktivist:innen denn machen? Eine Podiumsdiskussion?
Vor einigen Wochen war ich bei einer Buchpräsentation. Es ging – sehr faktenreich – darum, dass die Reichen zu reich und die Armen zu arm sind – und wie das miteinander zusammenhängt. Die Autoren des Buches, zwei renommierte Ökonomen, lieferten einige Vorschläge, wie man das leicht ändern könnte. Die Vorschläge waren gut und einfach umzusetzen: Vermögenssteuern und Vermögensobergrenzen – das so geholte Geld für Pflege, Gesundheit und Kinder verwenden. An die 500 Gäste im Saal waren sich an diesem Abend einig, dass man das eigentlich so machen muss und dass da doch wirklich nichts dagegen spricht – selbst die Umfragemehrheit hätte man hinter sich.
Naja, mit dem Einfluss der Reichen und dem Widerstand der ÖVP – mit dem müsste man es aufnehmen. Und wer soll das machen? Wohl niemand. Resigniertes Lachen, dann ging der Abend zu Ende.
Politischen Protest und den Einsatz für Forderungen kennen wir mittlerweile vor allem so: als Ritual. Studierende besetzen den Hörsaal, wenn sie zeigen wollen, dass sie mit der 10. Budgetkürzung unzufrieden sind. Umweltschützer:innen und Feministinnen laden zu Medienaktionen vor Ministerien oder Medienhäusern ein. Alle meinen es gut und ernst und wollen „etwas tun“. Etwas, von dem man aber – so ernst man es auch nimmt – eigentlich vorher schon weiß, dass man es wohl nicht erreichen wird.
Man zeigt beim Protestieren eher, dass man nicht einverstanden ist, wie es läuft. Es ist mehr eine Kommunikation als eine echte Intervention.
Ganz anders als die oberen Zehntausend – die kommunizieren nicht, sondern intervenieren: Im Finanzministerium für Steuererleichterungen, beim Bundeskanzler für Coronahilfen und beim Wirtschaftsminister für Energiehilfe-Milliarden – voller Einsatz, um ihr privates Vermögen auf Kosten der Steuerzahler weiter zu vermehren.
Jetzt gibt es da plötzlich eine Gruppe, die nicht mitspielt: Symbolischer Protest reicht ihnen nicht und in die Büros der Minister:innen werden sie nicht eingeladen. Da sitzen schon andere: Die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung und wer sich sonst aller mehr um den Reichtum der oberen Zehntausend sorgt als um die Zukunft der Gesellschaft und des Planeten.
Die „Letzte Generation“ klebt sich auf Straßen und blockiert Autofahrer:innen, eine Spur bleibt für Rettungskräfte frei. Nach etwa einer Stunde hat die Polizei alle Personen entfernt, die Aktionen aufgelöst, die wartenden Autos können weiterfahren. Die Klima-Aktivist:innen wollen nicht nur symbolisch auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Ihnen reicht kein Schulterklopfen von Gleichgesinnten und kein Achselzucken der Mächtigen. Die wollen stören, bis sich was ändert. Bis die Reaktion der Regierenden mit dem übereinstimmt, was die Klima-Realität ist. Beziehungsweise: Eigentlich wollen sie vorerst nur mal Tempo 100 auf den Autobahnen und keine neuen Öl- und Gasbohrungen.
Diese Tatsache, dass der Ort des Aktionismus nicht mit dem Adressaten des Protests zusammenfällt, das hat den Klimaklebern viel Kritik eingebracht. Die Inhalte sind gut, aber die Instrumente nicht – das ist die häufigste Antwort derer, die sie zumindest nicht einsperren oder anpinkeln wollen: Von Florian Klenk im Falter, über Clemens Oistric in der Heute, bis hin zu den Grünen Regierungsmitgliedern Gewessler und Kogler sagen das ziemlich viele.
Aber was sollten die Klimaaktivist:innen denn machen? Sie könnten zum Beispiel eine Buchpräsentation machen und ein wenig lächeln auf die Frage von Gleichgesinnten, warum „die Politik“ das nicht umsetzt. Sie könnten eine Demo veranstalten und ein Kästchen in den Tageszeitungen würde darüber berichten. Vielleicht bekämen sie sogar einen Meldungsblock in der Zeit im Bild.
Aber dann hätten sie sich damit abgefunden, dass das eben nichts wird, mit ihrem Anliegen. Dass Tempo 100 zwar eine gute Idee ist, die den CO2 Ausstoß auf den Autobahnen um ein Viertel reduzieren würde (der Verkehr ist das Klima-Problemkind in Österreich) und eigentlich niemandem weh tun würde, aber eben nicht umgesetzt wird.
„Angesichts von Überschwemmungen, Trockenheit und Hitzetoten ist doch Tempo 100 wirklich eine Kleinigkeit“, würde dann jemand im Publikum bei so einer Präsentation sagen. Würde auch kaum jemandem weh tun, ein paar Minuten länger auf einer Pendelstrecke, die man mit dem Auto zurück legt, wäre man sich einig. Wer wirklich dagegen ist, man würde es nicht so genau wissen: Die Autofahrerklubs, die Tankstellen, die Straßenbauer? Selbst die niederösterreichische Landeshauptfrau wollte zwar vor der niederösterreichischen Landtagswahl die Klimakleber einsperren, aber gegen Tempo 100 war sie selbst im Wahlkampf nicht grundsätzlich.
Ich glaube, in der Kritik an den „Methoden“ der Klimakleber steckt auch ein wenig Neid. Neid an dem Selbstbewusstsein, der Überzeugtheit und der Unbescheidenheit, mit der diese Leute für ihre Sache eintreten. Die ja auch die Sache der Wissenschaft ist, wie die Unterstützung von 50 hochrangigen Wissenschaftler:innen zeigt, die sich bei einer Protestaktion am Praterstern beteiligten.
Man weiß: Sie werden keine Ruhe geben, bis die Regierung was tut. Jetzt gehen die Protestaktionen weiter – und die Zahl der Aktivist:innen sei sogar gewachsen, sagt die „Letzte Generation“. Es gehe „nicht darum, böswillig in den Alltag Einzelner einzugreifen, sondern um ein Umdenken in der Politik“, sagt eine Aktivistin am Montag. Die Klebe-Proteste und Blockaden sind dann erledigt, wenn die Regierung die Klimaziele einhält.
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