Bei der Pflege wird in der politischen Diskussion oft pauschalisiert – doch Pflege ist individuell – so individuell wie die Menschen, die sie brauchen. Das zeigt auch der Fall von Hermes Phettberg. Der Künstler wurde durch die „Nette Leit Show“ und durch seine Texte für den Falter bekannt. Nach mehreren Schlaganfällen brauchte er Pflege und kam kaum mehr aus dem Bett. Seine Pflegerin ermöglichte ihm jahrelang ein freieres Leben. Er starb an 18. Dezember 2024 im Alter von 72 Jahren. Kontrast hat ihn im Februar 2019 zuhause besucht. In Gedenken haben wir die Reportage neu veröffentlicht.
Hausbesuch bei Hermes Phettberg und seinem obersten „Nothelfy“ Sir eze
Hermes Phettberg – entwaffnend fabulierender Showmaster, Elender mit katholischem Anstrich, Schwulenikone mit masochistischen Zügen – wohnt seit Jahrzehnten im 3. Stock eines Altbaus in Wien Gumpendorf, einen Lift sucht man vergeblich. Das Stiegensteigen wurde in letzter Zeit zur schieren Unmöglichkeit, und ohne die mysteriöse Hilfskraft von Sir eze säße er fest.
„Kommt herein, Hermes sitzt im Bett und will, dass ihr ihm zuseht, wie er seine Windel anzieht“,
sagt Sir eze, nachdem er – oder sie – uns die Wohnungstür geöffnet hat. Sir eze, geboren als Frau, doch fühlt sie sich genauso auch als Mann, ist die große Unbekannte, der hilfskräftige Schatten von Phettberg. Kurze Haare, Brille, blaue Jeans und ein weites Leiberl wirken recht unscheinbar, doch was Sir eze seit einigen Jahren vollbringt, sind wahre Heldentaten.
In der Zeit vor Sir eze hat Phettberg bei einem Besuch noch das Bonmot überliefert:
„Ich bin Atheist und habe heute schon geweint. Ich habe geweint, weil es keinen Gott gibt.“
Heute sagt der 1952 im Weinviertel geborene ewig Leidende:
„Sir eze ist mein Gottesbeweis“,
während er auf seinem Krankenhausbett sitzt. Sir eze ist die unsichtbare Autorität an der Seite des Lederjacken- und Blue Jeans-Fetischisten, und trotz ihrer Unabdingbarkeit wirkt sie etwas verlegen, wenn die Sprache auf ihre Person kommt. Viele Sätze beendet sie mit einem schüchternen Lachen, im Mittelpunkt zu stehen ist nicht das ihre.
In der Wohnung von Phettberg stehen zwei Leibstühle: einer, der ihm nicht „passt“, und jener, den damals schon seine Mutter verwendet hat: Der wirkt wie maßgeschneidert. Die Sitzung heute ist bereits beendet und Sir eze zieht ihm routiniert die Windel an, während er unentwegt murmelt:
„Danke, danke, danke… das ist ein Gottesgeschenk, danke, danke…“
Der Großteil von Phettbergs Leben spielt sich im Bett ab, wo er schläft, Ö1 hört und rastet, doch für den Besuch erhebt er sich.
„Hermes will sich für euch heute keine Hose anziehen“, sagt Sir eze. „Er will in seinen Windeln bleiben.“
Um sein Bett herum hängt ein Rauchfangkehrer-Kalender, Bilder von Besuchern und ein Poster der Band Bilderbuch. Sir eze schmunzelt:
„Er ist Fan von allen Bands, in denen hübsche Jungs spielen. Musik gefällt ihm optisch, aber nicht akustisch.“
Auf den meisten Fotos hier ist sowieso Hermes Phettberg höchstselbst in verschiedenen Aktionen zu sehen. Der in Euphorie und Verzweiflung gleichzeitig Badende sagt:
„Wenn ein Jeansfoto von mir gelingt, bin ich im Glücksrausch!“
Langsam bewegt sich der lebendige Widerspruch nun aus dem Bett. Mit dem Rollator trottet er ins Wohnzimmer, Sir eze, ausgestattet mit der Geduld eines Engels, steht an seiner Seite. Er nimmt Platz neben einem Holzthron, in dessen Lehne ein Bild von Phettbergs Auftritt im Berliner Berghain montiert ist. Im Sommer 2015 ist die Wohnung des leidenschaftlichen Messies (Marcel Prawys Plastiksackerlsammlung war ein Schas gegen die von Phettberg) generalsaniert worden, seine Unordnung sucht man vergeblich, die Wände frisch gestrichen, sogar der Boden ist neu. Früher lag unter Phettbergs kleinem Esstisch ein Häufchen, das aussah wie Vogelfutter, die Essenz monate-, ja jahrelanger Arbeit: Da türmten sich die Speisereste, die ihm beim Essen aus dem Mund fielen und langsam trockneten. Immer an derselben Stelle. Sein heiliger Berg.
Wenn man den auf Diskretion bedachten Sir eze über das Vorleben fragt, hört man ein lautes Lachen:
„Ich war noch nie im Gefängnis!“
Die Informationen muss man dem Geheimnisträger aus der Nase ziehen.
„Also ‚eze‘ ist ein Pseudonym, über das ich nicht mehr verraten möchte. Hermes hat schon seit Jahren einige ‚Nothelfys‘, und als besondere Ehre hat er manche dann ‚Sir‘ genannt – so bin auch ich zu dem Titel gekommen.“
Ein Ritterschlag von einem, der proklamiert, „die Krücke als Zepter“ zu gebrauchen.
Die beiden kennen sich schon seit Jahrzehnten, haben für die Wiener Stadtzeitung Falter gearbeitet, bevor Phettberg mit der „Netten Leit Show“ (1995/96) ein einzigartiges Format lieferte, über das sich der ORF wohl heute nicht mehr trauen würde. Sir eze studierte dann allerdings auswärts und der Kontakt riss ab – bis sie aus den Medien von Phettbergs Schlaganfällen erfuhr.
„Seit damals kann er nicht mehr so deutlich sprechen. Ich hab ihn besucht und er hat mich gebeten, sein Telefon abzuheben. Am nächsten Tag hat er mich schon vorgestellt als ‚meine Sekretärin‘“,
erzählt Sir eze. Ab da hat sie immer wieder im Schlafsack hier übernachtet,
„Das hat sich dann ausgeweitet, dass ich immer mehr für ihn getan habe. Ich bin mittlerweile mehr hier als in meiner eigenen Wohnung.“
Sir ezes Mutter war Krankenschwester, ihre Schwester auch, „aber ich habe mich von dem Bereich immer bewusst ferngehalten“, um ihn durch Phettberg erst recht zu zelebrieren. Seit September hat Sir eze einen zusätzlichen Teilzeitjob außer Haus, weswegen sie Phettberg um spätestens acht Uhr in der Früh verlassen muss. Einen typischen Tag im eigentlichen Sinne gibt es dennoch nicht, sagt Sir eze:
„Ich geb ihm jeden Tag in der Früh eine Spritze gegen Thrombose, sortiere ihm die Tabletten, leere die Leibschüssel aus, lese und beantworte seine E-Mails, koordiniere seine Termine, bestelle die Fahrtendienste,… Und er gibt mir dann alle möglichen Rechercheaufträge, die für ihn gerade von besonderer Wichtigkeit sind.“
Auch die „typische“ Recherchearbeit existiert so nicht, „das geht quer durchs Gemüsebeet“, sagt Sir eze:
„Das Letzte war: Es ist irgendwo irgendwas gestanden, dass ein Tierpfleger in einem Tiergarten getötet wurde, und dann ist Hermes eingefallen, dass es sowas schon mal gab, von einem Tierpfleger, der von einem Elefanten getötet wurde – und dann musste ich recherchieren, was aus dem Elefanten geworden ist.“
Phettberg fügt kleinlaut hinzu:
“Das sind meine Neugierden.“
Es entspinnt sich ein für Sir eze und Hermes Phettberg klassischer Dialog, die beiden wirken wie ein altes Ehepaar:
Sir eze: Oft ist er eh nicht zufrieden mit meinen Recherchearbeiten und mir. [lacht] Hermes Phettberg: Ich bin sehr zufrieden, sehr zufrieden!
Sir eze: Es schwankt immer extrem zwischen „Du Trampel“ und „Du Engel“. [lacht] Hermes Phettberg [murmelt undeutlich]: Na, es muss deutlich geredet werden, damit alles klar ist.
Und dieses undeutliche Murmeln ist auch Phettbergs größtes Dilemma, mehr noch als seine körperlichen Leiden: Denn inhaltlich ist er noch immer spitz wie kein anderer, ein sprachliches Genie zwischen trockener Miene und Fabulierkunst auf höchstem Niveau. Das Wort ist seine stärkste Waffe und schwerer als das biblische. In seinen Fernsehshows stellte er elendslange Fragen, weit verschachtelter als ein geschriebener Satz von Thomas Bernhard, die sein Gegenüber gleichzeitig entlarvten und die peinliche Antwort auf die eigentlich gestellte Frage bereits beinhalteten.
Durch seine Schlaganfälle seit 2006 kann er diese Waffe der boshaft-eigenbrötlerischen Eloquenz nicht mehr so artikulieren, wie der Sturkopf es möchte. Dieser Tatsache ist sich Phettberg vollends bewusst, und wenn er heute stammelt, und das noch dazu schwer verständlich, leidet er darunter wie ein Beethoven, dem das Gehör verloren geht, oder, um in Phettbergs Kosmos zu bleiben: wie ein geiler Hund, dem der Schwanz abfällt.
Sir eze würde Phettberg weder als ihren Klienten noch als ihren Kunden bezeichnen, als schwierig jedoch allemal. „Aber ich bin wahrscheinlich auch nicht so einfach“, fügt sie bescheiden hinzu. „Wir streiten uns oft genug.“ Warum? Und bevor Sir eze eine Antwort geben kann, gibt Phettberg sie – bzw. das genaue Gegenteil davon. Ein neues, für das Duo typisches Zwiegespräch entspinnt sich:
Hermes Phettberg: Na hallo, hallo! Es kann keinen lieberen Menschen auf der Welt geben als Sir eze. Das gute Essen, das du jeden Tag rausfindest!
Sir eze: Er kann ja durch die Hirnschläge nicht lesen, und ich vergleich immer verschiedene Speisepläne und such ihm, was er mag.
Sir eze: Aber worüber streiten wir uns? Das war die Frage! Fallt dir nix ein?
Hermes Phettberg: Ich weiß nix.
Sir eze: Heut hab ich dich noch extra dran erinnert, was du erwähnen könntest als ständiges Streitthema.
Hermes Phettberg: Da war nix.
Sir eze: Hermes!
Ein Streitthema ist z.B., wenn ich nicht sofort für ihn da bin. Wenn ich Freizeit habe, spiel ich ganz gern online Schach, so kurze Partien auf fünf oder zehn Minuten. Es ist wirklich fast nicht möglich, neben ihm so eine Partie ungestört zu Ende zu spielen. Einmal hab ich gesagt:
„Ich fang jetzt jedes Mal, wenn du mich störst, eine neue an!“
Nach der zwölften Partie hab ich’s dann aufgegeben.
Was auch ein Streitthema ist: Wenn ich sage, er soll mehr Bewegung machen, gell Hermes?
Hermes Phettberg: [lacht] Sir eze: Er weigert sich, sich zu bewegen, obwohl ihm das gut tun würde. Zu Silvester habe ich ihn mit viel Müh und Not dazu gebracht, mit dem Rollator ins Wohnzimmer zu kommen, dann haben wir ein Tänzchen gemacht. Dazu sind Überredungskünste nötig.
Phettberg hält sich durch seine inneren Antagonismen am Leben, in seiner gnadenlosen Liebenswürdigkeit entpuppt er sich gleichzeitig als extrem fordernd. Doch seit letztem Sommer hat er tatsächlich massive Probleme mit dem Stiegensteigen, das ist keines seiner Mätzchen. Der Weg hinunter gelingt in einer stundenlangen Hantelaktion mit Sir eze, hinauf muss jemand vom Krankentransport mit einem Tragesessel kommen: kein Gratis-Service.
„Hermes sagt immer: ‚Das ist gar nicht teuer, weil ich bin ja so schwer.‘ Aber es kostet dennoch 50 Euro, das läppert sich zusammen“,
erzählt Sir eze. Der zwischen übertriebener Bescheidenheit und maßloser Besitzergreifung oszillierende Phettberg entgegnet:
„Aber wer wird sonst schon so getragen? Ich bin ein feiner Kerl, ich werde getragen!“ Der König der Elenden, getragen von seinen „Nothelfys“.
Da das dennoch keine Dauerlösung ist, sind die beiden auf der Suche nach einer ebenerdigen Wohnung, wenn möglich im 6. oder einem benachbarten Bezirk. „Wir hatten schon einen Aufruf in der Bezirkszeitung, aber da war überhaupt keine Rückmeldung“, so Sir eze, der übrigens nicht nur Phettbergs Pflegerin und zweite Hälfte ist, sondern auch sein Medium: Sir eze stellt meist die „Fisimatenten“-Kolumne für den Augustin zusammen, und in Ausnahmefällen auch den Falter-„Predigtdienst“. Vor allem aber lebt Phettberg durch seine „Gestionen“: allwöchentlich per E-Mail verschickte Tagesprotokolle seines Leidens und Lebens, die er Sir eze diktiert und die langsam, aber sicher auch online gestellt werden.
Sir eze:
„Das ist eigentlich die meiste Arbeit. Wenn er bei einem Satz das Gefühl hat, dass er nicht gelungen ist, muss ich ihm den vorlesen und etwas ändern – oft unzählige Male, bis ich die Änderungen schließlich doch wieder rückgängig machen soll.“
Von Altersmilde keine Spur? Phettberg schnappt zu:
„Nein, will ich auch nicht.“
Sir eze versteht ihn zwar so gut wie niemand sonst, aber einfach ist das Dechiffrieren seiner Sprache dennoch nicht. Ein Absatz kann da schon eine Stunde in Anspruch nehmen,
„und wenn ich mich verhör, dann wird er gleich zornig. Wenn ich hingegen sag: ‚Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst‘, sagt er: ‚Das sind die besten Sätze!‘ Ein Streitpunkt ist auch, wenn er manche Sachen von der Rechtschreibung oder Grammatik her falsch stehen haben will“, seufzt Sir eze. „Dann sag ich: ‚Hermes, du kannst nicht gleichzeitig schreiben, wie super ich korrigiere – und dann zwingst du mich, dass ich sowas stehen lasse.‘“
Trotz all seiner Macken, die im Blitztempo von liebenswürdig bis haareraufend wechseln, steht Sir eze zu Hermes Phettberg – fast möchte man sagen: mehr als er zu sich selbst. Ihre Beziehung ist ein außergewöhnliches menschliches Biotop, das es so nicht zweimal gibt. Sir eze lächelt und sagt:
„Er hat ein total gutes Herz, er ist hochintelligent, es ist sehr interessant mit ihm, langweilig wird’s nie. Ich erinner mich bis heute, einmal vor vielen, vielen Jahren wollte er, dass ich etwas in einer Schachtel verstaue, die Schachtel war aber viel zu klein – wirklich viel zu klein. Am Ende hab ich Hermes die Schachtel und das Ding gegeben und gesagt: ‚Da, zeig mir vor, wie du das machst!‘ Da hat er dann selber gelacht. Aber vorher hat er zehn Minuten drauf bestanden: ‚Doch, das geht! Du machst das nur falsch, du kannst das nicht!‘”
Mit ihrem unbändigen Engagement ist es Sir eze dennoch nicht möglich, um finanzielle Hilfe aus öffentlichen Geldern anzusuchen, denn sie wohnt weder offiziell hier, noch sind die beiden verheiratet.
„Das geht alles nicht so einfach.“ “Aber nicht mehr lange! Wir heiraten. Bahoart“,proklamiert das Aushängeschild der Homosexuellenbewegung und masochistischer Gelüste Hermes Phettberg: „Auch wenn ich mir niemals gedacht hätte, eine Frau zu heiraten, niemals!“ „Ich bin eh keine richtige Frau“, sagt Sir eze fast beleidigt. „Und ich sag immer: ‚Du musst nicht.‘ Aber eigentlich ist es eh dein Wunsch, zu heiraten.“
Phettberg bohrt verschmust seinen Kopf in Sir ezes Schulter und murmelt in der Schleife:
„Wir sind ineinander vernarrt. Bussi?”
Sir eze: Jetzt wird’s aber kitschig.
Hermes Phettberg: Na komm.
Der Vorhang schließt sich.
Und Fortsetzung folgt.
Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Februar 2019.