Die Industriellenvereinigung (IV) ist die einflussreichste Lobbyorganisation der österreichischen Großindustrie. Nach eigenen Angaben sind fast 5.000 Unternehmen Mitglied in der IV. Ihre Verstrickungen mit der ÖVP, ihr Einfluss auf Gesetze und ihr Druck auf die Sozialpartnerschaft haben zunehmend negative Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft. Zudem setzte sich IV-Präsident Georg Knill – während der Regierungsbildungs-Phase in den letzten Monaten – für eine Koalition aus FPÖ und ÖVP ein. Das hätte vor allem massive Verschlechterungen für die Beschäftigten in Österreich bedeutet.
Seit Kaisers Zeiten – die IV als Lobbyverband der österreichischen Großindustrie
Die Industriellenvereinigung entstand nach dem Zweiten Weltkrieg als wirtschaftspolitische Interessenvertretung der österreichischen Industrie. Ihre Wurzeln hat die IV in ihrer 1862 gegründeten, ältesten Vorgängerorganisation, dem Verein der Industriellen. Während der Diktatur im Österreichischen Ständestaat wurde sie als Bund der Österreichischen Industriellen geführt. Und schließlich – nach dem 1938 erfolgten Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich – aufgelassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1946 als Vereinigung österreichischer Industrieller wieder gegründet, wurde die IV 1996 schließlich in Vereinigung der Österreichischen Industrie umbenannt.
Zur Zeit der großen staatlichen Betriebe – also nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1990er Jahre – spielte die Industriellenvereinigung vor allem eine Rolle im Hintergrund der Wirtschaftskammer. Erst mit den großen Privatisierungswellen durch die erste ÖVP-FPÖ Regierung Anfang der 2000er änderte sich das. Von da an wurde die IV als Lobbyorganisation der österreichischen Großindustrie eigenständiger.
Nach internen Angaben sind rund 5.000 Unternehmen Mitglied in der IV. Diese kommen vor allem aus dem produzierenden Bereich, der Kreditwirtschaft, Infrastruktur und industrienahen Dienstleistungsbetrieben. Allerdings ist nicht ganz klar, wie diese Unternehmen gezählt werden. So besteht allein die Knill-Gruppe des IV-Präsidenten Georg Knill aus rund 30 verschiedenen Unternehmen.
Das 5. Rad am Wagen – die Rolle der Industriellenvereinigung in der Sozialpartnerschaft
Anders als die Arbeiterkammer (AK), Wirtschaftskammer (WKÖ) und Landwirtschaftskammer (LK), ist die Industriellenvereinigung kein gesetzlicher Teil der Sozialpartnerschaft. Die IV ist eigentlich nur ein Verein mit einer freiwilligen Mitgliedschaft.
Während die Arbeiterkammer und der ÖGB die Interessen der Arbeitnehmer:innen vertreten, übt die IV über die Sparte Industrie in der WKÖ und aufgrund personeller Verflechtungen mit der Wirtschaftskammer großen Einfluss innerhalb der Sozialpartnerschaft aus. Dadurch ist sie das wichtigste Sprachrohr von Industrie und Großkonzernen in der österreichischen Politik.
Gemeinsam mit der Wirtschaftskammer vertritt sie die Arbeitgeberseite in Verhandlungen über Löhne, Arbeitszeiten und Sozialpolitik. In den letzten Jahren hat sich wegen immer radikaleren Forderungen der IV das Verhältnis zu den Gewerkschaften zunehmend verschärft.
„Neben der FPÖ und den NEOS zählt die IV heute zu jenen Organisationen, die die Sozialpartnerschaft ablehnen“, sagt der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos.
Enge Verbindungen zwischen IV und ÖVP – Politik für Konzerne und Superreiche
Die enge Beziehung zwischen der Industriellenvereinigung und der ÖVP ist historisch gewachsen. In vielen wirtschaftspolitischen Fragen besteht eine große inhaltliche Übereinstimmung. Durch ihre Verstrickungen mit der ÖVP nimmt die IV auch massiv Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess im Parlament.
So hat die schwarz-blaue Koalition unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz, mit der Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages und der 60-Stunden-Woche eine jahrzehntelange Forderung der IV zur Arbeitszeitflexibilisierung umgesetzt.
Nachdem der Gewerkschaftsbund (ÖGB) gegen diese massive Verschlechterung für Arbeitnehmer:innen mobil machte, hat die Industriellenvereinigung sogar 140.000 Euro für eine Gegen-Kampagne in die Hand genommen. Damit wurde auf riesigen Werbeflächen gegenüber dem ÖGB und der Arbeiterkammer (AK) in Wien für den 12-Stunden-Arbeitstag plakatiert.
Weniger Sozialleistungen für Arbeitnehmer:innen, dafür mehr und länger arbeiten – das sind die Forderungen der IV
Als Interessensvertretung der Großindustrie ist die Industriellenvereinigung massiv dagegen, dass Superreiche Vermögens- und Erbschaftssteuern zahlen müssen. Im Gegenteil: in einer Presseaussendung fordert der niederösterreichische IV-Präsident Karl Ochsner, dass die Steuern- und Abgabenquote für Konzerne von 43 auf 40 Prozent gesenkt werden soll.
Gleichzeitig sollen Beschäftigte länger und härter arbeiten und Menschen von Teilzeit in die Vollzeitbeschäftigung gedrängt werden. Das würde wieder massive Verschlechterungen für Frauen bedeuten. Denn diese übernehmen immer noch zu einem Großteil die Kinderbetreuung und können deshalb oft nur Teilzeit arbeiten.
Auch gegen eine angebliche „überschießende“ Umsetzung von EU-Richtlinien mittels sogenannten „Gold Plating“ soll sich die IV laut Ochsner einsetzen. Beim „Golden Plating“ werden im nationalen Recht zusätzliche, strengere Vorschriften eingeführt, als von der EU gefordert. Für Österreich würde ein Verzicht darauf aber auch bedeuten, dass arbeitsrechtliche Verbesserungen für Beschäftigte abgeschafft werden könnten.
Zusätzlich forderte der steirische IV-Präsident Kurt Mair im Jänner 2025 eine dreijährige Nullrunde bei den Lohnverhandlungen. Die Löhne würden dadurch über drei Jahre hinweg nicht steigen. Hinsichtlich der Teuerung in den letzten Jahren würde das tausende Beschäftigte vor massive finanzielle Herausforderungen stellen.
Die Vorsitzenden der Gewerkschaften PRO-GE und GPA, Reinhold Binder und Karl Dürtscher, bezeichnen eine Nulllohnrunde als Gift für die heimische Wirtschaft. Die dadurch sinkenden Reallöhne würden nämlich auch die Nachfrage in der Wirtschaft einbrechen lassen.
IV-Präsident Knill nähert sich immer weiter der FPÖ an
Beinahe hätten wir in Österreich – auch aufgrund der IV – eine FPÖ-ÖVP Regierung unter einem Kanzler Herbert Kickl bekommen. So scheiterten die ersten Verhandlungen zur Bildung einer Regierung zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS unter anderem auf Druck aus der Industriellenvereinigung. Bereits im Oktober 2024 sprach sich der mittlerweile aus dem KTM-Vorstand zurückgetretene Präsident der IV-Oberösterreich, Stefan Pierer, klar für eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP aus.
Aber vor allem der österreichische IV-Präsident Georg Knill setzte sich selbst für eine blau-schwarze Regierung ein. Im September 2024, kurz vor der letzten Nationalratswahl, sagte Knill gegenüber der Tageszeitung Kurier:
„Beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ sehen wir eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP.“
Das schlussendliche Scheitern der FPÖ-ÖVP Verhandlungen bedauerte Knill. Dabei kritisierte er auch die ÖVP und meinte, dass so etwas nur aufgrund von „Ressortverteilungen“ und „machtpolitischen Themen“ nicht passieren dürfte.
Knill ist seit 2020 Präsident der Industriellenvereinigung und stammt selbst aus altem, österreichischem “Industrie-Adel”. Er ist Gesellschafter der seit über 300 Jahren von Generation zu Generation weitervererbten Knill-Gruppe mit Sitz in der Steiermark. Die Knill-Gruppe mit ihren rund 30 Unternehmen ist vor allem im Maschinenbau tätig und hat sich auf Batterie-, Kabel-, Draht- sowie die Glasfaserindustrie spezialisiert.

„Schizophren“ – das Verhältnis der Industriellenvereinigung zur neuen Bundesregierung
Wie sich die Industriellenvereinigung zur neuen Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS positionieren wird, bleibt noch offen. Eine Schonfrist von traditionell 100 Tagen soll es laut Knill jedenfalls nicht geben. Für Politikwissenschaftler Ferdinand Karlhofer ist die derzeitige Position der IV zwiegespalten und hat eine gewisse „Schizophrenie“. Denn auf der einen Seite möchte sie nicht auf politische Forderungen der SPÖ eingehen und auch mit der Sozialpartnerschaft nichts zu tun haben, auf der anderen Seite sind es aber gerade Betriebe wie KTM – des oberösterreichischen IV-Präsidenten Pierer – die von sozialpartnerschaftlichen Rettungsmaßnahmen profitiert haben.
Sie können maximal 7 Forderungen auswählen und ihre Abstimmung im Nachhinein ändern.