Fortbildung, Zusatzqualifikation, Auslandserfahrung, Zeitmanagement, Networking und natürlich IT-Kenntnisse. Das sind die Waffen für den Wettbewerb. Denn wir leben im Zeitalter der Selbstoptimierung. Die lässt sich in drei Ks zusammenfassen: Karriere, Konkurrenzkampf und Konsum. Jeder kann durch maximale Leistung und höchsten Einsatz die anderen überholen, möglichst weit an die Spitze kommen, unermesslich reich oder sogar ein Star werden. Vom Tellerwäscher zum Millionär – das ist der amerikanische Traum! Der ehemalige ÖVP-Chef Michael Spindelegger hat die Idee auf den Punkt gebracht: “Jeder kann ein Mateschitz werden.” Aber ist das so? Kontrast-Blogger Niki Kowall redet Tacheles.
Folgendes Transkript des Videos entstammt Kowalls Blog.
Die Aussage, wonach jeder ein Mateschitz werden kann, ist heimtückisch. Weil der American Dream ist zwar möglich, aber nur für einen von Tausend. Insofern ist die Aussage für 999 von Tausend eine bewusste Irreführung. Ja das ist praktisch schon gelogen. Der American Dream ist vielleicht die Grundlüge unserer Zeit. Weil Leute wie Spindelegger diese Täuschung immer aufs Neue befeuern, ist die Selbstoptimierung für unzählige Menschen heute der Sinn ihrer Existenz.
Und deshalb beginnt der Konkurrenzkampf schon in der Volksschule. Eltern, die bereits Matura oder ein Studium haben, versuchen mit allen Mitteln, dass ihre Kinder das wieder schaffen. Oftmals mit Nachhilfe, Privatschule, oder verbissener Frühförderung schon im Kleinkindalter. Gleichzeitig haben viele Eltern ohne Matura das Bedürfnis, ihren Kindern ein „besseres“ Leben bieten zu wollen. Da sind wir wieder beim Thema sozialer Aufstieg, der eine Form der Selbstoptimierung darstellt. Weil aber nicht so viele neue gute Jobs entstehen wie AkademikerInnen auf den Arbeitsmarkt kommen, wird der Konkurrenzkampf hier immer härter. Deshalb gibt es auch etliche Leute mit Uniabschluss, die unter sehr schlechten Bedingungen arbeiten müssen. Das System der Selbstoptimierung setzt alle Beteiligten unter enormen Stress.
Druck, Stress und Konkurrenz fühlen aber auch LeiharbeiterInnen, Scheinselbstständige oder Teilzeitkräfte, die von der Hand in den Mund leben müssen. Stellen wir uns eine Frau vor, die in den 90er-Jahren um die Ecke meines Elternhauses im niederösterreichischen Hainfeld Hacklerin in einer Firma für Schlösser und Beschläge war. Sie heißt Tamara und hat in ihrer Bude Metalltechnikerin gelernt. Die Firma konnte vor 20 Jahren der globalen Konkurrenz nicht mehr standhalten. Die Tamara war hintereinander: arbeitslos, Leiharbeiterin, wieder arbeitslos, in AMS-Schulung, in Elternkarenz, in der Gastronomie, wieder arbeitslos, nochmals in Elternkarenz, erneut in AMS-Schulung und ist seither in Teilzeit im Einzelhandel. Alles was sie von der Politik und vom AMS je gehört hat ist: Flexibilität, Anpassung und lebenslanges Lernen. Ihr Leben fühlt sich an wie im Hamsterrad. Sie hat große Angst nochmals arbeitslos zu werden. Sorge und Druck sind ihre permanenten Begleiter.
Die Menschen versuchen den Druck zu verarbeiten. Mit Psychologie, Esoterik, Ernährung, Sport oder Wellness. Obwohl Österreich eine unglaublich reiche Gesellschaft ist, sind wir mit Existenzängsten, Burn out, Erfolgsdruck, Workaholismus und Lebenssinnkrisen konfrontiert. Davon sind interessanterweise Menschen in schlechten beruflichen Verhältnissen ähnlich betroffen wie Leute, die ihrer Karriere alles unterordnen. Bücher, die angeblich Ratgeber sind, verkaufen sich wie warme Semmeln. Gleichzeitig gehören Stressabbau durch Marathonlauf, Fitness Center oder Yoga zum Lifestyle. Zur Leistungssteigerung werden Vitamincocktails genauso genommen wie aufputschende Drogen. Im Londoner Grundwasser lassen sich schon seit Jahren Spuren von Antidepressiva nachweisen. Etliche Zivilisationskrankheiten wie Magenprobleme, Depressionen, Neurodermitis oder Schlafstörungen stehen oftmals in Verbindung zur Selbstoptimierung in der Arbeitswelt. Das kommt heraus, wenn Menschen in erster Linie für die Wirtschaft da sind und nicht die Wirtschaft für die Menschen.
Die meisten möchten weniger Stress im Job, weniger Existenzsorgen, eine bessere Planbarkeit der persönlichen wirtschaftlichen Zukunft, mehr Zeit für Familie, Freunde, Ehrenamt und Hobbys, eine bessere Aufteilung der Kindererziehung mit dem Partner oder der Partnerin. Die Menschen möchten mehr vom Leben als Arbeit. Wir haben in der zweiten Sendung festgestellt, dass die Leute vor ein paar Jahrzehnten schon gescheiter waren. Sie haben damals folgende einfache Wahrheit begriffen: Wenn nur einer von Tausend den American Dream leben kann, dann bleiben 999 zurück. Da ist es doch gescheiter die 999 kümmern sich gemeinsam darum wie sie gut leben können, anstatt dem American Dream nachzueifern.
Also müssen wir uns als Gesellschaft entscheiden, ob wir uns weiter im Hamsterrad für Karriere, Konkurrenzkampf und Konsum zu Tode stressen möchten. Oder ob wir sagen, es gibt noch andere wichtige Dinge im Leben. Ob wir nicht versuchen durch politische Maßnahmen Stress im Leben zu reduzieren, Not zu beseitigen und Existenzängste abzumildern. Weil wir sind nicht nur Produktionsfaktor, Human Ressource oder Humankapital, sondern vor allem auch Menschen. Man möchte ja ein Mensch bleiben und nicht verkauft werden wie irgendein Stückl War. Nicht alles was an Wert hat, muss auch an Preis haben, aber mach das einmal wem klar…