Vor 110 Jahren, im Jahr 1909, gründeten Wiener Juden trotz des vorherrschenden Antisemitismus den Fußballverein SC Hakoah. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 begann die Verfolgung und Ermordung von Mitgliedern des Vereins, noch im gleichen Jahr wurde der Verein von den Nationalsozialisten ausgelöscht. Doch das war nicht das Ende der SC Hakoah Wien.
„Bei den ersten Olympischen Spielen in Athen 1896 war Österreich durch drei Sportler vertreten. Paul Neumann, Adolf Schemal, und Otto Herschmann. Alle drei sehr erfolgreich und Medaillengewinner, alle drei jüdischen Glaubens. Doch durch die „Ariarparagraphen“ wurden Jüdinnen und Juden zu dieser Zeit immer mehr aus den Sportvereinen gedrängt. In der Folge gründeten sie eigene jüdische Sportvereine“, sagt Univ. Prof. Dr. Paul Haber, Vereinspräsident der Hakoah Wien und Sportmediziner im Gespräch mit Kontrast. Bereits vor der Hakoah gab es einen Sportverein in Wien, der sich an die sporttreibenden Juden Wiens richtete. 1899 gründete sich der „Erste Wiener jüdische Turnverein“.
Eine wachsende Gemeinde
Ab 1867 fiel die Zuwanderungsquote für Juden in die Hauptstadt. Das brachte mit sich, dass die Zahl der Zugewanderten bis zum Ende des Jahrhunderts deutlich anstieg. Böhmen, Mähren, Galizien und Ungarn waren die Zentren, aus denen der Zuzug stattfand. 1890 lebten in Wien rund 817.000 Menschen, von denen beinahe 99.500 (12,0%) der jüdischen Gemeinde angehörten. Unter dem Deutschnationalen und antisemitischen Politiker Georg Ritter von Schönerer erlies der „Erste Wiener Turnverein“ allerdings bereits 1887 einen „Ariarparagraphen“, der es der jüdischen Bevölkerung unmöglich machte, dort weiterhin Sport auszuüben. Folglich nahmen auch die meisten anderen Wiener Sportvereine diesen Paragraphen in ihre Statuten auf. Nach zehnjährigem Bestehen des ersten Wiener jüdischen Turnvereins gründete sich im Frühherbst 1909 die Hakoah, was auf Hebräisch ‚die Kraft‘ bedeutet.
Die ersten Jahre, erste spektakuläre Erfolge
Ausschlaggebend für die Gründung war ein Fußballspiel zwischen der Vienna und dem jüdisch-ungarischen Klub Vivo es Athletikai Club Budapest. Von Seiten der Budapester wurde ein Bruderverein in Wien angeregt. Fußball, Leichtathletik und Schwerathletik waren die Sportarten, die man ausführen sollte. Aber auch Schwimmen/Wasserball, Tennis, Fechten, Hockey und Ringen fanden Einzug in das Angebot. Viele Erfolge in den 1910er und 1920er Jahren machten den Verein bekannt. So wechselte einer der auch noch heute berühmtesten ungarischen Fußballer, Béla Guttmann, 1921 zur Hakoah, mit der er 1922 in Österreichs höchster Liga Vizemeister und 1925 Meister wurde. 1922 fand man auch eine geeignete Sportstätte – in der Krieau, im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Und ein aus österreichischer Sicht noch nie dagewesener sportlicher Erfolg gelang: Der englische FA-Cup-Finalist West Ham United wurde in England mit 5:0 besiegt. Ein englisches Team auswärts zu besiegen, das schaffte zuvor noch kein Klub vom kontinentalen Europa.
“Es muss eine Stadt sein, in der 150.000 bis 200.000 Juden wohnen. Nicht weniger, sonst fehlt es am Nachwuchs, aber auch nicht mehr, denn sonst zersplittert die jüdische Gemeinschaft politisch.” (Präsident Haber)
Doch auch in anderen Sportarten konnte man sich zu dieser Zeit etablieren und Titel gewinnen. So gewannen die Schwimmerinnen Hedy Bienenfeld-Wertheimer und Fritzi Löwy Medaillen bei der Schwimm-Europameisterschaft 1928. Oder im Wasserball, dort spielte man nicht nur mit, sondern die Hakoah gewann von 1926 bis 1828 dreimal in Folge die österreichische Meisterschaft. Neben diesen Triumphen waren die Jahre 1924 und 1925 wohl die erfolgreichsten ihrer Geschichte. Man gewann die Fußballmeisterschaft und Staatstitel im Hockey, beim Ringen, im Schwimmen, in der Leichtathletik, im Fechten und im Schach.
Fähige engagierte Funktionäre
Gefragt nach den Gründen für diese Erfolge meint Präsident Haber: „Es hat in vielen europäischen Städten jüdische Vereine gegeben, doch in keiner anderen war einer so erfolgreich wie die Hakoah in den 1920ern und 30ern. Die Hakoah war damals mit 6.000 bis 7.000 Mitgliedern einer der größten Allroundvereine weltweit. Der damalige Leiter der Schwimmsektion hat sich dazu geäußert, was die Erfolge ausmachen. Er hat gemeint, es muss eine Stadt sein in der 150.000 bis 200.000 Juden wohnen. Nicht weniger, sonst fehlt es am Nachwuchs, aber auch nicht mehr, denn sonst zersplittert die jüdische Gemeinschaft politisch. Und so traurig das klingt, es bedarf einem bestimmten Ausmaß an Antisemitismus, damit sich die jüdischen Sportlerinnen und Sportler in einem jüdischen Verein sammeln und nicht zerstreuen auf nicht jüdische Vereine. Was seiner Meinung nach noch sehr besonders war, war die große Anzahl an fähigen und engagierten Funktionären. Laut ihm sind das die zusammenspielenden Faktoren gewesen, die zu den Erfolgen führten.“
Antisemitismus, Vertreibung und Ermordung
Schon zur Mitte der 1920er Jahre kam es zu verbalen antisemitischen Attacken durch Zeitungen wie die nazistische „Deutschösterreichische Tageszeitung“. Auch gezielte Provokationen gegen Vereinsmitglieder der Hakoah mehrten sich. Hakoah-Mitglieder gründeten sogenannte „Haganah-Gruppen“, um die jüdischen Viertel vor den antisemitischen Angreifern zu verteidigen. Die Anfeindungen und Vorfälle häuften sich mit der Zeit und nach dem „Anschluss“ 1938 gingen die Nationalsozialisten mit voller Härte gegen den Verein vor. Der Sportplatz in der Krieau und die Vereinsheime wurden beschlagnahmt. Viele Hakoah-Mitglieder konnten sich noch rechtzeitig retten und sich nach Palästina oder in andre Länder absetzen. In der Chronik der Hakoah werden allerdings 37 Opfer der Nazis genannt. Von einer höheren Zahl ist auszugehen.
“Die Hakoah hat beispielsweise für gut ein Dutzend junger Männer die während der Nazi-Zeit 13 Jahre geworden waren, aber keine Bar Mizwa feiern konnten, diese Feier nachgeholt.” (Präsident Haber)
Neubeginn
Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs 1945 wurde im Sommer desselben Jahres ein „Vereinsreorganisationsgesetz“ erlassen, dass es Vereinen ermöglichte, sich wieder zu gründen. Voraussetzung war, dass zumindest ein Vereinsorgan das vor 1938 aktiv war auch nun wieder einen Vereinsposten annehmen musste. Der SC Hakoah Wien war damals aber deutlich mehr als nur ein Sportverein, „die Hakoah war in den 1940er Jahren das Fundament für das jüdische Leben in Wien. Der Verein hat beispielsweise für gut ein Dutzend junger Männer, die während der Nazi-Zeit 13 Jahre geworden waren, aber keine Bar Mizwa feiern konnten, diese Feier nachgeholt. Das war ein gesellschaftlicher Auftrag, der übernommen wurde“, so Haber. Außerdem wurde zusammen mit der jüdischen Kultusgemeinde für Nahrungsmittel und Wohnmöglichkeiten gesorgt. Auch das Einführen der Kinder in die jüdische Kultur ist ein zentraler Teil der Nachkriegs-Hakoah gewesen. 1948 hatte man bereits wieder 300 aktive Mitglieder.
Die Nachkriegsjahrzehnte
Die zahlreichen Erfolge, die in der Zwischenkriegszeit gelungen sind, konnten nach der Wiedergründung nie mehr ganz erreicht werden. Die Sektion Fußball wurde 1950 wegen Erfolgslosigkeit gar aufgelöst. Der Wassersport hingegen blieb weiterhin erfolgreich. Vereinspräsident Haber erinnert sich: „Ich war schon immer bei der Hakoah, weil mein Vater ebenfalls Mitglied und später Vize-Präsident gewesen ist. Meine Familie hatte in Wien keine Verwandten mehr, daher war der SC Hakoah Wien unsere Familie. Der Vater hat sich um die Schwimmsektion gekümmert und so bin ich dort dazu gegangen. Ich war sicher nicht der talentierteste Schwimmer, habe das fehlende Talent allerdings durch Fleiß ersetzt. Viel trainiert und auch Krafttraining gemacht. 1964 hat es für mich in einer Sternstunde gereicht, im 100-Meter-Brust Bewerb Österreichischer-Meister zu werden, obwohl ich großer Außenseiter war.“ Neben der Schwimmsektion ist Tischtennis die andere, die bis heute durchgängig existiert. Die Tischtennismannschaft belegte bei der dritten Makkabiade (die größte internationale jüdische Sportveranstaltung) 1950 hinter Israel und England den beachtenswerten dritten Platz.
Das Abschlachten des Gegners im Fußball, also das Besiegen der anderen Mannschaft, wurde schnell zum Juden abschlachten. Eine Doppeldeutigkeit die jeder verstand.
Doch das Hauptproblem der Jahre nach dem Krieg war weniger sportlicher Natur, vielmehr war es der latente bis offene Antisemitismus, der dem Verein weiterhin entgegenschlug.
Ein damals sehr geläufiger Ausdruck im Fußball für das Besiegen der anderen Mannschaft war das Abschlachten des Gegners. Die Doppeldeutigkeit gegenüber den jüdischen Sportlern war eine böse antisemitische Anspielung, die jeder verstand. Aber auch zwei Jahrzehnte später war der Antisemitismus immer noch omnipräsent. Der ehemalige Hakoah-Spieler Gutmann übernahm 1964 den Trainerposten der österreichischen Nationalmannschaft, doch nach wenigen Monaten beendete er frustriert die Aufgabe. Er wurde beim Training als ein herumgehender „Wunderrabbiner“ bezeichnet, der alles auf seine „jüdische Art“ machte.
Ein anderes Problem nach dem Krieg war das des fehlenden Sportplatzes. Erst mit den Washingtoner Verträgen von 2001 gab es eine endgültige Lösung und der Verein kehrte auf den Grund zurück, auf dem er auch ursprünglich seine Heimat hatte.
Gegenwart: 500 Mitglieder spielen Tennis, Fechten, Bowling und mehr
In den letzten Jahrzehnten ist der Verein weiter gewachsen. Neue Sektionen wie beispielsweise Bowling wurden gegründet. Mehr als ein halbes Dutzend unterschiedlicher Sportarten können nun ausgeübt werden. „Mitglieder haben wir ungefähr 500. Zwischen 130 und 140 sind es im Tennis, beim Schwimmen sind es 60 bis 70 und beim Bowling fünf bis zehn. Die Zahl 500 bezieht sich nur auf den Sportklub Hakoah. Zusätzlich nutzen unser Sportzentrum auch Nicht-Vereinsmitglieder wie Schulen. Wir sind hier immer sehr gut ausgelastet.“ Auch die Möglichkeit, dass das Angebot erweitert wird, scheint zukünftig nicht ausgeschlossen, auch wenn das nicht ganz einfach umzusetzen ist.
„Wenn jemand eine Idee hat, kommt die Person zu uns, denn wir sind prinzipiell sehr aufgeschlossen für neue Sachen. Es muss halt immer wer da sein, der sich darum kümmert. Es braucht eine Sektionsleitung, die dahinter ist, dass alles funktioniert. Die Sektionen müssen sich selbst tragen können und manches wie Fußball ist halt sehr teuer. Deshalb gibt es zb. die Maccabi, die im Wiener Fußball-Unterhaus spielt und keinen Hakoah-Fußball mehr. Wien hat insgesamt ein Problem. Es gibt leider zu wenige Sporthallen und Sportplätze, das haben wir einen Mangel.“ Die Hakoah ist also auch 110 Jahre nach der Gründung lebendig, und strotzt wie es der Vereinsname schon sagt, voller Kraft.