Wien hat sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich wenig Corona-Fälle und das obwohl die Bundeshauptstadt viel intensiver testet als die anderen Bundesländer in Österreich. Obwohl durch intensives Testen ein Corona-Cluster gefunden und isoliert werden konnte, kritisiert Innenminister Nehammer Wien am Montag erneut. Tatsache ist: Nur wegen der Wiener Testoffensive wurde der Corona-Cluster überhaupt gefunden. Nach dem Vorgehen der Bundesregierung wäre er unentdeckt geblieben. Die Erkrankungen gehen nicht auf das Krisenmanagement der Bundeshauptstadt zurück, sondern auf unsichere Arbeitsbedienungen bei Leiharbeit in Post-Zentren.
Was hat es also mit dem neuen Corona-Cluster auf sich, der in Wien entdeckt wurde? Während in ganz Österreich dann auf Corona getestet wird, wenn sich jemand bei der Gesundheitshotline 1450 mit Symptomen meldet, verfolgt Wien eine offensivere Strategie und testet bereits bei Vermutungen und bei Personen und Einrichtungen, die besonders gefährdet sind, etwa Spitäler oder Kindergärten. Um das zu veranschaulichen: Letzte Woche haben an die 700 Menschen in Wien die Gesundheitshotline angerufen. Davon hatten 120 Corona-Symptome und unterzogen sich Tests. Bei diesen 120 Tests blieb es aber nicht. Wien hat in der letzten Woche an die 1.600 weitere Tests durchgeführt.
Neuer Corona-Cluster durch Wiens Test-Strategie aufgedeckt
Es war auch so eine offensive Test-Strategie, die den neuen Cluster aufgedeckt hat. Als bekannt wurde, dass ein paar Menschen in der Flüchtlings-Unterkunft Erdberg Symptome entwickeltet haben, hat sich die Stadt Wien von sich aus entschlossen, hineinzugehen und alle Bewohner und Betreuer zu testen. Die Stadtregierung hat nicht darauf gewartet, bis die Betroffenen bei der Gesundheitshotline anrufen. Durch diese Eigeninitiative hat Wien insgesamt 28 positive Fälle (4 Betreuer, 24 Bewohner) entdeckt. Diese wurden dann in der bereits vorbereiteten Betreuungseinrichtung am Messe-Gelände isoliert.
Durch das Rückverfolgen von Kontakten, konnte das Postverteilerzentrum im niederösterreichischen Hagenbrunn als Ausgangsort festgemacht werden. Die Gesundheitsbehörden haben alle Erkrankten isoliert und alle Menschen, die mit ihnen Kontakt hatten, getestet. Hätte Wien nicht eine offensivere Test-Strategie verfolgt als jene, die von der Bundesregierung empfohlen wird, hätte sich das Virus von den Postverteilerzentren noch bedeutend weiter ausgebreitet, bevor die Behörden es überhaupt entdeckt hätten. Der Wiener Stadtrat für Gesundheit, Peter Hacker, zur Wiener Test-Strategie:
“Diese Fälle sieht man nur, wenn man es wissen will. Und ich will es wissen.”
Leiharbeit als Corona-Problem
Wieso waren gerade die Postverteilerzentralen der Ausgangspunkt des Corona-Cluster? Das hat nichts mit den Briefen oder Paketen in den Verteilerzentren zu tun, sondern mit den Arbeitsbedingungen. Hacker nennt vor allem die Leiharbeit. Viele der Beschäftigten in den Postverteilerzentralen sind nämlich nicht regulär Angestellte, sondern Leiharbeiter. Der Wiener Sozialstadtrat vermutet, dass viele von ihnen in die Arbeit kamen, obwohl sie bereits Symptome hatten.
Leiharbeiter verdienen in Österreich zwar dank des Arbeitskräfteüberlassung-Gesetzes gleich viel wie die Stammbelegschaft, sie haben aber keine Kündigungsfrist. “Ihr Job ist schneller weg als sie schauen können”, sagt die Gewerkschafterin und Expertin für prekäre Arbeit Veronika Bohrn-Mena. Und so steigt der Druck, auch krank in die Arbeit zu kommen.
Die Post sagt zwar gegenüber Ö1, vor allem wegen der Auftragsspitzen in Corona-Zeiten verstärkt auf Leiharbeit zurückzugreifen. Tatsächlich ist bei der Post Leiharbeit und Scheinselbständigkeit schon länger weit verbreitet. “Seit der Teilprivatisierung wurde reguläres Personal im großen Stil abgebaut und durch Leiharbeitskräfte und Scheinselbstständige ersetzt”, sagt die Gewerkschafterin und Prekarisierungsexpertin Veronika Bohrn-Mena. Weite Teile der Tätigkeiten der Post lagerte das Management sogar ganz an Subunternehmen aus, um beim Personal zu sparen. Am Ende stehen dann oft scheinselbstständige Postler, die im Akkord-Lohn bekommen und pro Paket etwa 43 Cent verdienen, so Bohrn-Mena. Die müssen dann ein gewisses tägliches Pensum erfüllen, um finanziell über die Runden zu kommen. “In der Praxis heißt das: 150 Pakete pro Tag, sonst bekommen sie keine neuen Aufträge. Am Ende des Tages sind das 75 Euro und Schichten von 12-14 Stunden”, wie die Gewerkschafterin schildert.
Wenn sie nicht arbeiten, dann verdienen sie gar nichts. Dieses System führt dazu, dass viele prekäre Scheinselbständige auch krank zur Arbeit gehen, um nicht vor dem Nichts zu stehen. Das stellt für den Peter Hacker eine Gefahrenquelle da.
Unser Problem ist aktuell, dass viele Menschen das Wort Krankenstand nicht kennen.
Echte Politik vs. Wahlkampf
Nachdem die Stadt Wien die Corona-Cluster isoliert und den Ursprung entdeckt hat, möchte die Stadtregierung nun vermehrt bei Leihfirmen Tests durchführen. Das Ziel ist es, dadurch Cluster zu verhindern, noch bevor sie entstehen. Die Gesundheitsbehörden in Wien stehen außerdem im engen Kontakt mit ihren Kollegen in Niederösterreich, um Ansteckungen über die Grenzen der Bundesländer hinweg zu kontrollieren.
Während Gesundheitsminister Anschober diese Zusammenarbeit lobt, attackiert Innenminister Nehammer Wien weiter und nutzt die Corona-Krise aus, um politisches Kleingeld für den Wien-Wahlkampf zu gewinnen.