“Wir dürfen nach der Krise nicht sofort wieder ins Hamsterrad zurückkehren”, sagt der deutsche Ökonom und Wirtschaftsweise Achim Truger. Dafür sollen wir Lehren aus der Coronakrise ziehen. Das heißt: Staat und Sozialpartnerschaft für den ökologischen Wandel nutzen, weniger arbeiten und mehr in öffentliche Infrastruktur investieren. Truger ist einer der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland, er gehört zum fünfköpfigen Sachverständigenrat, der die deutsche Regierung in Wirtschaftsfragen berät. Am Montag war er in Wien, um den Kurt Rothschild Preis für Wirtschaftspublizistik entgegen zu nehmen. Wir haben ihn kurz vor der Preisverleihung getroffen.
Kontrast: Herr Truger, der Staat schießt Unternehmen Milliarden an Steuergeldern zu. Das ist unumstritten notwendig und sinnvoll, aber warum verzichtet er auf Bedingungen und Verpflichtungen?
Truger: Die Staaten müssten nicht auf Bedingungen für ihre Staatshilfen verzichten. Man könnte sich ganz bestimmt auf Beschäftigungszusagen einigen. Man könnte auch bei der Gewinnausschüttung oder bei Managergehältern Vorgaben machen. In Deutschland hatten wir eine Debatte genau darüber, es ist aber trotzdem nicht gemacht worden. Das ist natürlich ein Fehler.
Kontrast: Und warum passiert dieser Fehler?
Truger: Eine Erklärung könnte sein, dass es offensichtlich einen Einfluss gibt, das nicht zu tun. Eine andere Erklärung wäre, dass bestimmte Ideen über Wirtschaft eine Rolle spielen und die Angst, dass der Staat da eingreift und Fehler macht. Wobei man ja sagen muss: Der Markt kann es eben in dieser Situation nicht. Und wenn wir die Unternehmen retten wollen und der Staat Steuergeld zuschießt, kann man eigentlich verstehen, dass er Bedingungen stellt.
Kontrast: Welche Bedingungen wären denn notwendig?
Truger: Ich kann jetzt natürlich keine abschließende Liste nennen. Aber tatsächlich sind Beschäftigungszusagen sehr zentral. Auch die Tariftreue, also die Einhaltung von Kollektivverträgen und gute Arbeitsbedingungen sind wichtig. Zum Teil sind ja auch ökologische Kriterien gefordert worden, aber da braucht man ohnehin eine allgemeine Regulierung. Da kann es schon problematisch sein, dass ein Unternehmen spezielle Zusagen machen muss, wenn es gerade in Schwierigkeiten steckt. Und andere Unternehmen kommen ohne diese Zusagen davon. Das ist eine Gratwanderung.
Aber dass die Staatsgelder nicht mit großen Bonizahlungen ausgeschüttet werden oder damit Aktienrückkäufe gemacht werden, das sind Zusagen, die man schon erwarten kann.
Kontrast: Wäre es nicht auch wichtig, dass es mehr Transparenz bei Wirtschaftshilfen gibt? Dass die Steuerzahler wissen, wen sie da finanzieren?
Truger: Ja, natürlich! Wenn der Staat da einsteigt, wäre das normal. Das berührt ja kein Steuergeheimnis. Es weiß ja auch jeder, wieviel die Lufthansa bekommen hat in Deutschland oder die TUI. Das ist bekannt und das muss auch so sein.
Kontrast: Sie betonen stets, dass die Folgen der Wirtschaftskrise ungleich verteilt. Wen trifft die Krise am härtesten?
Truger: Die Krise trifft ganz viele Menschen und die Folgen sind auch nach Branchen total unterschiedlich. Aber man kann schon sagen: Die, die ohnehin benachteiligt sind, sind auch jetzt am stärksten betroffen. Die haben das größte Risiko, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Und wenn sie weiter eine Arbeit haben, dann haben sie das höchste Risiko, dass ihr Arbeitsplatz mit einer Gesundheitsgefahr verbunden ist. Die Privilegierteren, die können von zuhause aus arbeiten, etwa Professorinnen und Professoren können per Video unterrichten. Die Möglichkeit zu Home Office haben viele andere aber nicht.
Kontrast: Wie soll es nach der Coronakrise weitergehen? Was haben wir gelernt und sollten wir nicht vergessen?
Truger: Die Unterstützungsmaßnahmen und die expansive Finanzpolitik dürfen nicht zu früh beendet werden. Wenn zu früh ein Sparplan verordnet wird, also die Ausgaben gekürzt und die Steuern erhöht werden, könnte das viel Schaden anrichten. Da würde man den Aufschwung riskieren und letztlich die Schulden noch viel mehr in die Höhe treiben.
Aus einer umfassenderen Perspektive würde ich sagen: Das ist jetzt die zweiten Großkrise innerhalb weniger Jahre, die der Markt nicht lösen kann und in der viele Probleme unserer Wirtschaft zu Tage treten. Wir sehen wie notwendig ist, dass dass der Staat eingreift und handlungsfähig bleibt. Das müssen wir bewusst erhalten: Den handlungsfähigen Staat – das betrifft auch die öffentliche Gesundheitsversorgung.
Kontrast: Was könnte so ein handlungsfähiger Staat abseits der Krise machen?
Truger: Wir sehen gerade, welche enormen Herausforderungen der Staat meistern kann, besonders wenn Institutionen wie die Sozialpartnerschaft da sind. Das ist ja in Deutschland und Österreich der Fall. Wie handlungsfähig der Staat und die Sozialpartnerschaft jetzt sind, kann uns auch optimistisch stimmen. Denn das heißt auch, dass wir bei anderen Herausforderungen wie die Klimakrise koordiniert handeln können. Wir können auf diese Weise soziale Probleme lösen, wenn wir das wollen. Wir können ökologische Probleme lösen, wenn wir das wollen. Und Corona war ja ein Schockerlebnis: Wenn wir uns vorstellen, dass wir über Jahre koordiniert in kleinen Schritten in eine bestimmte Richtung laufen, dann ist völlig klar, was wir alles erreichen können. Diese Möglichkeiten müssen wir ausnützen.
Kontrast: Und wie?
Truger: Der Staat muss öffentliche Investitionen in die sozial-ökologische Infrastruktur tätigen. Dann können sich die Gesellschaften in Richtung höheren Wohlstand gut entwickeln – und nicht nur höheres BIP. Und es gibt auch Zeitwohlstand, Stichwort Arbeitszeitverkürzung – das sind lauter Punkte, bei denen man am Ball bleiben muss.
Kontrast: Sie sind ein Befürworter von Arbeitszeitverkürzung?
Truger: Es gibt viele Diskussionen, warum Arbeitszeitverkürzung gut ist. Zuerst einmal ist Zeitwohlstand gut. Wir haben die Produktivität gesteigert in den letzten Jahrzehnten und trotzdem stecken die Menschen in einem ziemlichen Hamsterrad. Sie sind ständig in Bewegung und leiden unter Stress. Eine Entschleunigung durch kürzere Arbeitszeiten kann da sehr gut helfen. Es kann auch ein Mittel sein, um die Klimakrise zu bewältigen: Wenn man weniger arbeitet, produziert man auch weniger und stößt man auch weniger schädliche Emissionen aus.
Und dann ist es natürlich für den Strukturwandel eine Möglichkeit: Wenn eine Exportindustrie wie die Automobilbranche oder der Maschinenbau in Deutschland in Schwierigkeiten gerät, dann kann man durch kürzere Arbeitszeiten Beschäftigung halten, man erzeugt keine Arbeitslosigkeit. Wenn man das auf freiwilliger Basis im Kollektivvertrag hinbekommt, dann ist das eine fantastsiche Sache, bei der alle gewinnen. Das sind ja Hochlohnbranchen.
Ganz grundsätzlich könnte man sich fragen, ob es nach so einer Krise wirklich das beste ist, sofort wieder in das Hamsterrad zurückzugehen.
Vielleicht ist es auch vernünftig, wenn mehr Leute arbeiten, aber dafür etwas kürzer. Da hat man weniger Arbeitslosigkeit, mehr Menschen sind sinnvoll versorgt und alle haben weniger Stress. Wir sehen ja jetzt: Das wichtigste Instrument um die Krise zu überbrücken, ist die Kurzarbeit. Das ist ein unglaublich gutes Instrument. Wir hatten in Deutschland auf dem Höhepunkt über 6 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, jetzt werden es wieder weniger. Und das ist nichts Anderes, als über eine gesteuerte Form der Arbeitszeitverkürzung die Beschäftigung zu erhalten.