Verteilungsgerechtigkeit

Kurz über sein Wahlprogramm: „Die Friseurin und der Kellner bekommen nichts. Selbstredend“

Die ÖVP hat ihr Programm für die Nationalratswahl vorgelegt. Es verspricht Milliarden an Entlastungen für Besserverdiener und Unternehmen. Die Finanzierung bleibt gleichzeitig offen. ÖVP-Obmann Kurz fehlen bei einer seriösen Rechnung 14 Milliarden Euro. Wer die am Schluss zahlen wird?

Anfang Juni hat ÖVP-Obmann Sebastian angekündigt, dass er die Steuer- und Abgabenquote von derzeit 43 Prozent auf 40 Prozent senken will, also 14 Milliarden Euro pro Jahr einsparen will.

Woher sollen die 14 Mrd. kommen?

Seine vagen Andeutungen damals, wie er die 14 Mrd. Euro zusammenbekommen will: Kürzen bei den Förderungen und bei der Mindestsicherung und Familienbeihilfe für Ausländer.

Ganze drei Monate hat die ÖVP gebraucht, um jetzt in ihrem Wahlprogramm zum ersten Mal ein bisschen genauer zu erklären, wie sie sich das vorstellen. Kurz hat es am Dienstag präsentiert und es heißt „Neue Gerechtigkeit & Verantwortung“. Was will die ÖVP?

Erben werden gefördert

Ganze 200 Millionen Euro will Kurz jenen mitgeben, die eine Eigentumswohnung oder ein Haus kaufen. Während der Staat auf seine Gebühren (Grunderwerbssteuer 3,5%, Grundbucheintragung 1,1%, Pfandrechteintragung 1,2%) verzichten soll, um Wohnungseigentum günstiger zu machen, werden Maklergebühren sowie Kosten für Notar und Rechtsanwalt von der ÖVP nicht angerührt.

Außerdem hat Kurz das Kunststück zusammengebracht, eine staatliche Prämie fürs Erben unterzubringen:

Da diese Gebühren auch für geschenkte und geerbte Wohnungen fällig werden, wird nicht nur die Erbschaft nicht besteuert, sondern der Staat zahlt sogar noch bis zu 20.000 Euro dazu.

Mieterinnen werden dem Markt überlassen

Weniger großzügig als gegenüber Immobilienbesitzern und Erben zeigt sich die ÖVP gegenüber den MieterInnen. „Manche Politiker fordern eine Reglementierung der Mietpreise. Diese Forderung bekämpft aber nur das Symptom (Anm.: Das wäre eigentlich schon ein Anfang, oder?), nicht die Ursache. Effektiver wäre eine regelmäßige Mietzinsanpassung im Gemeindebau … und ein Anheben des Mietzinses bis an marktübliches Niveau.“

Das heißt: Mieten am freien Markt dürfen nicht begrenzt werden,  weil man dor nicht eingreifen darf. Dafür sollen im sozialen Wohnbau die Mieten sogar angehoben werden.

3-4 Mrd. Euro Steuergeschenke für Unternehmen

Die Körperschaftssteuer für nicht entnommene Gewinne will Kurz streichen. Das kostet 1 Mrd. Euro, sagt er. Die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftsforscher von Eco Austria kommen auf 2,8 bis 4 Mrd. Euro.

Der Sinn laut ÖVP: Die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Der reale Effekt: Der europäische Steuerwettlauf nach unten bei den Unternehmenssteuern würde weiter befeuert.

Zum Schluss zahlen ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen einen immer größeren Anteil am gesamten Steueraufkommen.

Steuerentlastung für die oberen 5 Prozent

Von der Reform der Lohnsteuer im ÖVP-Modell profitieren vor allem die Top 5 Verdiener: An sie fließen 20 Prozent der Entlastung. Nur 11 Prozent des Entlastungsvolumens gehen hingegen an die gesamte einkommensschwächere Hälfte. Und das unterste Einkommensdrittel bekommt überhaupt keine Entlastung.

Recherche für Grafik von Lukas Oberndorfer

„Kinderbonus“ statt Kinderbetreuung

Auch für Kinder soll es eine Art Prämie geben – im Ausmaß von 2 Mrd. Euro. Die ÖVP nennt es „Steuerbonus“: Für jedes Kind (unter 18, in Österreich lebend) soll die Familie 1.500 Euro weniger Einkommenssteuer zahlen. Dafür will sie den Kinderfreibetrag streichen – das sind 2.300 Euro steuerfrei pro Kind und Jahr für Kinderbetreuungskosten.

Die Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass von den 150.000 AlleinerzieherInnen 90.000 einfach gar nichts bekommen würden. Nur 33.000 wiederum würden von der Begünstigung in voller Höhe profitieren. Eine Alleinerzieherun müsste 2.3000 Euro brutto verdienen, um den Bonus voll ausschöpfen zu können. Kurz reagiert auf diese Schieflage flapsig: Die Väter könnten den Bonus doch ihren geschiedenen Frauen weitergeben, meint er.

3 Mrd. weniger Geld für Familienfonds

Die ÖVP will die Beiträge der Unternehmen zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) halbieren – ohne Gegenfinanzierung. Das hat den Nachteil, dass 3 Milliarden im FLAF fehlen –  das sind 40 Prozent der Einnahmen des Fonds, aus dem etwa Familien- und Geburtenbeihilfe, Schüler- und Lehrlingsfreifahrten, der Mutter-Kind-Paß oder Unterhaltsvorschüsse finanziert werden.

Wer soll weniger bekommen?

Sparen will die ÖVP bei den Ärmsten, generell bei der Mindestsicherung mit einer Deckelung von 1.500 Euro bei Familien mit Kindern, und noch stärker bei der Mindestsicherung für Asylberechtigte, die auf 560 Euro/Monat zusammengestrichen werden soll.

Der finanzielle Effekt ist – gemessen an den Milliardenbeträgen an Steuergeschenken – gering und liegt bei 56 Mio. Euro.

14 Mrd. Euro ohne Gegenfinanzierung

Dazu muss man die Gesamtkosten richtig erfassen, die aber von der ÖVP in ihrem Programm nicht ausgwiesen werden. Denn zu den 14 Mrd. Euro (Senkung der Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent) kommen 3,3 Mrd. Euro Konsolidierungskosten fürs Nulldefizit dazu und eine halbe Milliarde für die Harmonisierung der Krankenversicherungs-Leistungen. Dann nochmal drei Milliarden, weil Kurz die KÖSt-Senkung fälschlicherweise nur mit einer Milliarde verbucht hat, nicht mit den von Wirtschaftsforschern errechneten Kosten von 4 Milliarden.

In Summe: Mehr als 20 Mrd. Euro.

Eine konkrete Gegenfinanzieren gibt es im ÖVP-Programm nur für rund eine Milliarde (Indexierung Familienbeihilfe, Mindestsicherung, Steuerflucht).

Nimmt man an, dass durch das Wirtschaftswachstum vier bis fünf Milliarden zusätzliche Einnahmen hereinkommen, blieben mehr als 14 Milliarden Euro ohne Gegenfinanzierung.

Kürzungen im Ausmaß aller Bildungsausgaben

Wie die Hereinkommen sollen, will Kurz vor der Wahl nicht sagen. Die Kapitel „Ausgabenbremse“ und „Systemeffizienz“ bleiben vage.

Klar ist, dass eine enorme Summe offenbleibt: 14 Mrd. Euro sind mehr als der Bund für alle Bundesbediensteten und Landeslehrer ausgibt. Das ist beinahe so viel, wie für alle österreichischen Krankenhäuser aufgewendet wird. Und das liegt wenig unter der Summe, die Österreich für Kindergärten, Schulen und Universitäten ausgibt.

Kurz kann seine Rechnung nur durch einen bisher nie dagewesenen Abbau des Sozialstaates begleichen.

Der Standard“ hat Kurz‘ Programm so kommentiert: „Wer am wenigsten hat, soll weniger bekommen.“ Und: „Wie die Umverteilung von Arm zu Reich finanziert werden soll? Darüber schweigt das Programm.“


 
Wie soll die Sicherheitspolitik Österreichs zukünftig aussehen?
  • Österreich soll seine Neutralität beibehalten und aktive Friedenspolitik machen. 58%, 1811 Stimmen
    58% aller Stimmen 58%
    1811 Stimmen - 58% aller Stimmen
  • Österreich soll der NATO beitreten und seine Neutralität aufgeben. 15%, 481 Stimme
    15% aller Stimmen 15%
    481 Stimme - 15% aller Stimmen
  • Österreich soll seine Verteidigungsausgaben erhöhen, um die Neutralität zu stärken. 12%, 370 Stimmen
    12% aller Stimmen 12%
    370 Stimmen - 12% aller Stimmen
  • Österreich soll eine aktive Rolle in einer potenziellen EU-Armee spielen. 9%, 287 Stimmen
    9% aller Stimmen 9%
    287 Stimmen - 9% aller Stimmen
  • Österreich soll sich der NATO annähern, ohne Vollmitglied zu werden. 5%, 157 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    157 Stimmen - 5% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 3106
12. März 2024
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