Wer darf offen haben und wer nicht? Dienstleistungen, Handel und Gastronomie sind im zweiten Lockdown verboten – doch es gibt Ausnahmen. Und die sorgen für Unmut und Verwirrung. Denn Buchhandlungen dürfen nicht mal zur Abholung öffnen, Waffengeschäfte bleiben in Betrieb. Während die Corona-Förderpolitik der Regierung einige Profiteure mit noch nie da gewesenen Gewinnen segnet, drohen im Handel 6.000 Insolvenzen.
Auf elf Seiten erklärt die Wirtschaftskammer, wer unter welchen Bedingungen weiterarbeiten darf – und wer nicht. Während Büchereien, Schulen und Museen geschlossen sind, dürfen neben Apotheken Waffengeschäfte ebenso offen bleiben wie Tabaktrafiken und Vinotheken.
Waffengeschäfte systemrelevant
Branchen, die als systemrelevant eingestuft sind, dürfen auch im Lockdown offen bleiben. Darunter fallen neben Lebensmittelhandel und Drogeriemärkte auch Apotheken, Tankstellen, Banken, Telekommunikationsgeschäfte und Trafiken. Es kommt dabei aber auch innerhalb einiger Branchen zu recht skurrile Entscheidungen.
Während Trafiken weiter ihr Sortiment verkaufen dürfen, müssen E-Zigaretten-Geschäfte schließen. Und das, obwohl ein Versand ihrer Produkte in Österreich generell verboten ist. Zu den Sicherheits- und Notfall-Waren zählen in Österreich auch Waffen und Munition – unter anderem deswegen, weil Jäger sie zur Berufsausübung brauchen, aber auch, weil die Land- und Forstwirtschaft systemrelevant ist.
Das sorgte unter anderem bei SPÖ-Abgeordneter Sabine Schatz für Unverständnis. Sie kommentierte auf Twitter: “Wer braucht schon Bücher, wenn man Waffen kaufen kann? Österreich 2020.” Dafür hat wiederum Gesundheitsminister Anschober weder Verständnis noch Rechtfertigung übrig. Er quittiert die Kritik mit der Antwort: “Wer braucht schon seriöse Politik, wenn auch Populismus geht?”
Wer braucht schon seriöse Politik, wenn auch Populismus geht?
— Rudi Anschober (@rudi_anschober) November 18, 2020
Unverständnis über Abhol-Verbote
“Im Gasthaus darf sich jedermann sein vorbereitetes Essen abholen und auch bezahlen”, zeigte sich der Obmann des Fachverbandes der Buch- und Medienwirtschaft, Friedrich Hinterschweiger, entrüstet. Denn für den Buchhandel gibt es im zweiten Lockdown ein Abhol-Verbot. Buchhandlungen dürfen ihre Kundschaft nicht mehr kontaktlos vor der Ladentür bedienen, sondern nur noch per Zustellung. “Doch die Gewinnspanne wird durch Porto und Verpackungsaufwand drastisch geschmälert, teilweise sogar gegen Null gedrückt”, sagt der Branchenvertreter. Besonders schmerzlich sei der Lockdown in der Zeit vor Weihnachten. Österreichs Buchhandel setzt in den Monaten November und Dezember bis zu 50 Prozent der Jahreserlöse um.
Während die einen gerne zumindest teilweise weiterarbeiten möchten, würde eine andere Branche gerne schließen – und so auch in den Genuss der Förderungen kommen. Reisebüros dürfen offenhalten, Reisen ins Ausland sind aber verboten. Hotels bleiben vorerst geschlossen, für 2021 gibt es keinerlei Planungssicherheit. Die SPÖ brachte in der Budgetsitzung des Nationalrates einen Antrag zur Rettung der Reisebranche ein. Die Corona-Pandemie hat diese Branche voll getroffen, die Einbußen sind existenzbedrohend. Ein Minus von 90 Prozent seit März 2020 und keine Aussicht auf Besserung ließen viele Betriebe vor dem endgültigen Aus stehen, erklärt der Abgeordnete Maximilian Köllner. Der Antrag, die Reisebranche am Umsatzersatz teilhaben zu lassen, lehnten ÖVP und Grüne ab.
6.000 Insolvenzen drohen im Handel
Der zweite Lockdown trifft nicht nur Gastronomie und Hotellerie, sondern vor allem auch den heimischen Handel. Während für die beiden ersten Branchen die Regierung einen Umsatzersatz von 80 Prozent bereitstellt, fallen die Corona-Hilfen für den Handel schmäler aus.
Handelsvertreter warnen vor einer Insolvenzwelle. Bei den rund 22.000 Geschäften im Land steht laut Handelsverband ein Umsatzverlust von bis zu 2,7 Milliarden Euro an. Denn der Lockdown fällt in die ertragreiche Vorweihnachtszeit, der Handel fällt um 17 wichtige Einkaufstage um.
„Lediglich ein Viertel der Lockdown-bedingten Nicht-Käufe werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt“, schlussfolgert Handelsverband-Chef Rainer Will aus den Erfahrungen vom ersten Lockdown. 6.000 Betriebe könnten die erneuten Schließungen nicht überstehen, warnt er.
Förderungen nicht treffsicher
Die Regierung versprach beim Übergang vom “Lockdown Light” in den “harten Lockdown” Umsatzausgleiche – analog zu Gastronomie und Tourismus. Je nach Branche bekommen die Betriebe zwischen 20 und 80 Prozent des Umsatzes aus dem November 2019 ersetzt. Bei verderblicher Ware wie Blumen bekommt man 60 Prozent, bei Waren mit wenig Wertminderung wie Möbel kriegt man 20 Prozent ersetzt.
Das Moment-Institut hat berechnet, dass dabei etwa Floristik mit 80 Prozent im Vergleich zum tatsächlichen Verlust über-gefördert wird, während in der Bekleidungsbranche 60 Prozent nicht für einen Ausgleich der entgangenen Umsätze reichen. “Die Branchen Möbel, Elektro, und Baumärkte hatten gar keine Umsatzverluste, sondern Umsatzsteigerungen im Vergleich zum Vorjahr und erhalten den Umsatzersatz als „Bonus“”, analysiert der Thinktank.
Auch Luxusmarken und Steuersünder gefördert
Der Fördertopf dürfte laut Momentum mit ca. einer Milliarde Euro dotiert sein, zusätzlich zu den zwei Milliarden Euro für Tourismus, Kultur und Gastronomie. Von diesen Fördersummen ist niemand in der Branche ausgenommen. Egal, ob die Betriebe bereits durch andere Corona-Hilfen wie etwa die Kurzarbeit oder Fixkostenzuschuss profitierten und egal wie groß die Rücklagen der Betriebe sind.
So kommen etwa auch große US-Ketten wie Starbucks oder McDonalds ebenso in den Genuss von Steuergeldern wie Nobelboutiquen oder Nespresso-Shops.
Ebenso wenig wird geprüft, ob die Unternehmen in Österreich “brav Steuern zahlen”, bestätigt Finanzministerium das auf “Heute”-Nachfrage. Man beruhigt aber: Sollten Unternehmen im Vorjahr mit Umsatzzahlen “getrickst” haben – also zur Steuervermeidung geringere Umsätze angegeben haben – würden sie dadurch nun durch die niedrigere Bemessungsgrundlage weniger Entschädigung erhalten.
80% für Betriebe, 55% für Arbeitslose: Die ÖVP macht sogar bei Corona-Hilfen Klientelpolitik