Die Beschäftigung steigt in Österreich – seit 2008 um 6 Prozent und damit etwa gleich stark wie in Deutschland. Zugleich wächst aber auch das Arbeitskräfteangebot stark. Will man die Arbeitslosigkeit verringern, muss daher sowohl investiert als auch das Arbeitskräfteangebot reduziert werden, wie der Ökonom Markus Marterbauer in seinem Gastkommentar erklärt.
Nachfragemangel …
Jüngst hat sich auf diesem Blog eine interessante Kontroverse zur Ausrichtung der Beschäftigungspolitik entsponnen. Niki Kowall hat das Fehlen ausreichender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage für die Rekordarbeitslosigkeit verantwortlich gemacht und deshalb eine engagierte Nachfragepolitik eingefordert. Er fordert höhere staatliche Investitionen und höhere Löhne, hält wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf der Angebotsseite hingegen für unnötig bis kontraproduktiv.
… oder Arbeitsangebotsschock?
Dominik Bernhofer und Sven Hergovich haben nachfrageseitige Maßnahmen der Bundesregierung dargestellt, aber vor allem die angebotsseitigen Ursachen der Arbeitslosigkeit betont: Arbeitsmigration und höhere Erwerbsbeteiligung Älterer. Sie verteidigen deshalb den Beschäftigungsbonus und loben die Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration von bislang Arbeitslosen (Beschäftigungsaktion 20.000 für Langzeitarbeitslose, Integrationsjahr für Asylberechtigte ua).
Finanzkrise kostet mehr als 300.000 Jobs
In dieser wichtigen Debatte haben beide Seiten schlüssige Argumente vorgebracht und diese widersprechen einander auch nicht. Der österreichische Arbeitsmarkt leidet seit Beginn der Finanzkrise 2008 unter eklatanter Unterauslastung.
Wäre das Bruttoinlandsprodukt seit 2008 gleich stark gewachsen wie in den zwanzig Jahren zuvor, dann läge es heute um 20% (70 Milliarden Euro) höher und das wäre nach den geltenden Faustregeln mit einem höheren Beschäftigungsniveau von mindestens 300.000 Jobs verbunden gewesen.
Allerdings wären auch der Ressourcenverbrauch und der Schadstoffausstoß kräftig gestiegen.
Öffentliche Investitionen ausweiten
Eine zielgerichtete Nachfragepolitik wäre dringend und müsste primär auf EU-Ebene ansetzen. Bundeskanzler Christian Kern hat das in seinem Artikel in der FAZ vehement gefordert und auch im „Plan A“ finden sich überzeugende Ideen für einen Investitionsimpuls in der EU (Flexibilisierung der Fiskalregeln, Fonds für strategische öffentliche Investitionen, Abschreibungsregeln für öffentliche Investitionen), die allerdings bedauerlicherweise keinen Eingang ins Regierungsprogramm gefunden haben.
Innerhalb Österreichs wurden steuerliche Anreize für Forschungs- und jüngst auch für andere realwirtschaftliche Investitionen ausgeweitet und das ist auch vernünftig, weil es die hohe Unternehmensliquidität in die volkswirtschaftlich richtigen Bahnen lenkt. Die öffentlichen Investitionen liegen in Österreich mit 3% des BIP zwar relativ hoch, der deutsche Staat müsste mehr als 30 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich investieren, um auf dieses Niveau zu kommen.
Doch mehr ist auch hier nötig, da das starke Bevölkerungswachstum in Wien und den anderen Ballungszentren dringend deutliche Verstärkung im sozialen Wohnbau, im öffentlichen Verkehr und anderen Infrastrukturbereichen erfordert.
Starkes Wachstum der Erwerbsbevölkerung
Trotz der Finanzkrise ist die Zahl der Beschäftigten in Österreich seit 2008 um etwa 6% gestiegen, gleich stark wie in Deutschland. Dennoch ist die Arbeitslosenquote in Österreich in diesem Zeitraum von 4% der Erwerbspersonen auf knapp 6% angewachsen, während sie in Deutschland von 7% auf unter 4% gesunken ist. Denn die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist in Österreich durch starke Zuwanderung (auch aus Deutschland) um mehr als 4% gestiegen, während sie in Deutschland leicht gesunken ist. Zudem haben die Pensionsreformen dazu geführt, dass etwa 80.000 Ältere zusätzlich auf dem Arbeitsmarkt verblieben sind.
Österreich ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland und ohne Zuwanderung würde das wirtschaftliche Potential sinken. Doch die Kombination aus beschäftigungsdämpfender Finanzkrise und angebotserhöhender Arbeitsmigration hat den heimischen Arbeitsmarkt in den letzten Jahren überfordert.
Fortschrittliche Regulierung des Arbeitskräfteangebots
Fortschrittliche Maßnahmen zur Verringerung des Arbeitskräfteangebots sind deshalb unverzichtbar. Die in den Kollektivverträgen der Industrie erreichten Meilensteine der Arbeitszeitverkürzung (z.B. die Freizeitoption) und die Aufstockung der Ausbildungsplätze (Qualifizierungsstipendium, Universitäts- und Fachhochschulplätze, Ausbildungspflicht) sind sehr hilfreich.
Eine Dämpfung der Zuwanderungsdynamik setzt am besten bei einer Verbesserung der Lebensbedingungen in den Quellländern der Migration an.
Höhere Mindestlöhne in Deutschland haben die Migration aus dem ostdeutschen Dienstleistungssektor nach Österreich deutlich abgeschwächt, auch in Ungarn steigen die Löhne nun kräftiger, was den „Push“-Faktor der Migration vermindert.
Bei Durchschnittslöhnen von knapp 900 Euro pro Monat in Tschechien und gut 400 Euro in Bulgarien ist aber klar, dass der Konvergenzprozess in der EU dringend einen neuen Schub braucht. Österreich muss auf Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Verwaltung drängen, um den Aufholprozess Ost- und Südosteuropas wieder in Gang zu bringen. Besonders dringlich ist das in Bezug auf Kroatien, für das die Übergangsfristen zum österreichischen Arbeitsmarkt 2020 auslaufen und wo es eine lange Tradition der Migration nach Österreich gibt. Würden gut Qualifizierte mangels Entwicklungsperspektiven in Kroatien auswandern, so würde das den Aufholprozess des Landes weiter schwächen.
Die Spielräume für Maßnahmen, die die Zuwanderung begrenzen, sind in Österreich selbst beschränkt. Weitere Möglichkeiten bieten sich beim Lohn- und Sozialdumpinggesetz und in spezifischen Branchen an, zB im Verkehr, wo in der Kabotage Dumping große Probleme bereitet. Skepsis ist hingegen gegenüber dem geplanten „Beschäftigungsbonus“ angebracht, der bei zusätzlich geschaffenen Jobs eine großzügige Förderung von Lohnnebenkosten vorsieht, sofern die Neueingestellten schon bislang auf dem heimischen Arbeitsmarkt waren. Da die Beschäftigung ohnehin kräftig zunimmt, werden dadurch viele Jobs gefördert, die auch ohne die Subvention entstanden wären (hoher Mitnahmeeffekt), zudem ergibt sich ein erheblicher Verwaltungsaufwand. Effizienter wäre es gewesen, den Beschäftigungsbonus auf Arbeitslose zu konzentrieren, die schon mehrere Monate beim AMS registriert sind.
Die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt ist da
Wir befinden uns derzeit in einer entscheidenden Phase, wenn es um die Verringerung der Arbeitslosigkeit geht. Die Konjunktur erholt sich getragen von Investitionen und Konsumnachfrage markant. Seit mehreren Quartalen steigen Beschäftigung und Zahl der offenen Stellen kräftig: Die Zahl der Vollzeitjobs um gut 30.000 gegenüber dem Vorjahr, jene in der Industrie um 5.000, jene der InländerInnen um 10.000, während sie zuvor über Jahre gesunken waren. Jetzt müssen Vermittlungs- und Qualifizierungsaktivitäten verstärkt werden, um die Arbeitslosen so rasch wie möglich auf die neu entstehenden Arbeitsplätze zu bringen. Die Zahl der Arbeitslosen wird 2017 merklich sinken. Wenn Maßnahmen auf der Nachfrageseite wie verstärkte Investitionsaktivitäten in der EU und in Österreich mit Maßnahmen der Angebotsseite wie Qualifizierung, Arbeitszeitverkürzung sowie intensiver Vermittlung der Arbeitslosen in gelungener Weise kombiniert werden, dann kann der Rückgang der Arbeitslosigkeit noch erheblich beschleunigt werden. Das wäre einer der wichtigsten Erfolge der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Markus Marterbauer leitet die Wirtschaftswissenschaft in der AK Wien und bloggt auf http://blog.arbeit-wirtschaft.at/