Kleine bäuerliche Betriebe werden in Österreich von Großbetrieben verdrängt – und dahinter stehen Raiffeisen und die ÖVP. Im Interview kritisiert der Milchbauer Ewald Grünzweil die profitorientierte Richtung, in die Landwirte gedrängt werden, die langfristig Umwelt und Biodiversität schädigt. Er fordert eine demokratischere Agrarpolitik und transparente Gütesiegel, um fair und umweltfreundlich produzieren zu können. Dafür setzt er sich auch als Mitglied im SPÖ-Expert:innen-Rat ein.
Kontrast: Wenn ich an die heimische Landwirtschaft denke, dann habe ich dieses Bild vor mir von kleinen bäuerlichen Betrieben, die fair und ökologisch produzieren. Ist das so?
Ewald Grünzweil: Das ist der sogenannte „Vorspannmechanismus“. Das heißt, die Kleinen holen wir vor den Vorhang und sagen: Schau, das ist der kleine Bauer in Österreich. Und dann wird das Geld abgeholt und hinter der Bühne geht das an große Betriebe, denen die Umwelt egal ist. Da gibt es einige wenige Profiteure.
@kontrast.at Immer mehr Bäuerin und Bauern hören auf, während einige wenige Großbetriebe immer riesiger werden. Für den Bauern-Rebell Ewald Grünzweil liegt das an der katastrophalen Politik der ÖVP. Der und ihren Bauern-Vertretern geht es nur um Profite und nicht um das Wohl von Mensch und Tier. #fyp #landwirtschaft #landleben #farmtok #landwirtschaftausleidenschaft #dorfkind #farmlife #farmlife #bauer #oevp #österreich
Kontrast: Wer sind die Profiteure in der Landwirtschaft?
Grünzweil: Naja, in Österreich ist das mit einem Wort beantwortet: Raiffeisen. Wir haben ein Fördersystem, das der Großteil der Bauern gar nicht will. Denn es bevorzugt einige wenige Großbetriebe, während Kleinbauern ums Überleben kämpfen müssen.
Raiffeisen ist nicht nur eine Bank: Der Konzern macht in Österreich Geschäfte mit der Landwirtschaft sowie mit Lebensmitteln, Medien und Tourismus.
- Raiffeisen bestimmt über 90 % der Frischmilch in Österreich (NÖM und Berglandmilch gehören dazu, also z.B. Fru-Fru, Schärdinger und Lattella)
- Raiffeisen ist ganz vorne dabei in der Mehl- und Zuckerproduktion (AGRANA, cafe+co, Good Mills, Wiener Zucker, Finis Feinstes)
- Raiffeisen gehört die VIVATIS AG, die über Produktions- und Dienstleistungsbetriebe sowie Lebensmittel verfügt (Maresi-Milch, Knabbernossi, Inzersdorfer; auch der Wiener Rathauskeller gehört der Vivatis-Gruppe)
- Raiffeisen hat Beteiligungen an Unternehmen wie beispielsweise efko (Eferdinger Kostbarkeiten) sowie Reisewelt.
- Auch in der Medienwelt hat Raiffeisen Anteile, und zwar an der Moser Holding (Tiroler Tageszeitung)
Kontrast: Was ist der Unterschied zwischen Klein- und Großbauern?
Grünzweil: Das ist eine schwierige Frage. In Österreich wird immer gesagt, dass alles so kleinstrukturiert ist. Den Großteil der Biobetriebe und einen kleinen Teil der konventionellen Betriebe würde ich als kleinstrukturiert bezeichnen. Das ist für mich eine Kreislaufwirtschaft, wenn die Tiere mit den hofeigenen Futtermitteln gefüttert werden und die Bauern ihren eigenen Dünger haben. Das ist ein kleines geschlossenes System. Da wird Milch und Fleisch mit heimischen Ressourcen und regional produziert.
Für mich ist die Grenze dort, wo man auf Tiergesundheit und Tierwohl bedacht ist. Wo eine Familie von der Landwirtschaft gut leben kann, wo man Zeit hat, sich um die Tiere zu kümmern. Dort kommen die Tiere auf die Weide, wo der Großteil Grünland ist. Da wird geschaut, dass es keinen Humusabbau gibt, dass es große Flächen mit Biodiversität und Insektenleben gibt, wo nicht gedüngt wird.
Es ist nur leider in Österreich so, dass die Weichen durch Bildung und Beratung völlig woanders gestellt werden. Und zwar gibt es eine Umverteilung von Grünland zu Acker und von Klein zu Groß, von Extensiv– zu Intensivproduktion.
Wer größer und schneller ist, bekommt mehr: Die Profitgier in der Landwirtschaft
Kontrast: Das heißt, es beginnt schon in der Landwirtschaftsschule, dass man in eine bestimmte Richtung gelenkt wird?
Grünzweil: In der Landwirtschaftsschule sagen sie den jungen Leuten, sie müssen einen besseren Stall bauen, Futtermittel zukaufen, die Leistung steigern, Kunstdünger streuen, sonntags brav in die Kirche gehen und in der Wahlkabine Schwarz wählen. Das Risiko hat man aber selbst. Die Arbeit mache ich selbst und die Kuh melke ich selbst. Und alle denken, das war einfach immer schon so und das hat der Herrgott geschaffen. Nein, natürlich nicht, aber es traut sich einfach niemand mehr, was dagegen zu sagen.
Raiffeisen und ÖVP haben die Landwirtschaft im Griff
Kontrast: Die ÖVP ist schon lange stark vertreten in der Landwirtschaft (Bauernbund, VÖM, Land & Forstbetriebe Österreich usw.) und gibt sich als Bauernpartei. Was tut sie für Landwirt:innen?
Grünzweil: Genau das Gegenteil von dem, was sie sagt. Weil alle eine hoch dotierte, gut bezahlte Raiffeisenfunktion haben. Raiffeisen hat im Parlament Klubstatus, die könnten einen eigenen Klub machen. Das kann man alles auch im Schwarzbuch Raiffeisen nachlesen. Da stehen die ganzen Monopole und Ämter unwidersprochen drinnen. Ein großes Problem sind die doppelten und dreifachen Funktionäre. Ein damaliger Bauernbund-Präsident hatte, glaube ich, elf Funktionen. Auf die Frage, ob das nicht vielleicht etwas komisch ausschaut, wurde geantwortet: „Nein, wir können Privates und Geschäftliches trennen“. Wieso lassen wir uns das alles verkaufen? In der Vergangenheit haben die Bauern zum großen Teil Schwarz gewählt. Wieso ist das so?
Das ist eine Form von Selbstschutz, du bist in einem Zwangssystem drinnen. Wie ein Gefesselter, der spürt ja nicht, dass er gefesselt ist – bis er sich rührt. Wenn du aneckst, dann gehörst du nicht mehr dazu. Dann darfst du dich am Kirchenplatz nicht mehr dazustellen zu ihnen und bekommst eine schlechtere Förderung.
Das ist so weit weg von jeglicher Demokratie. Das ist eine entwürdigende Hierarchie. Was da mit den Bauern aufgeführt wird, das entzieht sich meinem Verständnis. Doch das wollen die Leute nicht, diese ständige Drangsalierung und das Ausschließen. Wir Menschen sind anders gepolt, wir sind sozial und wollen zusammenkommen.
Kontrast: Sie würden die Landwirtschaft als undemokratisch bezeichnen?
Grünzweil: Uns wird vorgegaukelt, dass das alles demokratisch ist. Aber in Wirklichkeit ist alles sehr demokratiefeindlich. Es gibt Delegierte bei den Milchlieferanten, die auf Ortsebene vom Bauernbund nominiert werden. Pro 150 Milchbauern wird also ein Delegierter entsandt, der aber nicht wirklich die Interessen von den Milchbauern vertritt. Ich glaube, recht viele Kritische sind da nicht dabei. Dann kommt er in die Delegiertenversammlung. Dort genügt noch – wie wir am Land sagen – die Ehre. Da darf er dann mit dem Obmann Schifferl fahren. Bei der Abstimmung gibt’s dann noch ein Paar Würstel und eigentlich hat niemand das Programm gelesen, aber selbstverständlich sind wir dafür, obwohl wir in Wahrheit nichts davon verstanden haben.
Und auf nächster Ebene gibt es den Vorstand, der dann die Entscheidungen trifft. Da gibt es fette Entschädigungen von Geschäftsführern, die Manager von großen Konzernen sind, die sich für die Bauern in Wirklichkeit auch nicht interessieren. Die Entschädigungen sind wesentlich höher als das Milchgeld, das die Milchbauern von der Molkerei bekommen.
Es gibt außerdem eine neue Lieferverordnung von der Berglandmilch, wo die Milchbauern im Vorhinein schon unterschreiben müssen, dass sie mit jeder zukünftigen Entscheidung vom Vorstand einverstanden sind. Und es steht drinnen, dass man sich unwiderruflich verpflichtet, keine rechtlichen Schritte unternehmen zu können. Du verzichtest also auf deine Rechte. Die treiben uns so in die Enge und am Ende sind die Leute einfach dermaßen überfordert.
Landwirtschaft braucht mehr Demokratie und Gemeinschaft
Kontrast: Wie kann die Landwirtschaft wieder demokratisiert und die Gemeinschaft gestärkt werden?
Grünzweil: Man müsste die Landwirtschaft in Österreich herausbringen aus diesem Raiffeisen-ÖVP-Moloch. So viele Dinge haben sich verselbständigt, dass der Herr Raiffeisen rotieren würde in seinem Grab, wenn er sehen würde, was aus seiner Idee geworden ist. Das hat ja überhaupt nichts mehr mit einer Notwehrgemeinschaft oder demokratischen Einheit zu tun, wie es in Gründungszeiten war.
Wir brauchen eine Entflechtung aus dieser Politik. Politik ist ja was Gutes, ein Widerstreit der besten Ideen und eine normale Diskussion, wo man verschiedene Meinungen haben darf. Aber jetzt kannst du gar nicht mehr diskutieren. Keiner sagt mehr was, keiner traut sich, weil es dann Sanktionen gibt.
Wir müssen uns befreien von dieser Willkür, damit da wieder Kreativität mit neuen Ideen entstehen kann . Wir brauchen ein neues System, sonst fahren wir gegen die Wand. Die Profiteure machen das alles sehenden Auges. Die sackeln ein und sagen: “Wird schon irgendwie werden, aber wir haben nicht Schuld!”
Kontrast: Wenn es um kurzfristige Profite geht, wird dann langfristig dabei der Naturschutz vergessen?
Grünzweil: Definitiv. Das ist die Raiffeisen-Bauernbund-ÖVP-getriebene Politik. Sagen tun sie etwas anderes, aber in Wirklichkeit wird der Green Deal verwässert. Ich habe jetzt auf der Wiese einfach Randbereiche stehen gelassen, da wird nicht gedüngt, da blüht es, da hüpfen so viele Insekten herum! Dafür bekomme ich dann eine kleine Entschädigung vom Land. Aber diese kleine Entschädigung löst natürlich noch lange nicht das große, strukturelle Problem.
Wer wird gefördert?
Bereits vor dem Super-Einkommensjahr 2022 mit 42 % durchschnittlichem Einkommensplus, das die Schere zwischen kleinen und großen Betrieben weiter aufgemacht hat, erhielten 10 % der Empfänger von Agrar-Fördermitteln mehr als die Hälfte der Förderungen. Die größten Betriebe profitierten am meisten.
Ein faires Fördersystem und transparente Gütesiegel als Anfang
Kontrast: Was wären politische Lösungsansätze für die Krise in der Agrarpolitik?
Grünzweil: Für mich gibt es zwei Lösungsansätze. Zum einen das Fördersystem verändern. Man kann im offenen Dialog festlegen, was man von der Landwirtschaft haben will und wie das alles betrieben werden soll.
Zweitens brauchen wir eine transparente Produktbezeichnung. Wir haben so viele Markenzeichen und Gütesiegel. Da kennt sich keiner mehr aus, ob es überhaupt bio ist oder wo es herkommt. Da muss man das Regelwerk angehen und sich dazu verpflichten, die Regeln einzuhalten. Und über Regeln kann man dann ja reden.
Naturschutz ist die erste Priorität für Landwirtschaft, von der alle etwas haben
Kontrast: Bauen Sie selbst biologisch an?
Grünzweil: Seit 1995 aus tiefster Überzeugung und mit größter Freude.
Kontrast: Wie schafft man es, dass man unter diesen widrigen Umständen biologisch und qualitätsvoll produziert?
Grünzweil: Am Beispiel der Milchproduktion: grünlandbasiert. Das heißt, dass die Tiere Gras, Heu und Silofutter zum Fressen bekommen.
Das Grünland ist ein Wunderwerk, angefangen bei der Bodenstruktur, der Humusbildung, über die CO2-Bindung und die Wasserspeicherung. Grünland hat außerdem einen kühlenden Effekt. Es ist wichtig, um die Biodiversität aufrechtzuerhalten und der Klimaproblematik entschieden entgegentreten zu können.
Kontrast: Was treibt Sie an, um Widerstand zu leisten?
Grünzweil: Wenn es niemand tut, hält da keiner mehr dagegen. Ich habe ein Enkerl daheim und mein Sohn und seine Frau wollen mit der Landwirtschaft weitermachen. Mir haben meine Kinder und Enkerl wieder Motivation gegeben.
Widerstand und Diskurs ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft
Kontrast: Gibt es etwas, was die Gesellschaft als Ganzes tun kann, um dabei mitzuhelfen, dass es der Landwirtschaft wieder besser geht?
Grünzweil: Von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass wir eine Demokratie bekommen, die Sachen anders anschaut. Dass wir einfach nicht alles über uns ergehen lassen und in unserem Handy oder sonst wo leben, sondern dass wir wieder mehr miteinander kommunizieren.
Diese furchtbare Politik – und das ist für mich die rechtslastige Politik – ist auch ein Problem. Ich wünsche mir, dass wir einfach wieder menschlicher werden und diskutieren. Dass wir uns zusammensetzen und gegenseitig fragen: Wie ist es bei dir im Büro? Wie ist es bei dir, wenn du beim Billa Regale schlichtest? Wie geht’s dir, wenn du daheim zwischen den Kühen stehst? Das ist ja alles so verloren gegangen. Jeder lebt in seiner Bubble. Diese Trennwände, diese Entfremdung, das müssen wir wieder loswerden. Wir müssen uns zusammensetzen und uns bewusst zuhören.
Hoffnung in junge Generation
Und eins noch: Ich sage oft, wenn ich mit Leuten aus meinem Alter zusammen sitze: Glaubt ihr nicht, dass wir vielleicht zu viel gearbeitet haben? Haben die jungen Leute nicht vielleicht recht, wenn sie sagen, sie wollen nicht mehr so viel arbeiten? Na da kannst du dir vorstellen, welche heftigen Reaktionen zurückkommen! In meinem Heimatort hat ein Betrieb jetzt umgestellt auf 30 Stunden mit gleicher Bezahlung, die haben das alles effizienter gemacht. Die Firma läuft besser, sie hat weniger Krankenstände, die Leute sind motivierter, können sich drei Tage erholen. Das ist doch gescheit. Aber wenn das jetzt junge Leute vorschlagen, dann werden sie als faul bezeichnet. Aber sie haben recht.
Wir sind ja dabei gewesen, wie wir den Planeten an die Wand gefahren haben. Jetzt brauchen wir ein komplett anderes System. Und da hoffe ich auf euch junge Leute, die sagen: “Ladies and Gentlemen, wir machen es anders!”