Am 26. Jänner wird in Niederösterreichs Gemeinden gewählt. Auch in Wiener Neustadt. Die Stadt hatte 70 Jahre eine SPÖ-Regierung. Bis 2015 ein ungewöhnlicher Schulterschluss zwischen ÖVP, FPÖ und Grünen den ÖVP-Kandidaten Klaus Schneeberger ins Amt des Bürgermeisters hievte. Wiener Neustadt schaut heute anders aus: Die Baupolitik treibt den Handel aus dem Zentrum an den Stadtrand. Der Ortskern stirbt und die Bürger sind immer mehr aufs Auto angewiesen. Noch dazu droht Wiener Neustadt die erste Stadt Österreichs zu werden, in der alle Flächen versiegelt sind.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren große Teile Wiener Neustadts zerbombt, heute ist es ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum in Niederösterreich. Die Stadt wurde 70 Jahre lang von der SPÖ regiert. Es war eine rote Enklave im schwarzen Umland und das ließ die ÖVP-Landesregierung in Niederösterreich die Stadt auch bei den Förderungen spüren. 2014 erhielt die Gemeinde noch 21.700 € im Jahr, mit der Machtübernahme der ÖVP 2015 sind die Fördergelder plötzlich auf 1,7 Mio. € hochgeschnellt. Das ist eine Erhöhung um 8.000 Prozent.
Die SPÖ verlor den Bürgermeister durch einen Trick: Denn auch bei der Wahl 2015 waren die Sozialdemokraten die stimmenstärkste Partei. Eine Koalition von ÖVP, FPÖ, Grünen und Bürgerlisten machten aber den ÖVP-Mann Schneeberger zum Bürgermeister. Und seither hat sich viel verändert.
Identitäre in Wiener Neustadt „herzlich willkommen“
Der wichtigste Koalitionspartner der ÖVP ist die FPÖ. Sie stellt auch den Vizebürgermeister. Als im Februar 2016 die rechtsextreme “Identitäre Bewegung” eine Kundgebung im Stadtzentrum organisierte, wurde sie von Vizebürgermeister Michael Schnedlitz “herzlich” begrüßt.
„Liebe Identitäre Bewegung, ich begrüße euch recht herzlich in Wiener Neustadt! Hier seid ihr herzlich willkommen! Bewegungen wie die Pegida in Deutschland, die sind die Speerspitze, die die Bevölkerung im Kampf gegen die Bundesregierung und gegen dieses System noch brauchen wird.“ Weiter: „Und jeder einzelne Bursch und jedes einzelne Mädel von Euch, die heute hier sind (…), hat mehr Rückgrat und mehr Charakter als diese gesamte Bundesregierung“, sagt der Wiener Neustädter Vize-Bürgermeister von der FPÖ.
Seiner politischen Karriere hat das übrigens nicht geschadet. Er ist nun Nationalratsabgeordneter und Anfang 2020 folgte er Vilimsky als FPÖ-Generalsekretär nach. Schnedlitz ist ein enger Vertrauter des niederösterreichischen Landesparteichefs Udo Landbauer, der wegen der Nazi-Liederbuch-Affäre vorübergehend zurückgetreten ist. Landbauer selbst ist Gemeinderat in Wiener Neustadt.
Beton, Beton, Beton – die Baupolitik
Auch klimapolitisch hat Wiener Neustadt Probleme: Es wird die erste Stadt Österreichs sein, in der alle freien Flächen zugepflastert sind. Noch vor 2050 wird es in Wiener Neustadt keine Äcker oder für die Region typische Trockenwiesen mehr geben. Das haben Berechnungen des Umweltbundesamts ergeben. Bodenversiegelung nennt man das. Schuld daran ist vor allem eine unkoordinierte Baupolitik.
Geschäfte und Einkaufsmöglichkeiten wandern immer mehr an den Stadtrand, der schlecht angebunden ist. Immer mehr Neustädterinnen und Neustädter sind auf das Auto angewiesen. Das führt nicht nur zu verstopften Straßen, sondern auch zu einem höheren CO2-Ausstoß. Dazu kommt das Ladensterben im Stadtkern. Während die Neustädter Innenstadt früher noch stark belebt war, ist sie heute fast ausgestorben. Die Revitalisierungsversuche der Stadtregierung funktionieren nicht.
Ortskernsterben
Auch die Kulturpolitik läuft nicht. Das Filmfestival „Frontale“ zum Beispiel. Es konnte 2017 noch 3.500 Besucher empfangen. 2018 traten die Gründer und das gesamte Festivalteam zurück. Man hatte einen Co-Direktor eingesetzt, der – so empfanden es das Team – die kritische und vielfältige Natur des Festivals zu untergraben hatte. So wollte man nicht weiterarbeiten.
Auch andere Freizeitangebote blieben aus. Die Konsequenz: Viele Geschäfte in der Altstadt mussten aufgegeben.
Ein Wiener Neustadt für alle
Neustadt kann aber auch anders sein, vielfältig, offen, sozial und nachhaltig. Wir müssen unsere Innenstadt wiederbeleben und Grünflächen ausbauen, damit die Neustädterinnen und Neustädter wieder Plätze haben, wo die Stadtgemeinschaft zusammenkommen kann. Der öffentliche Verkehr muss diese Plätze mit dem Rest der Stadt verbinden, nicht nur der Umwelt wegen, sondern auch damit jene die nicht auf ein Auto zurückgreifen können sich auch am Stadtleben beteiligen können. Die Koalition unter Schneeberger, die lieber Spekulanten und Rechtsextremen die Tür öffnet, wird das nicht erreichen.