Uruguay ist mit seinen rund 3,4 Millionen Einwohner:innen zum weltweiten Vorreiter bei erneuerbarer Energie geworden. Fast der gesamte Strom stammt aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Beim Energieverbrauch liegt der Anteil erneuerbarer Quellen bei fast zwei Dritteln. Noch vor 20 Jahren waren 80 Prozent davon importiertes Erdöl. Der Physiker, der diese Transformation leitete, sagt, dass das gleiche Konzept überall funktionieren könnte – wenn die Regierungen den Mut haben, die Regeln zu ändern.
Noch Anfang der 2000er-Jahre war Uruguay – ein Land mehr als doppelt so groß wie Österreich – stark von Energieimporten abhängig. Über 80 Prozent des Energiebedarfs deckte das Land mit importiertem Erdöl. Als die Rohölpreise in den Folgejahren stark schwankten und Rekordhöhen erreichten, traf das Uruguay hart. Gleichzeitig verschärfte eine schwere Dürre die Lage. Flüsse und Stauseen führten weniger Wasser, Wasserkraftwerke produzierten deutlich weniger Strom. Die Energieversorgung wurde unsicher und teuer.
Nicht Klima, sondern soziale und wirtschaftliche Frage im Zentrum
2008 zog die Regierung die Konsequenzen. Sie beschloss einen grundlegenden Umbau des Energiesystems. Der Strombedarf soll fast ausschließlich aus heimischen erneuerbaren Quellen kommen. Bis 2015 sollte mindestens die Hälfte des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen stammen. Zum zentralen Architekten dieses Plans wurde der Physiker Ramón Méndez Galain. Er übernahm das Amt des Nationalen Energiedirektors im zuständigen Ministerium.
Méndez Galain stellte nicht das Klima, sondern die soziale und wirtschaftliche Frage ins Zentrum. Uruguay besitzt kaum fossile Rohstoffe. Dafür gibt es reichlich Wind, Sonne, Wasser und Biomasse. Diese Energie ist lokal verfügbar, langfristig günstiger und schafft Arbeit im eigenen Land. Dieses Argument überzeugte. Bereits 2010 unterstützten alle Parteien im Parlament den Plan. Auch Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen zogen mit. Die Energiewende wurde gesetzlich verankert und damit politisch abgesichert.
„Wir haben nicht mit Klimazielen angefangen. Wir haben mit dem Problem der Kosten und der Zuverlässigkeit angefangen. Die Umwelt war ein positiver Nebeneffekt, nicht der Grund“, erklärt Méndez Galain gegenüber Forbes.
Milliarden-Investitionen und staatliche Garantien
Um den Ausbau zu finanzieren, schrieb Uruguay ab 2009 neue Windkraftprojekte international aus. Den Zuschlag erhielten jene Unternehmen, die den günstigsten Strom liefern konnten. Die hohen Investitionskosten trugen private Firmen. Der staatliche Energieversorger blieb für Netze und Energieverteilung zuständig. Er garantierte außerdem den Unternehmen fixe Abnahmepreise über 20 Jahre, was für Planungssicherheit sorgte.
Zwischen 2010 und 2022 investierten Staat und Privatwirtschaft rund sechs Milliarden US-Dollar in erneuerbare Energien. Das entspricht etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ursprüngliche Ziel erreichte Uruguay bereits 2013. Der Anteil fossiler Energien an der Stromerzeugung sank von fast 50 Prozent im Jahr 2008 auf rund zwölf Prozent im Jahr 2022. Heute produziert Uruguay fast 99 % seines Stroms aus erneuerbaren Energien. Laut Energieministerium kommen rund 42 Prozent aus Wasserkraft, 28 Prozent aus Wind, 26 Prozent aus Biomasse und drei Prozent aus Solarenergie. Das Land ist so erfolgreich, dass es inzwischen sogar Strom nach Argentinien und Brasilien exportiert.
Sinkende Preise, weniger Blackouts, mehr Jobs
Die sozialen und wirtschaftlichen Effekte sind deutlich. Laut Energieministerium gingen die Stromausfälle ab 2010 spürbar zurück. Gleichzeitig sanken sanken die Gesamtkosten der Stromerzeugung im Vergleich zu fossilen Brennstoffen um etwa die Hälfte. Verbraucher:innen zahlen jetzt 20 Prozent weniger als vor der Energiewende. Die Versorgung am Land verbesserte sich, der allgemeine Wohlstand stieg. Méndez Galain spricht von rund 50.000 neuen Arbeitsplätzen, die direkt oder indirekt durch die Energiewende entstanden. Der Staat investierte gezielt in Ausbildung. Beschäftigte aus fossilen Bereichen konnten umschulen.
„Klimapolitik scheitert, wenn sie von der Wirtschaft abgekoppelt ist. Der Übergang funktioniert, wenn er Geld spart und Arbeitsplätze schafft“, sagt Méndez Galain.
Auch ökologisch zeigt sich der Effekt. Uruguays Erdüberlastungstag fällt heuer auf den 17. Dezember, das ist jener Tag, an dem die natürlichen Ressourcen aufgebraucht sind, die für das ganze Jahr vorgesehen sind. Österreich erreicht diesen Punkt bereits Ende März.
Akzeptanz durch Beteiligung und klare Kommunikation
Ein zentraler Faktor war die Einbindung der Bevölkerung. Die Regierung präsentierte die Energiewende nicht als moralische Pflicht, sondern als Projekt für Versorgungssicherheit, nationale Unabhängigkeit und soziale Stabilität. Die Regierung startete breite Informationskampagnen und schickte Mitarbeiter:innen der Energiebehörde in abgelegene Regionen, um mit den Menschen über die Vorteile der Energiewende zu sprechen.
Zudem konnten Anwohnerinnen und Anwohner finanziell profitieren. Über Community-Fonds beteiligten sich auch ärmere Haushalte an Projekten. Wer Land für Windräder verpachtete, erhielt eine regelmäßige Vergütung. Das stärkte die Akzeptanz und verteilte die Gewinne breiter.
Für Méndez Galain ist das Modell von Uruguay auch auf andere Länder übertragbar:
„Jedes Land verfügt über Ressourcen – es geht lediglich darum, die Regeln so zu gestalten, dass sie effizient genutzt werden. Größere Volkswirtschaften benötigen zwar mehr Planung, aber das Prinzip bleibt dasselbe. (…) Wir haben erkannt, dass wir die Spielregeln ändern müssen, damit erneuerbare Energien wettbewerbsfähig sind. Wenn wir die starken Benachteiligungen zugunsten fossiler Brennstoffe beseitigen, gehen erneuerbare Energien als klarer Gewinner hervor.“
Weltweit erstmals mehr Strom aus erneuerbarer Energie erzeugt als aus Kohle

































