Sebastian Kurz hat seit der Veröffentlichung der Ibiza-Videos vier Statements für die Medien und die Öffentlichkeit abgegeben. In diesen Statements bemüht er immer wiederkehrende Sprachbilder, die uns mit ihm Mitfühlen lassen sollen und die durch Wiederholung bestärkt werden. Zentral ist das Selbstbild vom verantwortungsvollen Staatsmann, Lob für die Arbeit mit der FPÖ und Tal Silberstein als das Übel der Sozialdemokratie. Hier sind die sechs wichtigsten Erzählungen von Sebastian Kurz in seiner Krisenkommunikation.
Jeweils am Anfang seiner Statements betont Kurz seine „Erschütterung“. Das ist eine sehr starke Emotion und holt uns bei unseren eigenen Empfindungen ab. Wir sind alle schockiert und können nicht glauben, was sich vor unseren Augen abspielt. Wenn Sebastian Kurz seine Statements mit seiner „Erschütterung“ einleitet, dann setzt er sich mit uns auf Augenhöhe. Er sagt: Ich empfinde gleich wie ihr und bin auf eurer Seite. Das ruft Sympathie und eine emotionale Nähe hervor. Gerade bei traumatischen, plötzlichen und schwer zu verarbeitenden Ereignissen ist es wichtig, dass wir uns anderen Menschen, die genauso empfinden, nahe fühlen. Diese Nähe stellt Sebastian Kurz geschickt immer am Beginn seiner Statements her.
Als Nächstes holt er uns aus unserer Konfusion heraus und bietet einen Ausweg aus der Erschütterung. Der Ausweg ist natürlich er selbst. Damit verlässt er die Ebene der Zuhörer, auf die er sich zu Beginn gesetzt hat und begibt sich in die Rolle des Staatsmannes. Er übernimmt Verantwortung. Das betont er dezidiert. Dabei muss er keine konkreten Taten setzen oder uns im Detail erklären, wie es weiter geht. Wichtig ist ihm, dass wir das Wort „Verantwortung“ hören. Es ist positiv besetzt und er kettet dieses Wort sprachlich an sich selbst. Um das zu unterstreichen, borgt er sich sprachlich den Ruf von einer politischen Figur, der er offenbar das verantwortungsvollste Image überhaupt zugesteht – dem Bundespräsidenten. Immer, wenn Kurz von seiner Verantwortung spricht, erwähnt er in einem Nebensatz oder im nächsten Satz, dass er dies gemeinsam mit dem Bundespräsidenten tut. Das soll ihn über alle anderen Politiker_innen erheben und macht ihn sprachlich zu einem Zweiergespann mit Alexander van der Bellen. „Wir zwei Staatsmänner führen Österreich jetzt aus der Krise“ ist die Botschaft dieser Erzählung.
Kurz betont, dass das Regierungsprojekt zwischen FPÖ und ÖVP gelungen ist – er sieht kein Scheitern. Er bastelt damit an seinem eigenen politischen Nachlass. Naturgemäß lobt er die eigene Regierungsarbeit überschwänglich. Das ist wenig verwunderlich und einen politischen Strick kann man ihm daraus auch nicht drehen, das würden wohl alle Politiker_innen so machen. Viel spannender ist es, dass er dezidiert auch die FPÖ-Minister_innen und ihre Arbeit in das Lob und den Nachlass einbezieht. Er rechnet nicht mit der FPÖ in Regierungsverantwortung ab, sondern stellt sich im Gegenteil schützend vor sie. Das bedeutet: Kurz verteidigt auch den BVT-Skandal, die Vorgänge rund um Rechtsextreme im Bundesheer oder das zynische Agieren der Sozialministerin.
Kurz rechnet nicht mit der FPÖ in Regierungsverantwortung ab, sondern stellt sich im Gegenteil schützend vor sie
Das ist verwunderlich, weil es eigentlich einfache Punkte sind, mit denen Kurz jetzt etwa bei Neos- oder Grünwähler_innen punkten könnte, wenn er sich von der FPÖ-Politik distanzieren würde. Er macht es nicht, sondern stellt sich vor die gesamte Regierungsarbeit. Das bedeutet aber auch: Das Projekt Schwarz-Blau ist für Kurz keineswegs gescheitert oder in der Zukunft undenkbar. Er stößt sich an einzelnen Personen in der FPÖ und ihrem „Stil“, wie er betont. Er stößt sich nicht grundsätzlich am Agieren der FPÖ in Regierungsverantwortung.
Das negative Gegensatzpaar zur FPÖ ist immer die Sozialdemokratie. Kurz lässt in keinem seiner Statements ein Hinhauen auf die SPÖ aus. Diese sei „nicht Willens“ ihn zu unterstützen und damit Verantwortung zu übernehmen. In Wahrheit bastle diese sogar an einem Linksruck in Europa, der ja eigentlich fast noch schlimmer als ein Rechtsruck sei. So erwähnt Kurz völlig zusammenhangslos den Namen des sozialdemokratischen Europawahl-Spitzenkandidaten Frans Timmermanns. Dieser hat überhaupt nichts mit der aktuellen Staatskrise in Österreich zu tun, soll aber sprachlich mitangepatzt werden. Er ist genauso schlimm wie diese korrupte FPÖ.
Kurz stellt die Sozialdemokratie als genauso schlimm dar wie die FPÖ, obwohl sich diese nichts zu Schulden hat kommen lassen.
Ein Skandal der FPÖ soll also gleichzeitig auch der gesamten europäischen Sozialdemokratie schaden, die sich überhaupt nichts zu Schulden hat kommen lassen. Das ist sprachlich ein elaborierter Trick. Wenn ich nur oft genug jemand völlig Unbeteiligten sprachlich in die Nähe eines Skandals rücke, dann beginnen wir im Kopf die Beiden zu vermischen. Übrig bleibt: Ja, das war ein Skandal der Rechtsextremen, aber so ganz koscher ist die Sozialdemokratie auch nicht. Das ist natürlich aus dem 1×1 des Dirty Campaigning, weil es auf keinerlei Fakten basiert und unterschwellig wirkt.
Dazu passt auch der immer wieder kehrende Tal Silberstein. Silberstein ist längst zur Chiffre für eine übermächtige, gnadenlose und bösartige Macht geworden, die im Sinne der Sozialdemokratie Unfrieden zum Schaden von FPÖ und ÖVP stiftet. Der antisemitische Unterton ist evident, wie auch Doron Rabinovici analysiert. Interessant ist dabei, dass sich Kurz völlig ohne Not auf dieses Narrativ einlässt, das eher zu den FPÖ-nahen Medien unzensuriert und Wochenblick als zur ÖVP passt. Er möchte zwar das Selbe sagen wie die FPÖ, aber eben nicht im selben Schmuddelstil. Mit dem Aufgreifen einer Verschwörung und dem Stilisieren von Tal Silbertein zu einer fast schon übermächtig agierenden (jüdischen) Figur aus dem Ausland, setzt er sich aber direkt in eine Linie mit Orbán und Strache und führt das Soros-Feindbild der extremen Rechten fort.
Tal Silberstein ist eine antisemitische Chiffre, die Kurz benutzt, um die Sozialdemokratie anzugreifen.
Zumal dieses Narrativ ja vorrangig der FPÖ nutzt, die sich dadurch zum Opfer machen kann. Die ÖVP hat von diesem riskanten Spiel ja vergleichweise wenig. Außer man zieht in Betracht, dass das Ziel hinter dem Spinnen dieser Verschwörungstheorie um Tal Silberstein einzig und allein die verbale Zerstörung der Sozialdemokratie ist. Das ist ein interessanter Unterschied zur FPÖ: Denn die FPÖ hat Kurz im Unterschied zur SPÖ sogar während des Skandals teilweise in Schutz genommen. Die Sozialdemokratie hingegen wird von Kurz in keinem Aspekt als positiv oder partnerschaftlich, sondern allein als schlecht betrachtet. Das heißt, dass Kurz die Staatskrise dazu nutzt, um mit der Sozialdemokratie abzurechnen – nicht mit der FPÖ.
Wie ein Mantra betont Kurz, dass es keine Alternative zu ihm gibt. Wenn wir wollen, dass es wieder gut wird, dann müssen wir ihn wählen. Hier ist er am Ende seiner Statements schon im vollen Wahlkampfmodus. Dabei ist bemerkenswert, dass er nicht vorrangig um Stimmen für die ÖVP oder eine konservative Idee, sondern für sich selbst bittet. Dazu verwendet er eine quasi-religiöse Sprache, die ich hier analysiert habe. Für uns als Zuhörer_innen ist es wichtig, dass wir aus dem negativen Ist-Zustand und den düsteren Skizzierungen der anderen Parteien hin zu einer positiven Zukunftssicht kommen. Und diese kann uns nur Sebastian Kurz persönlich bringen. Er sei der Garant für diese positive Zukunft. Nur er. Durch die Fokussierung auf die Person Kurz fallen auch wieder emotionale Schranken, die wir für Parteien oder Programme hätten. Einer Person wollen und können wir viel leichter vertrauen. Mit diesem Narrativ sucht er wieder unsere Nähe. Er ist uns nah, während FPÖ und Sozialdemokratie verantwortungslos oder grundschlecht sind.
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