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Jihadismus-Experte Schmidinger: Der IS will mit Anschlägen Gewalt gegen Muslime erzeugen

Jihadismus-Experte Schmidinger: Der IS will mit Anschlägen Gewalt gegen Muslime erzeugen

Kontrast Redaktion Kontrast Redaktion
in Sicherheit & Justiz
Lesezeit:3 Minuten
6. November 2020
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Mit 16 begann der Wiener Attentäter von Montagnacht eine extremistische Moschee zu besuchen, dann wollte er nach Syrien ausreisen, um IS-Kämpfer zu werden. Am 2. November 2020 hat er schließlich in der Wiener Innenstadt wahllos um sich geschossen und vier Menschen ermordet. Warum entscheidet sich ein Jugendlicher in Europa, für den Islamischen Staat in den Krieg zu ziehen und Menschen zu töten? Woher bekommt der IS seine Anhänger und was können wir dagegen tun? Wir haben mit dem Politikwissenschafter und Dschihadismus-Experten Thomas Schmidinger gesprochen.

 

Warum radikalisieren sich Jugendliche wie der Wiener Attentäter zu IS-Kämpfern? Gibt es da Ähnlichkeiten in der Biographie?

Schmidinger: Es gibt sehr unterschiedliche Biographien von Dschihadisten. Eine Gemeinsamkeit von ihnen allen ist, dass sie in irgendeiner Phase ihres Lebens eine starke Entfremdungserfahrung von der Gesellschaft gemacht haben. In diesen Phasen gaben ihnen dann die Falschen – nämlich die dschihadistischen Gruppen – das, wonach sie gesucht haben.

Es steht normalerweise nicht die Religion im Vordergrund, sondern die Zugehörigkeit, der Halt, die Gemeinschaft und der Sinn im Leben.

Dieselben Personen könnten in dieser Situation auch von anderen Gruppen wie Sekten oder Rechtsextremisten aufgefangen werden. In der Phase geht es primär nicht um die Ideologie, sondern um dieses Gefühl der Zugehörigkeit.

Wo findet die Radikalisierung statt?

Das ist oft die eigene Peergroup: Das kann im Park sein, im Kampfsportklub – da gibt es verschiedene Orte. Dass jemand zufällig in eine Moschee hineinstolpert, wo er dann radikalisiert wird, ist sehr selten. Die Moschee, die im konkreten Fall für die Radikalisierung des Attentäters verantwortlich gemacht worden ist, ist eine Moschee, die von außen nicht mal als Moschee angeschrieben ist.

Ich hab mir die mal angeschaut, weil es tatsächlich eine extremistische Moschee ist. Aber die ist sehr unscheinbar und sehr schwer zu finden. Dass da wer zufällig hineinstolpert und vom Imam radikalisiert wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Da gehen Leute hin, die mit der dort gepredigten Form des Islam schon vorher sympathisieren.

Nahost-Experte Schmidinger bei einer Veranstaltung der Heinrich Böll-Stiftung 2012.

Und welche Rolle spielt das Internet? 

Das Internet hat eine wichtige Rolle in der Weiterbildung von jugendlichen Sympathisanten. Aber das Internet alleine ist in sehr wenigen Fällen für Radikalisierung verantwortlich. Bei unseren Studien fand die Radikalisierung immer durch den persönlichen Kontakt mit radikalen Menschen statt. Und dann holt man sich aus dem Internet Propaganda – etwa aus dem Kriegsgebiet, oder schaut sich Vorträge von irgendwelchen Stars in der Szene an. Aber das ist in den allermeisten Fällen nicht der allererste Kontakt mit der Szene und auch nicht der wichtigste. Die wichtigsten Kontakte sind persönliche Kontakte zu Extremisten.

Anschläge sind einer zentraler Teil ihrer Kommunikationsstrategie von Dschihadisten – warum?

Der IS befindet sich aus eigener Sicht im Krieg mit dem Westen. Die Anschläge sind ein zentrales Moment, um die Fortexistenz der Organisation und des Kampfes in Erinnerung zu rufen. Insofern ist Terror primär eine Kommunikationsstrategie, die dazu dient, in Europa Angst und Schrecken zu erzeugen.

Eine Vorgängerorganisation des IS ist im Irak entstanden. Schon dort haben sie die Strategie angewendet, die eigene Anhängerschaft dadurch zu vergrößern, dass man bei der Gegenseite Gewalt hervorruft. Also damals hat man gezielt in schiitischen Stadtvierteln Anschläge durchgeführt und wollte damit wiederum schiitische Angriffe auf die sunnitische Bevölkerung erzeugen. Damit man dann Sunniten gegen die vermeintliche schiitische Gefahr organisieren kann. Die Konfessionalisierung des Konfliktes war eine zentrale Strategie der Vorgängerorganisation im Irak, die dann der IS geworden ist.

Eine ähnliche Strategie existiert auch in Europa:

Man will anti-islamische Ressentiments erzeugen, man will auch Gewalt gegen Muslime erzeugen, um dann gegenüber jungen Muslimen das Argument zu haben: „Schaut her, die Nicht-Muslime, die westlichen, christlichen Staaten hassen den Islam, hassen die Muslime. Wir verteidigen euch und organisieren die Muslime gegen die vermeintlich islamfeindlichen, rassistischen Europäer.“

Was können europäische Staaten also tun, um Radikalisierungen zu verhindern?

Eine inklusive Politik, die Jugendlichen mit Migrationshintergrund und aus marginalisierten Familien eine Perspektive gibt. Man muss dafür sorgen, dass möglichst wenige Menschen solche Entfremdungserfahrungen durchmachen, die sie anfällig für Extremismus machen. Da geht es um Sozialpolitik, um Bildungspolitik und um Umgang mit Diversität.

Und was können wir alle tun?

Aufzeigen, dass die Gesellschaft komplexer ist. Und dass es weder eine homogene Gruppe der Muslime gibt, noch eine homogene Gruppe der Nicht-Muslime. Wir sollten gesellschaftliche Konflikte nicht konfessionell und ethnisch deuten, sondern aufzeigen, dass es auch ökonomische Konflikte und Interessenskonflikte gibt. Das ist auch das ureigenste Interesse linker Politik, dass man gesellschaftliche Konflikte als Verteilungskonflikte wahrnimmt und aufzeigt – und nicht gesellschaftliche Konflikte konfessionialisiert.

 

Thomas Schmidinger, geb. 1974 in Feldkirch (Vbg.) ist Politikwissenschafter und Sozial- und Kulturanthropologe und unterrichtet an der Universität Wien und der Fachhochschule Oberösterreich. Er ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Kurdologie und Mitherausgeber des Wiener Jahrbuchs für Kurdische Studien. Forschungsschwerpunkte sind neben der Kurdischen Frage Migration, Politischer Islam, religiöse Minderheiten im Mittleren Osten, Jihadismus, Kosovo, der Sudan und Gewerkschaften in der Arabischen Welt.

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Seit Beginn von Donald Trumps zweiter Amtszeit als US-Präsident erlebt die amerikanische Demokratie eine Krise. Radikale Gruppierungen gewinnen zunehmend Einfluss. Im Interview spricht die Journalistin und Autorin Annika Brockschmidt über die Entwicklung der Republikanischen Partei, die rechten Strömungen, die sie geprägt haben, und darüber, warum es innerhalb der Republikaner heute kaum noch eine Grenze zwischen konservativen Positionen und offenem Rechtsextremismus gibt. Zitat: Rechtsradikale und Rechtsextreme geben bei den Republikanern jetzt den Ton an. Sie streiten sich zwar, welches inhaltliche Sub-Thema sie betonen, aber insgesamt ist diese Partei fest in der Hand von Extremisten. Auch unabhängig davon, wie sich die Partei personell weiter entwickelt - das wird sich so bald nicht ändern. Annika Brockschmidt

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