ÖVP und Grüne haben geheim Absprachen zu Postenbesetzungen und umstrittenen politischen Reformen getroffen. Das zeigt ein geheimer Sideletter, der mittlerweile öffentlich geworden ist. Brisant: Grüne Verhandler:innen waren eigentlich der Auffassung, die Hacklerregelung gerettet zu haben – doch im Sideletter wurde die Abschaffung festgeschrieben.
ÖVP und Grüne haben in einem Sideletter zum Regierungsprogramm akribisch geregelt, welche Partei Anspruch auf welchen Posten hat. Von Jobs am Verfassungsgerichtshof, über die Nationalbank und EU-Institutionen, bis hin zum ORF wurde der jeweilige Machtbereich der Koalitionspartner abgesteckt. Üblicher Postenschacher, möchte der gelernte Österreicher antworten. Doch die Absprachen verstoßen zum Teil sogar gegen die Verfassung. Beispielsweise wurde auch zur Bestellung der beiden Vorstände der Finanzmarktaufsicht (FMA) eine geheime Abmachung getroffen. Diese Vorstandsjobs sollten 2023 „brüderlich geteilt werden, um gleichermaßen Zugriff auf diese wichtige Kontrollbehörde zu haben. Tatsächlich kann aber nur einer der beiden Vorstände von der Regierung nominiert werden. Der andere Vorstand der FMA ist von der verfassungsrechtlich unabhängig gestellten Institution der Nationalbank zu nominieren“, erklärt SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer. Für Empörung sorgen aber auch Deals über unpopuläre Maßnahmen, die vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollten. Etwa das mutmaßliche Tauschgeschäft: Kopftuchverbot für die ÖVP – ORF-Stiftungsratsvorsitz für die Grünen.
Grüne Basis stimmte der Abschaffung der Hacklerregelung zu, ohne davon zu wissen
Der Sideletter war so geheim, dass nicht einmal grüne Verhandlungsführer:innen davon wussten. Birgit Hebein, ehemalige grüne Vizebürgermeisterin Wiens, führte die Verhandlungen zum Kapitel „Soziales“. Teil der Verhandlungsmaterie waren Reformen des Pensionssystems. Hebein wollte eine Erhöhung der Frauenpensionen auf 1.100 Euro und die Beibehaltung der Hacklerpension, also die abschlagsfreie Pension nach 45 Arbeitsjahren. Sebastian Kurz wollte die Streichung der Hacklerpension und keine höheren Frauenpensionen. Der Kompromiss war: Die Hacklerregelung bleibt, bei den Frauenpensionen tut sich nichts. Zumindest glaubte das Hebein: Im Sideletter, der von Kurz und Kogler unterzeichnet wurde, findet sich die Abschaffung der Hacklerregelung. Mittlerweile wurde sie tatsächlich gänzlich gestrichen – mit Stimmen der ÖVP und der Grünen. Besonders bei den Grünen ist das problematisch. Schließlich musste der Bundeskongress das Koalitionsabkommen absegnen. Die Basis stimmte einer Regierung zu, die Pensionskürzungen und das Kopftuchverbot für Lehrerinnen plante – Maßnahmen, die ihr bewusst verschwiegen wurden. https://twitter.com/BirgitHebein/status/1487791450851053576
Kogler & Maurer: Abschaffung der Hacklerregelung gut
Die Grüne Parteispitze will von Hebeins Darstellung freilich nichts wissen. Die Posten im ORF für die Grünen seien eine Maßnahme gegen die „Orbanisierung“, also der autoritären Umgestaltung des öffentlichen Rundfunks nach dem Vorbild von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Die Abschaffung der Hacklerregelung verteidigen die Grünen, denn so seien Mittel zur Bekämpfung der Altersarmut freigeworden. Dass diese Pensionskürzungen im Sideletter gelandet sind, soll auf Wunsch von Sebastian Kurz geschehen sein. Dieser habe der SPÖ kein Kampagnenthema zukommen lassen wollen. Ob nun Hebein oder Maurer und Kogler die Wahrheit sagen, weiß man nicht. Die Abschaffung der Hacklerregelung sorgte jedenfalls für Gegenwind aus den Reihen der Opposition und auch nach Bekanntwerden der Geheimabsprache gehen die Wogen bei SPÖ und FPÖ hoch. „Die Grünen haben hart und lang arbeitende Menschen für eine Handvoll Posten verkauft. Die Grünen, die sich Transparenz und Anstand auf die Fahnen heften, haben damit jede Glaubwürdigkeit verspielt“, kritisiert etwa SPÖ-Nationalrat und Vorsitzender der Produktionsgewerkschaft, Rainer Wimmer. Gleichzeitig habe sich die ÖVP feige aus der Verantwortung gestohlen und die Angriffe auf Arbeitnehmer:innen im Sideletter verpackt, so Wimmer. „Der in Nebenabsprachen zwischen dem neoliberalen Konzernflügel der ÖVP gemeinsam mit den Grünen paktierte Sozialabbau wird in der Sitzung des Sozialausschusses am 3. Februar das Thema Nummer Eins sein“, kündigt FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Berlakovich eine Befragung von Sozialminister Mückstein, ÖVP-Klubobmann und Sozialsprecher Wöginger und dem grünen Sozialsprecher Koza im nächsten Sozialausschuss an.
Schüssel und Kurz kürzten Arbeiter:innen die Pension um 26 Prozent
Die Abschaffung der Hacklerregelung unter Türkis-Grün ist nur eine der Pensionskürzungen, die von ÖVP-Kanzlern umgesetzt wurden. Vor allem die Reformen unter der schwarz-blauen Regierung Schüssels haben fatale Auswirkungen, die sich erst jetzt deutlich zeigen. So führt die automatische Erhöhung des Durchrechenzeitraums zu massiven Pensionskürzungen in der Zukunft. Zusammen mit der Abschaffung der Hacklerregelung bedeutet das vor allem für jene Österreicher:innen, die besonders lange arbeiteten, etwa weil sie schon mit 15 eine Lehre begonnen haben, eine deutlich schlechtere Pension. Für einen Mann mit mittlerem Einkommen, der nach 45 Arbeitsjahren seinen Ruhestand antritt, schlägt sich das wie folgt nieder: 2016 erhielt er bei Pensionsantritt mit 65 noch knapp 1.800 Euro Pension monatlich. Durch die Schüssel-Reform erhält jemand mit dem exakt gleichen Einkommen bei Pensionsantritt im Jahr 2036 nur noch 1.500 Euro. Hat es sich dabei aber um eine Person gehandelt, die nach 45 Jahren mit der Hacklerregelung abschlagsfrei in Pension hätte gehen können, verringert sich der Betrag dank Türkis-Grün noch mal auf rund 1.330 Euro. Die beiden ÖVP-Kanzler haben dem Mann in unserem Beispiel also 470 Euro pro Monat seiner Pension gekostet. Das ist eine Kürzung von 26 %.