Wenn ein Mann seine Partnerin schlägt und demütigt, traumatisiert das auch die Kinder. Oft sind auch sie direkt von der Gewalt betroffen. Im Frauenhaus betreut man daher nicht nur die Frauen, sondern will auch den Kindern wieder Sicherheit und Wärme vermitteln. Eine wichtige Rolle dabei haben Jugendvertrauenspersonen und männliche Sozialpädagogen. Sie zeigen, dass Männer auch fürsorglich sind, kochen und im Haushalt arbeiten. Sie wollen verhindern, dass aus den Mädchen später Gewaltopfer und aus Buben später Täter werden.
Teresa Janker und Stefan Glaser beschreiben in ihrem Gastkommentar ihre Arbeit in einem Frauenhaus in Wiener Neustadt.
Was vielen Leuten in der aktuellen Debatte rund um Femizide und Frauenhäuser nicht bewusst ist: Im Frauenhaus leben etwa gleich viele Kinder wie Frauen. Wenn eine Frau aus ihrem Zuhause fliehen muss, weil sie von ihrem (Ex-)Mann oder Lebensgefährten geschlagen wird, dann nimmt sie meist auch die Kinder mit. Denn die sind immer von der Gewalt mitbetroffen: Entweder haben sie selbst Gewalt erlebt oder sie waren Zeug:innen der Gewalt an ihrer Mutter.
In 9 von 10 Fällen sind die Kinder entweder im gleichen Zimmer oder nebenan, wenn der Mann gewalttätig wird. Das führt oft zu Traumatisierungen.
Im Frauenhaus gibt es Schutz für Mutter und Kinder – aber das vertraute Umfeld ist weg
Wenn Kinder mit ihren Müttern ins Frauenhaus fliehen, bedeutet das einerseits einen wichtigen Schritt in Richtung Sicherheit. Andererseits werden die Kinder aus ihrem bisherigen Leben und ihrem vertrauten Umfeld gerissen.
Sie brauchen – wie auch die Frauen – professionelle Hilfe. Dazu gibt es im Frauenhaus eine Kinder- und Jugendbezugsfrau als Vertrauensperson für die Kinder und Jugendlichen. Sie spricht mit den Kindern, und begleitet sie zu Obsorgeverfahren. Sie hilft bei der Suche nach neuen Kindergarten- und Schulplätzen und begleitet zu Terminen mit der Kinder- und Jugendhilfe. Neben all diesen Behördenwegen auch genug Zeit für die intensive Arbeit direkt mit den Kindern, Jugendlichen und Müttern zu haben, ist eine ständige Herausforderung.
Im Frauenhaus arbeitet man auch daran, dass Kinder nicht noch mal Opfer oder später selbst Täter werden
Kinder, die Gewalt in ihrer Familie miterleben mussten, kämpfen auch später als Erwachsene damit. Das betrifft nicht nur Kinder, die im Frauenhaus leben, sondern alle Kinder, bei denen es Gewalt in der Familie gibt.
Mädchen werden eher wieder zu Opfern von gewalttätigen Männern in ihren Beziehungen. Burschen werden oft zu Männern, die Gewalt ausüben – weil sie nur diesen Umgang mit Konflikten, Emotionen, Problemen gelernt haben.
Das gilt natürlich nicht für alle Betroffene:n. Aber die Gefahr besteht. Viele der Kinder im Frauenhaus haben sehr negative Erfahrungen mit männlichen Bezugspersonen gemacht – aber kaum positive.
Männliche Sozialpädagogen als Vorbilder und Vertrauenspersonen
Hier kommt der männliche Sozialpädagoge ins Spiel: 2012 als kleines Projekt begonnen, kommt regelmäßig ein Sozialpädagoge ins Frauenhaus um – gemeinsam mit der Kinder- und Jugendbezugsfrau – Zeit mit den Kindern zu verbringen. Wir machen Ausflüge, spielen im Garten, feiern Geburtstags-, Halloween- und Faschingsfeste, helfen bei Schulaufgaben, reden über ernste und lustige Themen.
Wir spielen Puppenküche, Twister oder Dixit bis der Schädel raucht, die Gelenke stöhnen und der Bauch voll ist mit köstlichem, selbstgemachtem, imaginären Tee und Muffins.
Die meisten Kinder und Jugendlichen im Frauenhaus haben ihren Vater bzw. den Lebensgefährten der Mutter immer wieder gewalttätig erlebt. Er übte in seiner Rolle als Mann Gewalt aus und die Mutter war in ihrer Rolle als Frau das Opfer.
Dass Männer fürsorglich, emotional ausgeglichen, sozial, empathisch, nett und vor allem gewaltfrei sein können bzw. sein sollten, haben diese Kinder nicht erlebt. Wir bieten den Kindern eine positive männliche Bezugsperson. Durch die gemeinsame Arbeit im Team als Mann und Frau erleben die Kinder auch, wie ein gleichberechtigter Umgang untereinander aussehen kann.
Die Kinder sehen, dass nicht nur Männer Entscheidungen treffen und Frauen helfen, putzen, und wegräumen. Sondern dass auch Männer gern backen und danach selbstverständlich den Tisch abwischen oder den Basteltisch aufräumen und den Boden kehren.
Ein paar gemeinsame Monate, die lange nachwirken sollen
Der langfristige Einfluss, den die gemeinsame Arbeit hat, ist schwer messbar. Vor allem weil die Kinder und Jugendlichen meist nach ein paar Monaten wieder ausziehen. Wir versuchen aber in der Zeit, in der sie da sind, eine stabilisierende Unterstützung zu sein.
Dass die Kinder sich jedes Mal wieder freuen, wenn wir einen Ausflug mit ihnen unternehmen oder fragen, wann wir wieder gemeinsam Zeit verbringen, ist für uns ein Zeichen, dass wir einen positiven Einfluss haben. All das in einer Zeit, die für die Kinder sehr belastend ist. Wir wollen einen Beitrag leisten, Traumata zu bearbeiten – damit aus Kindern und Jugendlichen selbstbewusste und hoffnungsvolle Erwachsene werden können.
So viel zu tun, aber viel zu wenig Geld und Personal
Wir wollen nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Es gäbe so viel zu tun, so viel Potenzial – aber es fehlt das Geld. Seit Jahren und sogar Jahrzehnten prangern Frauenschutzorganisationen – allen voran der “AÖF – Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser” an: Es gibt zu wenige Frauenhäuser und zu wenige Plätze. Sie fordern mehr Geld für Prävention, für mehr Personal und Täterarbeit. Geld für mehr Männerberatung, für mehr Anti-Gewalt-Trainings und mehr Workshops an Schulen.
Und: Mehr Geld für den Kinderbereich in den Frauenhäusern. Eine Aufstockung der Stunden für die Kinder- und Jugendbezugsfrau ist dringend notwendig. Denn die Kinder brauchen Zuwendung und Hilfe in dieser schwierigen Zeit. Und es braucht mehr Mittel für männliche, reflektierte (Sozial-)Pädagogen. Im Wiener Neustädter Frauenhaus gibt es beispielsweise nur 2 Stunden pro Woche. Die meisten anderen Frauenhäuser haben überhaupt keine finanziellen Ressourcen für männliche Pädagogen.
Frauenhäuser in Österreich |
Frauenhäuser sind Gewaltschutzeinrichtungen und bieten betroffenen Frauen und Kindern Soforthilfe, Unterkunft, psychologische Hilfe und Unterstützung bei Behördenwegen. Derzeit gibt es in Österreich 26 Frauenhäuser – mit rund 800 Plätzen. Im Jahr 2020 haben 1.507 Frauen und 1.487 Kinder in einem Frauenhaus Schutz gesucht. |
Es wäre ein leichtes, Österreich für Frauen und Kinder sicherer zu machen
Wir hoffen, dass die Politik endlich anfängt, dieses Thema ernst zu nehmen und es nicht bei Alibi-Aktionen und halbgaren Versprechungen bleibt. Die Frauenschutzorganisationen sind seit vielen, vielen Jahren massiv unterfinanziert – trotz großer Ankündigungen aller politischen Couleurs. Wenn nun wider Erwarten auf einmal doch viel mehr Geld in die Hand genommen würde, um Opferschutzeinrichtungen, Präventionsarbeit und Täterarbeit zu finanzieren, würde Österreich ein besserer, sicherer Ort für Frauen und ihre Kinder. Der Unterschied wäre enorm. Es gibt so großartige Projekte und Organisationen, die für Frauen und Kinder den Unterschied machen. Deshalb sollte man sie ausbauen.
Aber solange patriarchale Denkmuster weiterhin tief verankert sind, gewalttätige, gefühlsarme Männlichkeitsideale die Norm sind, wird es Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder geben – und auch gegen andere Männer, die als Konkurrenten, als Bedrohung oder als minderwertig empfunden werden.
Weiterhin zusehen bedeutet 1 Frauenmord alle 10 Tage
Solange wir im Kapitalismus leben, in dem sich fast alles um Geld, Macht und Kontrolle dreht; solange Angst, Ausgrenzung und Ausbeutung an der Tagesordnung stehen; solange Konkurrenz und „den anderen fertig machen“ ein Ziel ist, das wir von klein auf vermittelt bekommen; solange wird das am großen Ganzen nichts ändern, um in einer gleichberechtigten, sorgenfreieren und bedürfnisorientierten Welt zu leben: Solange werden wir die Tage zählen, bis der nächste Femizid in den Schlagzeilen steht. Laut aktuellem Durchschnitt wird es in ca. 10 Tagen soweit sein.
Patriarchale, frauenverachtende Männlichkeitsbilder und rücksichtslose, gewinnmaximierende Wirtschaftsweisen gehen oft Hand in Hand. Und diese Hände werden viel zu oft Fäuste. Deswegen sollten wir alle lieber heute als morgen anpacken und das Ganze ändern.
Teresa Janker ist Sozialpädagogin und arbeitet als Kinder- und Jugendbezugsfrau im Wiener Neustädter Frauenhaus des Vereins Wendepunkt. Stefan Glaser ist Sozialarbeiter und arbeitet 2 Stunden pro Woche als Sozialpädagoge mit den Kindern und Jugendlichen im Frauenhaus. Beide publizieren über ihre Arbeit mit Kindern im Frauenhaus, weil sie finden, dass diese Perspektive in der aktuellen Debatte um Frauenhäuser, Männergewalt, #Femizid und fehlende politische Verantwortung wichtig ist. Wenn Sie diese Arbeit unterstützen möchten, freut sich der Verein Wendepunkt über eine Spende: IBAN: AT45 2026 7000 0000 3715 Bank: Wr. Neustädter Sparkasse
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