Die Wirecard-Affäre weitet sich immer mehr zu einer Staatsaffäre aus. Der Fall zeigt: Der Bundesverfassungsschutz ist völlig lahmgelegt. Mitarbeiter arbeiteten nebenberuflich für den Finanzdienstleister Wirecard und waren sogar in die Flucht von dessen Vorstand Jan Marsalek nach Russland involviert. All das passierte direkt vor der Nase von Innenminister Karl Nehammer. Für Kurz und Sobotka werden ihre Kontakte zum Unternehmen, das einen der größten Betrugsfälle aller Zeiten auslöste, unangenehm. Die ÖVP hat nämlich 2017 vom Wirecard-Vorstand Markus Braun 70.000 Euro erhalten.
Es klingt wie ein schlechter Agentenfilm: Der Zahlungsdienstleister Wirecard verdient sein Geld zu Beginn hauptsächlich als Bezahldienst für Online-Casinos und Pornoseiten. Mit nur 30 Jahren übernimmt der Österreicher Jan Marsalek das operative Geschäft. Er trickst das Unternehmen innerhalb weniger Jahren in den deutschen Börsenindex DAX. Dort war Wirecard bald mehr wert als die Commerzbank und die Deutsche Bank zusammen. Im Juni 2020 kollabierte das System-Wirecard: Der Konzern bilanzierte Vermögenswerte von mindestens 1,9 Milliarden Euro, die nicht existieren. Als das öffentlich wurde, stürzte die Aktie von 104 Euro pro Stück auf unter 2 Euro innerhalb nur eines Monats ab. Der Vorstandsvorsitzende Markus Braun wurde wegen bandenmäßigen Betruges verhaftet, nach seiner rechte Hand, Jan Marsalek, wird international gefahndet. Dem Österreicher Marsalek gelang die Flucht: An diesem Punkt zeigen sich die Verflechtungen zwischen der heimischen Politik und dem Bilanzfälscher.
Am 18. Juni sitzt Jan Marsalek noch mit dem karenzierten Beamten des österreichischen Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Martin W. beim Italiener in München. Der Geheimdienstbeamte W. plante mit seinem Kollegen O. die Flucht von Marsalek. Am 19. Juni flog ein Privatjet mit Marsalek von Bad Vöslau über Tallinn nach Minsk und später weiter nach Moskau. Organisiert wurde der Flug vom ehemaligen FPÖ-Nationalratsabgeordneten Thomas Schellenbacher. Schellenbacher ist geständig und wegen eines anderen Deliktes in Untersuchungshaft. Die BVT Beamten W. und O. wurden festgenommen und befragt. W. wurde mittlerweile aus der Haft entlassen, die Freilassung von O. steht laut zackzack.at unmittelbar bevor.
Marsalek nutze seine Kontakte zur Staatspolizei offenbar schon zuvor für Wirecard. Verfassungsschutzbeamte sollen mit ihrem Zugang zu geheimdienstlichen Informationen die Zahlungsfähigkeit von Pornoseiten für Wirecard überprüft haben. Schon in den vergangenen Jahren fielen BVT-Beamte mit Nebentätigkeiten auf, die sich mit ihrer eigentlichen Arbeiten spießten – abgesehen davon, dass eine Vollzeitstelle bei einem Geheimdienst normalerweise wenig Spielraum für andere Jobs lässt. Allzu stressig dürfte es aber für manche Mitarbeiter im BVT nicht zugehen: So soll Wolfgang Sobotka als Innenminister BVT-Beamte beauftragt haben, Teile des ÖVP-Wahlprogramms 2017 in ihrer Arbeitszeit zu verfassen.
Marsaleks Kontakte reichten aber nicht nur ins BVT. So kannte er etwa auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobokta persönlich. Das wollte die ÖVP lange nicht eingestehen: Sobotka behauptete im Ibiza-Untersuchungsausschuss, sich an kein Treffen zu erinnern. Zackzack.at konnte das Treffen beweisen und veröffentlichte ein Foto von Marsalek und Sobotka bei einem geselligen Abend in Moskau, organisiert von der russisch-österreichischen Freundschaftsgesellschaft zu Ehren von Wolfgang Sobotka. Das Treffen fand 2017 statt, also zu jener Zeit als Sobotka noch Innenminister und damit für das BVT zuständig war.
Wenige Monate vor dem Treffen zwischen dem damaligen Innenminister Sobotka und Jan Marsalek flog Sebastian Kurz, damals noch als Außenminister, überraschend nach Libyen. Und er setzte sich plötzlich für die Schließung der „Mittelmeerroute“ ein. Kurz verlangte, „von internationalen Organisationen betriebene Auffanglager in Libyen“ aufzubauen. Die EU solle zudem auf libyschem Territorium gegen „Schleuser“ vorgehen. Marsalek plante zu dieser Zeit ein Projekt, dass genau das bewerkstelligen sollte. Er wollte eine Privatmiliz mit 15.000 Mann in Libyen aufbauen – und hoffte wohl auf Aufträge aus der EU.
Kurze Zeit nach dem Vorstoß von Kurz spendete der Vorstandsvorsitzende von Wirecard, Markus Braun, 70.000 Euro für den ÖVP-Wahlkampf. Die Spenden waren jedoch gestückelt und so der Kontrolle durch den Rechnungshof entzogen. Braun wurde zu einem engen Berater von Bundeskanzler Kurz und sitze auch in dessen Experte-Gremium „Think Austria“.
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