„Ändert sich nichts, ändert sich alles“ ist der Titel des Buches der Klima-Aktivistin Katharina Rogenhofer. Sie hat „Fridays For Future“ nach Wien gebracht und ist die Sprecherin des Klimavolksbegehrens. In ihrem Buch erklärt die 27-Jährige die Zusammenhänge von Ökologie, Wirtschaft und Politik in Österreich. Mit Kontrast spricht sie darüber, warum der individuelle Konsum beim Klimaschutz schnell an Grenzen stößt, wie die Wirtschaftskammer beim Klimaschutz auf der Bremse steht und was Beschäftigte in der Erdöl-Industrie in 15 Jahren machen sollen.
Kontrast.at: Sie haben das Klimavolksbegehren in Österreich initiiert und die Fridays for Future Demos von Anfang an mitorganisiert. Was ist aus der Perspektive der Klimaaktivisten in Österreich in den letzten zwei, drei Jahren passiert?
Katharina Rogenhofer: Was wir als Klimabewegung geschafft haben, ist, dass über das Thema gesprochen wird. Mit Fridays For Future und dem Klimavolksbegehren haben wir unter der schwarz-blauen Regierung begonnen und da war Klima eigentlich überhaupt kein Thema. Jetzt kommt man an der Auseinandersetzung mit der Klimakrise nicht mehr vorbei. Bei der letzten Nationalratswahl gab es TV-Diskussionen der Spitzenkandidaten, wo das Klima eines der großen Themen war. Auf einmal mussten sich alle Parteiobfrauen und Parteiobmänner etwas dazu überlegen und Klima-Konzepte vorlegen. Auch auf europäischer Ebene hat sich einiges bewegt, zum Beispiel mit dem Green-Deal auf EU-Ebene. Aber da kommt man schon zu der Krux der Sache: Ich glaube, wir haben jetzt den Sprung vom Nicht-drüber-Reden ins Drüber-Reden geschafft, aber noch nicht die Übersetzung in tatsächliche Maßnahmen.
Jetzt ist die Klimabewegung extrem wichtig, um vom Reden ins Tun zu kommen.
Kontrast.at: Die Umsetzung ist aber nicht unbedingt die Aufgabe der Klimabewegung, das müssten schon die Regierungen tun, oder?
Rogenhofer: Ich sehe auch die größte Verantwortung aber auch die größten Hebel bei der Politik und ich glaube, das muss man immer wieder klarstellen. Mich macht die Aussage von PolitikerInnen immer ein bisschen wütend, dass sie “so viel Hoffnung in die nächste Generation setzen”. Wir können nicht darauf warten, bis die jungen Menschen irgendwann an den Schalthebeln sitzen. Die Zeit haben wir nicht, wir haben noch zwei, drei Jahre, um das Ruder herumzureißen.
Andererseits gibt es eine neue Studie von Reinhard Steurer von der BOKU, die zeigt, dass es für die Klimapolitik eines Landes eigentlich egal ist, welche Partei in der Regierung sitzt. Es ist nur wichtig, wie stark die Klimabewegung ist. Das heißt, die Politik ist in dieser Frage vor allem eine reaktive Kraft und keine aktive, gestalterische.
Deshalb liegt es an uns, jetzt wieder aufzustehen und den Druck aufzubauen, damit wir die Klimagesetze bekommen, die wir brauchen – auch wenn wir nicht aktiv daran mitschreiben.
Das Buch von Katharina Rogenhofer und Florian Schlederer ist im Juli 2021 erschienen und wird als das “Buch der Stunde” gefeiert. Es liefert eine gute Übersicht über die physikalischen Tatsachen hinter dem Klimawandel, setzt sich aber auch intensiv mit den sozialen und wirtschaftlichen Aspekten der Klimapolitik in Österreich auseinander. Neben mehr öffentlichen Verkehrsmitteln, Grünflächen und dem Ausbau erneuerbarer Energie fordern die AutorInnen auch eine gerechtere Vermögensverteilung, die 4-Tage-Woche und Arbeitsstiftungen für den gerechten Übergang zu einer klimafreundlichen Gesellschaft.
Kontrast.at: Die Regierungen sagen bei Klimafragen oft, die Bevölkerung sei nicht zu großen Veränderungen bereit? Die Klimaräte in Frankreich oder Deutschland zeigen aber, dass die Mehrheit der Menschen klimapolitisch schon weiter gehen würde als alle Parteien in ihren Programmen. Wie kann man das verstehen?
Rogenhofer: Diese Ausrede lasse ich überhaupt nicht mehr gelten. Man sieht erstens in allen Umfragen, dass den Leuten sehr wohl bewusst ist, dass die Klimakrise ein ernstes Problem ist und dass es dafür politische Lösungen braucht. Für die meisten Klimaschutzmaßnahmen gibt es zwei Drittel-Mehrheiten in der Bevölkerung.
Und bei den BürgerInnenräten sieht man, dass es auch Mehrheiten für angeblich sehr umstrittene Fragen gibt – zum Beispiel die Abschaffung klimaschädlicher Förderungen oder Tempo 100 auf der Autobahn. Lustigerweise schlagen die Bürgerinnen und Bürger genau diese “kontroversen” Maßnahmen vor, wenn sie vorher aufgeklärt werden. Deswegen ist der BürgerInnenrat so ein cooles Konzept, weil es nicht nur um direkte Demokratie geht in Form von „ich mach einfach ein Kreuzerl irgendwohin und beschäftige mich sonst nicht mit dem Thema“. Da trifft man sich sechs bis acht Wochenenden, bekommt inhaltlichen Input und diskutiert tiefgehend über das Thema. Und da zeigt sich, wenn das Wissen da ist, sind die allermeisten Menschen zu notwendigen Maßnahmen bereit, die manche in der Politik “radikal” nennen würden.
In Frankreich hat man das gesehen mit Tempo 100 auf den Autobahnen, mit dem Verbot von Kurzstreckenflügen oder keinem Fleisch mehr in Kantinen. Das sind alles Dinge, wo Politikerinnen und Politiker sagen würden: „Na, das können wir nicht machen. Dann stehen die Leute auf den Barrikaden!“ Aber in den BürgerInnenräten zum Klima fordern das die Leute, die ja ein Querschnitt der Bevölkerung sind.
Kontrast.at: In Österreich sollte es ja auch einen Klimarat geben. Das war auch eine Forderung des Klimavolksbegehrens. Wie steht es um den?
Rogenhofer: Genau, der hätte im Sommer starten sollen. Das hat die Regierung mit Verweis auf Corona verschoben, jetzt soll es im Herbst so weit sein. Das Wichtige an einem KlimabürgerInnenrat ist, dass wir vorher festlegen, wie die Ergebnisse in den politischen Prozess einfließen werden. Es soll ja keine Pseudobeteiligung werden, wo es dann heißt: „Ja, wir haben jetzt 100 repräsentative Leute eingeladen, die haben irgendein Papier produziert, da stehen 50 Punkte drinnen und das war’s.“ Für uns ist diese Verbindlichkeit sehr wichtig, das kann von einer öffentlichen Behandlung im Parlament bis zu einer Volksabstimmung über einige Ergebnisse gehen. Und wir müssen die öffentliche Aufmerksamkeit hinbringen, weil je mehr Beachtung dieser BürgerInnenrat findet, desto mehr steigt der öffentliche Druck, die Ergebnisse wirklich umzusetzen. Wenn beides gelingt, könnte Österreich bei der Klimapolitik deutlich weiter kommen.
Kontrast.at: Wenn es nicht die BürgerInnen sind, die der Klimawende im Weg stehen, wer ist es dann? Das fossile Kapital?
Rogenhofer: Ich glaube, das ist sogar das Wichtigste daran. Man sieht in Österreich, wie große Interessensvertretungen agieren. Die Wirtschaftskammer bezeichnet den Entwurf des Klimaschutzgesetzes als “ideologische Bestrafungsfantasie” der Grünen. Die haben noch ganz veraltete Vorstellungen von Wirtschaft, die auch mit großen Teilen der Unternehmen nicht mehr übereinstimmen.
Von der Wirtschaftskammer und ein paar fossilen Unternehmen kommt beim Klimaschutz ganz viel Bremsenergie und das ist sicher der Grund, warum die Politik bis heute nicht gehandelt hat. Wenn es um politische Entscheidungen und Gesetze geht, ist es dann oft wichtiger, wer meine Wahlkampagne bezahlt oder wer meiner Partei Geld spendet, als was die Leute tatsächlich wollen.
Und dann werden falsche Lösungen nach vorne gestellt, weil sie mächtige wirtschaftliche Interessen bedienen. Zum Beispiel wird auf europäischer Ebene gerade massiv für Erdgas als Übergangstechnologie lobbyiert. So können fossile Konzerne noch an ihrem Geschäftsmodell festhalten und sagen: „Wir haben jetzt so eine große Gasinfrastruktur und Gas ist ja klimafreundlicher.“ Das stimmt natürlich so nicht. Bei der Verbrennung verursacht Gas zwar weniger CO2, auf dem Transportweg wird aber Methan freigesetzt, was die Klimabilanz von Erdgas oft schlechter macht, als die von Kohle. Erdgas ist die falsche Richtung. Aber trotzdem fließt da wahnsinnig viel Geld, um uns Erdgas als grünes Gas zu verkaufen.
Kontrast.at: Wer sind die großen Konzerne oder Lobbyisten, die in Österreich gegen Klimaschutz sind?
Rogenhofer: Wenn man sich die öffentlichen Aussagen anschaut, dann fällt die Wirtschaftskammer als großer Bremser der Klimapolitik auf. Gewicht haben sicher auch Konzerne wie die OMV, die ist der größte Konzern Österreichs. Die haben viel Macht und bis jetzt keinen Schwenk in irgendeine nachhaltige, neue Richtung gemacht. Was unter dem neuen CEO sein wird, weiß ich nicht. Aber die OMV hat vor Kurzem diesen Borealis-Kauf getätigt und das lässt nicht viel erwarten. Plastik ist keine nachhaltige Richtung.
Dabei gibt es schon Vorbilder für Ölkonzerne, die eine neue Richtung einschlagen. Zum Beispiel Ørsted in Dänemark. Das war auch ein fossiler Energiekonzern, der innerhalb von wenigen Jahren einen totalen Turn in Richtung erneuerbare Energien gemacht hat. Es ist nicht so, als wäre das nicht möglich. Was die Klimawende wirklich bremst, ist, dass einige große Unternehmen wie die OMV, aber gerade auch Interessensvertretungen wie Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung noch sehr stark am alten, fossilen Denken hängen und jegliche Wende in Richtung Neudenken der österreichischen Wirtschaft aufhalten. Dabei könnte die österreichische Wirtschaft sehr erfinderisch, innovativ und Teil der Lösung sein, wie es schon einige Unternehmen aufzeigen, die nun teilweise sogar öffentlich gegen die Position der WKO auftreten.
Kontrast.at: A propos Plastik. Gerade hat Greenpeace gewarnt, dass die Plastik-Menge sich verdreifachen wird bis 2050. Das ist eine gewisse Diskrepanz, weil viele Leute bemühen sich in den letzten Jahren sehr, Plastik zu vermeiden …
Rogenhofer: Ja, das ist unfair, oder? Wir steuern auf eine Katastrophe zu, wenn man die wissenschaftlichen Zahlen, Daten und Fakten sieht. Aber das Einzige, das uns angeboten wird als Individuum, ist: Nimm kein Plastiksackerl und kauf regional ein. Das individuelle Verhalten ist schon wichtig, aber das wird der Größe dieser Katastrophe nicht gerecht. Das Abschieben der Verantwortung von der Politik in Richtung der einzelnen KonsumentInnen ist häufig ein vorgeschobener Grund und meint eigentlich: „Ich will nichts machen, weil meine Interessen woanders liegen.“
Wir leben in einer Welt, in der klimaschädigende Verhalten die Norm ist, weil es das Einfachste, Billigste und Bequemste ist.
Klimafreundliches Verhalten ist meistens teurer, oder aufwendiger. Dadurch wird klimafreundliches Verhalten in unserer Gesellschaft zum Privileg, für das ich die Zeit und das Geld haben muss. Das umzudrehen ist eine politische Entscheidung.
Wir können Gesetze so gestalten, dass das Klimafreundliche das einfachste, bequemste und leichteste ist.
Weil es das Erste ist, was ich im Regal sehe, weil alle Produkte, die ich kaufen kann, die Menschenrechte und den Umweltschutz einhalten. Der Einfluss, den ich über individuelle Konsumentscheidungen habe, stößt schnell an Grenzen. Ich kann nicht mit meinem Konsum entscheiden, ob in meiner Gemeinde ein Zug oder ein Bus fährt. Ich entscheide nicht mit meinem Konsum, wie lange Österreich noch Öl, Kohle und Gas importiert. Das sind wirklich genuin politische Entscheidungen und diese großen Hebel müssen jetzt umgelegt werden.
Bei einer Podiumsdiskussion hat einmal irgendwer gesagt: „Das Beste, das jeder Einzelne tun kann, ist nicht einzeln zu bleiben.“ Das ist ein schöner Satz, der wahrscheinlich für jedes politische Engagement gilt. Sich zusammenschließen, darüber reden, diesen Schritt ins Politische zu machen, Dinge einzufordern – das ist, glaube ich, das Wichtigste, was jede/r Einzelne tun kann.
Kontrast.at: Also man muss vom Konsumenten zum politischen Subjekt werden. Noch einmal zum klimaschädlichen Verhalten, das belohnt wird: Da gibt es Milliarden an klimaschädlichen Förderungen in Österreich, es gibt aber keine offiziellen Erhebungen dazu?
Rogenhofer: Die letzte Studie dazu ist vom WIFO aus dem Jahr 2016. Diese zeigt, es gibt 4,7 Milliarden klimaschädigende Subventionen in Österreich. Die Zahl ist wahrscheinlich noch größer, weil in dieser Studie zum Beispiel die Landwirtschaftsförderungen ausgeklammert sind.
Wir jubeln in Österreich über eine Klimaschutzmilliarde, aber auf der anderen Seite investieren wir 4,7 Milliarden dagegen.
Da geht sich irgendetwas nicht aus. Im Antrag zum Klima-Volksbegehren im Parlament wurde beschlossen, dass es eine umfassende Studie zu den klimaschädigenden Subventionen geben soll, samt einem Plan, wie man die abbaut.
Wir müssen dringend aufhören, das Falsche zu tun und das heißt, Klimaschädigendes nicht noch weiter zu fördern – neue Straßen zu bauen, Gasinfrastruktur in Neubauten zu legen und so weiter. Und auf der anderen Seite müssen wir mehr in die Waagschale legen: Mehr in den öffentlichen Verkehr investieren und zu einer wirklichen Alternative für PendlerInnen machen, die erneuerbaren Energien ausbauen, aber eben auch Arbeitsprogramme, Umschulungen für Menschen, die jetzt in Jobs arbeiten, die vielleicht nachher nicht mehr existieren. Wir müssen die Leute ausbilden und umschulen, die die Photovoltaikanlagen auf die Dächer bauen, die bei uns die Heizkessel tauschen, etc. Wir brauchen mehr öffentliche Verkehrsmittel, Anpassungsmaßnahmen in Städten, mehr Grünflächen und die Wiederbelebung von Ortszentren, statt Supermärkte und Einkaufszentren außerhalb auf die grüne Wiese zu pflastern. Dafür brauchen wir das Geld.
Kontrast.at: Fridays for Future sind gerade an Besetzungen beteiligt, die den Bau der Stadtstraße in der Donaustadt verhindern wollen. Warum?
Rogenhofer: Man muss sich das ganze System der Straßen anschauen. Die Pläne bestehen aus der Stadtstraße, der Spange und der Lobau-Autobahn. Da geht es nicht nur darum, die Seestadt anzubinden, sondern auf eine sehr hochrangige Straße zu leiten. Das Problem der Autobahnprojekte, die jetzt umgesetzt werden sollen, ist, dass sie vor 20 Jahren geplant wurden. Der Verkehr ist eines der großen Sorgenkinder in Österreich, die Emissionen steigen dort seit Jahrzehnten. Wir müssen uns grundsätzlich die Frage stellen: Macht das Sinn, Straßen zu bauen oder können wir bessere Alternativen im 21. Jahrhundert finden? Überhaupt, wenn alle Studien zeigen, dass mehr Straßen, mehr Verkeht bedeuten. Ich weiß, dass es Pendlerinnen und Pendler gibt, die nach Wien müssen. Aber warum überlege ich mir nicht, wie wir es diesen Pendlerinnen und Pendlern möglich machen können, klimafreundlich nach Wien zu pendeln?
Kontrast.at: Wie ist es mit Menschen, die ihr Geld zum Beispiel in der Autoindustrie oder bei der OMV verdienen? Sind das eher die Gegner der Klimabewegung oder seht ihr da eine Gesprächsbasis?
Rogenhofer: Ich glaube, dass keiner dieser Menschen, die bei der OMV oder in der Autoindustrie arbeiten, einen Job machen will, der schlecht für unsere Zukunft oder schlecht für ihre Kinder ist.
Niemand von denen sitzt am Abend da und denkt sich „Hahaha… Die Zukunft ist dann eben zerstört.“ Überhaupt nicht.
Viele dieser Menschen haben eine gute Ausbildung, sie kennen sich technisch gut aus und sind zentral für die Arbeit, die dort gemacht wird. Mein Klimaaktivismus geht nicht gegen sie, sondern nur gegen das, was die Konzerne als Kerngeschäft haben.
Wenn wir der Klimakrise entgegenwirken wollen, darf nicht noch weiter Öl gefördert werden, aber da haben vor allem die CEOs lange Zeit verschlafen, ihre Industrie umzubauen und somit gute, zukunftsfähige Jobs zu sichern – das wäre ihre Verantwortung gewesen.
Für die Beschäftigten dort muss man sich überlegen: Kann das Unternehmen das Kerngeschäft genügend umgestalten? Die OMV zum Beispiel hätte großes Potenzial in der Geothermie, die noch kaum ausgebaut ist in Österreich. Da braucht es Leute, die sich mit Bodenstabilität auskennen, GeologInnen, ChemikerInnen und so weiter. Dieses Know-How hat die OMV, weil sie auch Bodenexplorationen macht für Ölförderungen.
Wenn ein Unternehmen nicht dazu gewillt ist und diese Verantwortung für ihre MitarbeiterInnen nicht übernimmt, dann ist es eine staatliche Aufgabe, das Einkommen dieser Leute zu sichern. Zum Beispiel durch Arbeitsstiftungen für Menschen, die aus diesen Branchen kommen und sich woanders hin entwickeln wollen.
Es gibt Umfragen unter Menschen, die Ölbohrungen im Offshore-Bereich machen und die zeigen: Ein Großteil der Menschen ist nicht mehr stolz auf diese Arbeit und sie würden gerne woanders arbeiten. Das sind also durchaus mögliche Verbündete. Aber da nehme ich mich auch selber ein bisschen am Kragen: Wir müssen mehr miteinander reden und gemeinsam an einer Politik arbeiten, die diesen Menschen gute Arbeitsplätze in der Zukunft ermöglicht.
Kontrast.at: Wie wichtig ist der Klimabewegung soziale Gerechtigkeit? Spielt die Lebensrealität von Leuten eine Rolle, die wahrscheinlich noch nie auf einer Klimademo waren?
Rogenhofer: Anfangs wurde vorrangig über globale Gerechtigkeit diskutiert. Fridays For Future ist sehr vernetzt auf der ganzen Welt und wir bekommen mit, wie die Klimakrise, in Form von Dürren, Überflutungen, Waldbränden und Extremwetterereignissen, Menschen in den Ländern des globalen Südens schon viel stärker trifft als uns. Aber auch bei uns trifft es vor allem die finanziell Benachteiligten. Vor drei Jahren habe ich selbst ehrlicherweise noch nicht so viel darüber nachgedacht, welche sozialen Auswirkungen die Klimakrise in Österreich hat. Aber je mehr man sich mit der Klimakrise ernsthaft auseinandersetzt, umso augenscheinlicher wird das. Menschen, die es sich keine Klimaanlage in ihrer Wohnung leisten können, die schlecht gedämmte Häuser haben, die am Bau arbeiten müssen, die trifft das alles viel schlimmer.
Aber auch bei den Maßnahmen muss man immer fragen, wie die sich sozial auswirken. Die CO2-Bepreisung trifft ohne Umverteilung durch einen Klimabonus oder ähnliches immer gering verdienende Haushalte mehr – auch wenn sie absolut viel weniger CO2 verbrauchen als Reiche. Damit setzen wir uns natürlich auch innerhalb der Klimabewegung auseinander.
Ganz grundsätzlich ist meine Vision von der zukünftigen Welt auch keine, in der wir die Klimakrise gelöst haben, indem überall Maschinen herumstehen, die das CO2 aus der Luft saugen und sonst bleibt alles gleich. Mir geht es um ein gutes Zusammenleben, den öffentlichen Raum wieder fairer zu verteilen, um Einkommensgerechtigkeit, gerechte Vermögensverteilung, bessere Bildung für alle. Da sehe ich auch große Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Klimabewegung mit sozialpolitischen Organisationen oder Bewegungen.
Kontrast.at: Zu den Bündnissen der Klimabewegung – wie ist es zum Beispiel mit den LandwirtInnen? Die spüren die Folgen des Klimawandels auch heute schon unmittelbar.
Rogenhofer: Alle, die mit der Natur arbeiten, kriegen viel schneller mit, wenn der Regen nicht kommt oder wenn Obstbäume zu früh blühen und dann der Frost noch mal einfällt. In der Forstwirtschaft ist es zum Beispiel der Borkenkäfer, der jetzt zum Waldsterben führt. Ich sehe LandwirtInnen und ForstwirtInnen als natürliche Verbündete. Da gab es auch viel gegenseitige Unterstützung aber auch Lernpotenzial auf beiden Seiten. Denn natürlich gibt es Kritik an der Land- und Forstwirtschaft, wie sie bis jetzt teilweise passiert. Zum Beispiel sieht man jetzt, dass es keine gute Idee war, nur Fichtenforste aufzuziehen. Das ist für die Biodiversität und die Artenvielfalt nicht gut, aber auch nicht resilient genug gegen die Klimakrise. Wenn Schädlinge wie der Borkenkäfer Monokulturen befallen, können sie rasant den ganzen Wald einnehmen. Durchmischte Wälder sind viel widerstandsfähiger gegen solchen Stress. In der Landwirtschaft ist das ähnlich:
Wie ich meinen Boden beackere, ob ich Humus aufbaue oder nicht, kann einen Unterschied machen, ob mein Boden genug Wasser aufnehmen kann, um durch längere trockene Perioden zu kommen.
Die Landwirtschaftssubventionen der EU gehen dabei in die falsche Richtung und begünstigen große Betriebe, die auf Masse setzen müssen, um genug Gewinn zu machen. Das ist ein vollkommen falsches System, das eben nicht Biodiversität und Nachhaltigkeit fördert. Wenn wir weiterhin in Österreich unsere Lebensgrundlagen produzieren wollen, müssen wir kleinräumige Landwirtschaft betreiben, die mit dem Boden arbeitet und nachhaltig produziert. Es gibt also ein Potenzial, da wirklich eine Allianz aufzubauen, weil die LandwirtInnen an ihre Grenzen stoßen und nicht einfach von heute auf morgen klimafreundlich produzieren können. Die politische Förderlogik und die wirtschaftliche Logik sprechen dagegen. Da gemeinsam aufzustehen, hätte riesiges Potenzial. Den LandwirtInnen fehlt in vielerlei Aspekten der gebührende Respekt, das ist ein harter Job.
Kontrast.at: Welche Rolle spielen der Bauernbund und das Landwirtschaftsministerium dabei?
Rogenhofer: Die Landwirtschaftsministerin ist keine Vorreiterin, wenn es um eine Reform des Systems der Landwirtschaftsförderung geht, darum kleinräumige, diverse Landwirtschaft zu fördern. Das hat man bei den Verhandlungen um die gemeinsame Agrarpolitik der EU in Brüssel gesehen. Ähnlich wie bei der Wirtschaftskammer driften die Interessen auseinander zwischen den Bauern und BäuerInnen auf der einen Seite und den Interessensvertretungen auf der anderen. Die LandwirtInnen sind sehr unter Druck, und die Interessensvertretung ist noch nicht so weit, wie viele der BäuerInnen, mit denen wir zusammenarbeiten. Für die stellt sich die Frage: Was ist die Zukunft der LandwirtInnen in einer Zeit, in der du entweder ein riesen Agrar-Konzern bist oder Nebenerwerbsbauer?
Kontrast.at: Die letzte Frage zu einem kalkulierten Satz des Bundeskanzlers: „Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit!“ Was denkt man als Klimaaktivistin, wenn ein Regierungschef so etwas sagt?
Rogenhofer: Nicht umsonst heißt mein Buch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“. Wenn wir weitermachen wie bisher, ist die Gefahr nicht nur, dass wir in die Steinzeit zurückkehren, sondern sogar in ein vormenschliches Zeitalter mit lebensfeindlichen Umgebungstemperaturen, Wetterextremen und so weiter. Wenn man, wie Kurz, bei Klimapolitik gerne vor Verzicht warnt, will ich darüber reden, worauf wir jetzt schon verzichten. Wir verzichten auf saubere Luft in Städten, wir verzichten auf Grünflächen, wir verzichten auf klimafreundliche, regionale Produkte als Standard, wir verzichten auf Energieunabhängigkeit und machen uns abhängig von erdölexportierenden Staaten. Wir haben also viel zu gewinnen, wenn wir die Klimawende schaffen. Wenn wir die soziale Komponente, die klimapolitische Komponente, aber auch den Naturschutz miteinander denken, können wir wirklich in eine Zukunft steuern, die viel lebenswerter, gesünder und gerechter ist, als die jetzige Zeit.