Aus dem liberalen Spektrum überschlagen sich die Ratschläge an die SPÖ, wie die liberale Demokratie zu verteidigen sei. Die Vorschläge sind gut gemeint, in der Realität jedoch nutzlos bis kontraproduktiv. Am besten verteidigt die SPÖ die liberale Demokratie, indem sie für soziale Ziele kämpft.
Im Morgenjournal vom Montag hat der SPÖ-Spitzenkandidat für die Europawahl, Andreas Schieder, seine politischen Vorstellungen dargelegt. Will man die breite Masse für Europa gewinnen, dann muss man, so Schieder, den Eindruck beseitigen, dass es sich die Großen in Europa richten können. Man muss Steuerprivilegien für Konzerne einschränke und sich stärker auf das Vorantreiben von Arbeitnehmerinteressen konzentrieren.
Die Liberalen haben die ÖVP als Verteidigerin der liberalen Demokratie verloren
Diese, ihrem Wesen nach durch und durch sozialdemokratische Ansage, wurde vom Ö1 Moderator als „klassenkämpferisch“ bezeichnet. Im Standard vom Dienstag schrieb der bekennende (Wirtschafts-)Liberale Eric Frey von einem „falschen Wahlkampfstart“. Statt sich klassenkämpferisch zu gebärden, soll die SPÖ jetzt vor allem dem Nationalismus und Rechtspopulismus den Kampf ansagen. Die „Rettung der liberalen Demokratie“ als oberstes Gebot empfahl der SPÖ auch Standard-Journalisten Hans Rauscher.
Die liberale und offene Gesellschaft zu pflegen und zu bewahren – das wollen SozialdemokratenInnen genauso wie Liberal- und ChristdemokratInnen. Weil in Österreich aber nicht Reinhold Mitterlehner oder Angela Merkel die Christdemokratie anführen, sondern ein Kanzler Kurz mit gravierenden Abgrenzungsproblemen zum Rechtspopulismus, nehmen die Liberalen die ÖVP erst gar nicht als relevante Verteidigerin der offenen Gesellschaft wahr.
Es ist schmeichelhaft, dass sie sich an die SPÖ wenden, aber die aktuellen Ratschläge helfen leider nicht weiter.
Um die offene Gesellschaft authentisch und wirksam verteidigen zu können, muss man sich das Grundvertrauen breiter Bevölkerungsgruppen nämlich erst verdient haben. Die Demokratie ist für ein bestimmtes Spektrum der Bevölkerung vor allem Selbstzweck. Für viele andere ist sie ein Mittel zum Zweck, das seine Nützlichkeit immer wieder erneut unter Beweis stellen muss.
Um die Demokratie zu stabilisieren, muss man also größere Bevölkerungsgruppen integrieren, als die Gruppe bedingungsloser DemokratInnen.
Soziale Sicherheit stärkt den Glauben an die Demokratie
Wer nicht durch ein progressives Weltbild ohnedies mit sozialdemokratischen Ideen sympathisiert, muss also anders überzeugt werden: Durch ein gutes Einkommen, eine verlässliche Gesundheitsversorgung, sichere Pensionen und eine gerechte Vermögensverteilung.
Das historische Vertrauen in die Sozialdemokratie bestand darin, dass sie in der Lage war, mit Hilfe der Demokratie den Kapitalismus so zu zähmen. Existentielle Unsicherheiten konnten weitgehend beseitigt werden. Das Durchsetzen von Regeln – auch gegenüber Starken –, das Herstellen von Übersichtlichkeit und Berechenbarkeit (verlässliches Pensionssystem, kalkulierbare Mieten, jährliche Lohnanpassung etc.) hat auch für Menschen ohne progressives Weltbild eine große Anziehungskraft.
Ein paar Jahrzehnte Globalisierung und Liberalisierung inklusive Finanz- und Eurokrise später, ist dieses Vertrauen arg beschädigt. Während der Rechtspopulismus nationale und reaktionäre Antworten auf diese Vertrauenskrise gibt, hat die Sozialdemokratie zwei Möglichkeiten: Entweder, befolgt sie die Ratschläge liberaler KommentatorInnen und verstrickt sich in einen abstrakten Kampf um Werte, Haltungen und hole Bekenntnisse zu Europa. Oder sie spricht nicht nur über die Demokratie und auch nicht nur über Pro/Contra-Europa, sondern macht Europa vor allem zur Bühne demokratischer und sozialer Auseinandersetzungen.
Dabei stellt sich eine einfache Frage: Wie kann man die Nützlichkeit der Demokratie und der EU ganz praktisch beweisen? Wie kann man diesen großen politischen Körper nützen, um Kapitalismus und Globalisierung im 21. Jh. zu bändigen? Genau in diese völlig richtige Kerbe hat Andreas Schieder im Ö1-Mogenjournal geschlagen.
Eine sozialliberale Allianz, als die Peter Pelinka kürzlich die Regierung Kreisky bezeichnete, ist ein schönes Bündnis in Zeiten, in denen die Sozialdemokratie auf eine solide Unterstützung in der Bevölkerung zählen kann. Nur liegen die goldenen 1970er schon 40 Jahre zurück. Die SPÖ ist auf die Hälfte ihrer damaligen Größe zusammengeschmolzen, die FPÖ ist die mit Abstand stärkste Partei in der Arbeiterschaft und der Zeitgeist weht aus der ungarischen Tiefebene rechtsnational Richtung Wien. Um es im modernen Wirtschaftssprech zu sagen: In Zeiten wie diesen muss man sich auf seinen Markenkern konzentrieren und nicht Projektionsfläche für eine einflussreiche, aber kleine Gruppe liberaler Intellektueller sein.