Sibylle Hamman schreibt für die “Presse” und den “Falter”. Ihre Kolumnen regen auf. Hamann will Zweifel säen und dass ihre Leser “dort hingehen, wo es ein bisschen knirscht”. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum Regierungs-PR oft 1:1 in die Zeitungen kommt, was passiert, wenn es in Redaktionen zu wenig Zeit für Recherchen gibt – und wer davon profitiert.
Es gibt zu viele gedruckte Meinungen und zu wenig neue Geschichten aus erster Hand
Kontrast: Frau Hamann, was ist die Voraussetzung dafür, eine Kolumnistin zu sein?
Hamann: Die wichtigste Voraussetzung ist: Man muss eine Meinung haben. Das ist aber etwas, was mich generell nervt.
Ich finde, es gibt viel zu viele Meinungen und viel zu wenige neue Geschichten.
An sich schreibe ich etwas fort, was ich gar nicht so gut finde für die Welt. Die Hauptsache des Kolumnistinnen-Daseins ist aber, dass man sich als Person, als Identifikationsfigur oder auch als Projektionsfläche zur Verfügung stellt. Ich habe das ganz stark bei der Presse gemerkt. Das ist ein konservatives Blatt. Da bin ich so was wie ein Fremdkörper oder Feigenblatt – wie immer man das nennen mag. Ich merke, dass mit den Lesern über die Jahre eine Art Beziehung entsteht. Mit den Lesern in der männlichen Form, denn die mögen mich besonders nicht. Ich antworte ja auf jede Leser-Zuschrift, die ich bekomme. Manchmal nur knapp, immer sehr freundlich.
Ich merke, dass ich für diese Menschen etwas darstelle. Auch wenn sie sich wahnsinnig über mich ärgern – offenbar freuen sie sich, dass sie sich jede Woche über mich ärgern können. Und da entstehen Beziehungen und ich glaube, das ist es, was sich die Leute erwarten und auch brauchen.
Zweifel säen: “Ich möchte eigentlich immer dort sein, wo’s nicht passt”
Kontrast: Was ist Ihre Aufgabe als Kolumnistin bei der Presse? Wollen Sie den Schwachen eine Stimme geben? Leisen Meinungen mehr Gehör verschaffen? Die Demokratie stärken? Die Welt retten?
Hamann: Ein bisschen von allem. Ich glaube sehr stark daran, dass jeder Mensch sehr viele widersprüchliche Dinge in sich vereint. Ich glaube zum Beispiel, dass Menschen nicht per se total rechte Rassisten oder total linke Gutmenschen sind. Ich glaube, dass jeder Mensch Anteile davon hat, und dass es von den Umständen, den Erfahrungen und Beziehungen abhängt, welche Seite wachgekitzelt wird. Ich glaube nicht, dass Menschen grundsätzlich bösartig auf die Welt kommen, auch wenn sie oft sehr bösartig handeln.
Was ich versuche, ist, mit Kolumnen und Texten die unerwarteten Seiten in Menschen zu wecken. Diese Seite, wo sie einen leisen Zweifel in festgefahrenen Meinungen sehen.
Ich arbeite hauptsächlich für zwei unterschiedliche Auftraggeber, das sind der Falter und Presse. Ich beobachte an mir, dass ich Themen, die man klassisch als Falter-Themen betrachten würde – zum Beispiel Flüchtlinge – lieber in der Presse schreibe. Und umgekehrt Themen, die man in der Presse verorten würde – zum Beispiel Unternehmertum oder Geld – lieber im Falter unterbringen möchte. Ich möchte also eigentlich immer dort sein, wo’s nicht passt.
“Es gibt zu wenig neue Geschichten aus erster Hand”
Kontrast: Was macht für Sie eine gute Kolumne und was eine gute Geschichte aus?
Hamann: Das sind zwei verschiedene Fragen. Was aber beides verbindet: Sie müssen einen Aha-Effekt beinhalten, irgendwas Neues. Eine Kolumne, die eine erwartbare Meinung wiedergibt, finde ich langweilig. Eine Geschichte, die etwas erzählt, was ich mir eh schon so vorgestellt habe, finde ich auch langweilig. Diesen kleinen Funken, dieses Neue, dieses genauer Hinschauen, genauer Nachfragen – vielleicht ist das etwas, was die beiden verbindet. Bei den Argumenten genau nachzufragen: Stimmt das wirklich? Ist etwas wahr, nur weil es gut klingt? Wenn ich es in Bezug setze zu meinen Alltagserfahrungen, macht es dann Sinn? Oder klingt es nur auf einer abstrakten Ebene gut? Wenn ich es austeste, in der Wirklichkeit, draußen mit meinen Kindern, auf der Straße mit wildfremden Leuten: Stimmt das Argument dann immer noch?
Und umgekehrt bei den Geschichten: Es gibt viel zu wenig neue Geschichten aus erster Hand. Geschichten, die wirklich erlebt wurden, wo man dabei war, wo man etwas Neues erfahren hat. Da gibt’s einen Mangel. Die Wirklichkeit überrascht aber immer.
Was mich antreibt, ist, dass ich bei offensichtlichen Themen, zu denen jeder eine Meinung hat, in der Wirklichkeit nachschauen möchte: Wie nehmen das die Betroffenen selber wahr? Wie nehmen es die handelnden Akteure wahr?
Diese Kopftuchdebatte steht mir bis hier und zum Kopftuch eine weitere Meinung zu haben, braucht kein Mensch. Aber nichts ist interessanter, als sich für die einzelnen Geschichten dieser Mädchen zu interessieren. Die sind komplett verschieden, da geht es um verschiedene Konflikte, Lebenssituationen, Beziehungen, Biografien. Da wird’s erst spannend. Aber da komme ich mit meinen Meinungen zum Thema überhaupt nicht weiter. Weil damit nichts Neues vermittelt wird. Das ist einfach wahnsinnig uninteressant. Das einzige, was mich antreibt, ist, dass ich diese Geschichten in die Realität zurückführen will und wissen will: Was bringt uns jetzt wirklich weiter?
Kontrast: Das ist ja auch eine Haltung, könnte man sagen.
Hamann: Das ist es. Aber nur insofern, als dass ich diese Personen suche, aber die Leute dann selber erzählen lasse. Ich möchte in sie hineinkriechen, ich möchte verstehen lernen, wie sich aus deren Sicht das Leben anfühlt.
Kontrast: Sie relativieren quasi Haltungen.
Hamann: Genau das wollte ich sagen, ja.
Ich hätte gerne, dass sich alle ein bisschen aus ihren Komfort-Zonen rauslocken lassen und dorthin gehen, wo es ein bisschen knirscht, wo der Pullover kratzt, wo sich irgendwas nicht mehr ganz stimmig anfühlt. Dort beginnt’s nämlich, interessant zu werden. Da möchte ich hin.
Es braucht Leidenschaft, Interesse auch für absurde Themen
Kontrast: Wie suchen Sie Ihre Themen aus?
Hamann: Wenn ich merke, dass mich etwas wirklich erschüttert, dann sind das die Geschichten, die super funktionieren. Die besten Geschichten, die ich geschrieben habe, waren Dinge wie: Da lerne ich zufällig jemanden kennen, höre eine Geschichte, die mich packt. Dann sage ich sofort: „Die Geschichte will ich schreiben!“ Im Falter kann ich das auch machen. Da krieg ich dann auch Reaktionen ohne Ende. Ich kann da meinem eigenen Sensorium schon vertrauen. Wenn ich das Gefühl habe: „Das ist jetzt neu. Hey, Wahnsinn, gibt’s das? Dass ein Mensch mit so einer Geschichte neben mir wohnt?“ Dann finden es auch wohl auch die anderen neu, spannend, erschütternd. Sich etwas Artifizielles zurechtzulegen, sich zu überlegen: Wie mach ich etwas interessant, was ich eigentlich total langweilig finde … da tut man sich meistens schwer und es funktioniert auch selten.
Leidenschaft, Interesse für ein eventuell absurdes Thema – wenn man das selber empfindet, kann man das auch rüberbringen. Das ist, glaube ich, die Kunst unseres Geschäfts.
Hamann über Medien mit einer politischen Agenda
Kontrast: Was sagen Sie zu Österreichs Journalismus? Sind sie zufrieden mit der Medienlandschaft?
Hamann: (lacht) Schwierig. Also das kann ich so allgemein nicht sagen. Wir haben ganz tolle Medien, wir haben ganz tolle Schreiber und Schreiberinnen. Wir lesen ab und zu richtig tolle Geschichten. In anderen Bereichen passieren ganz furchtbare Dinge.
Wie sich Teile der Medienlandschaft in den Dienst politischer Kampagnen stellen, um den Preis der Klickzahlen und um Gruppen in der Bevölkerung gegeneinander aufzuhetzen, finde ich ganz furchtbar. Aber da reden wir von Kampagnen-Journalismus und nicht von richtigem Journalismus. Von Journalismus, der eine politische Agenda hat und das finde ich schlimm.
„Den Journalismus“ gibt es ohnehin nicht. Es gibt Medienhäuser mit verschiedenen Interessen, es gibt verschiedene Arten zu schreiben. Jeder und jede hat da ihren Platz und ihre eigene Agenda.
Kontrast: Gibt es genug Vielfalt in der Medienlandschaft? Reichen die bestehenden Verlagshäuser, um alle Interessen abzudecken?
Hamann: Wenn ich außerhalb Wiens auf Urlaub in Österreich bin, bin ich oft schockiert darüber, wie unglaublich mager das Medienangebot ist. Außer der NÖN krieg ich im Raiffeisen-Lagerhaus nix. Den Falter, den Standard oder die Presse kennt man in weiten Teilen Westösterreichs nicht. Überhaupt eine Zeitung käuflich zu erwerben, ist in manchen Teilen Österreichs ein Ding der Unmöglichkeit.
Das ist allerdings nicht nur in Österreich so. Ich war grade in Ostdeutschland, da musste ich in einer mittleren Großstadt bis zum Bahnhof gehen, um überhaupt eine Zeitung in die Hand zu kriegen. Es gab keinen Kiosk, kein Geschäft – nichts, wo man eine Zeitung kriegen könnte.
Wir erleben global gesehen einen Umbruch, was das Leseverhalten betrifft. Das beobachte ich auch an mir selber. Wir müssen nur alle ganz ehrlich sagen: Wie viel Zeit verbringen wir am Handy? Das sind natürlich Stunden, die uns woanders fehlen. Ich gebe das auch ganz offen zu. Das betrifft mich genauso meine Kinder und alle anderen Menschen.
Ob Print-Zeitungen oder Digital-Abo ist im Grunde egal
Kontrast: Eine Prognose wie die von Markus Lust von VICE, dass Printmedien keine Zukunft haben, dass die Tageszeitung dem Tode geweiht ist, teilen Sie nicht?
Hamann: Ich finde, das sind falsche Kategorien.
Es ist egal, ob ich etwas auf Papier oder auf einem Bildschirm lese. Das Wesentliche ist: Ist das richtiger Journalismus?
Habe ich für ihn bezahlt? Mit welchen Ressourcen ist er gemacht? In wessen Interesse ist er gemacht? Und: Ist es eine gute Geschichte oder nicht? Das sind die einzigen Kriterien. Ich kann völligen Junk auf Papier drucken, das macht ihn nicht besser. Und ich kann tolle Reportagen online stellen, das macht sie nicht schlechter. Ich verstehe also die Kategorie nicht. Medien werden sich dorthin entwickeln, dass sie Inhalt produzieren und der wird auf wechselnden Oberflächen angeboten. So machen es Medien wie der Falter oder die Süddeutsche ohnehin schon.
Kontrast: Wie soll guter Journalismus heute ausschauen?
Hamann: Es gibt die eine Sache, die guten Journalismus ausmacht und von der es viel zu wenig gibt. Das ist die neue Geschichte. Wir schreiben nicht wie die PR etwas zusammen, das schon existiert. Sondern wir erzählen wirklich neue Geschichten. Wir glauben immer, alles wäre schon gesagt. Wir sitzen vor unseren Rechnern und denken: „Es zahlt sich ja gar nicht aus, dass ich da raus geh. Was werden die schon sagen? Ich find es eh alles online, weil es ist alles schon 100 Mal gesagt.“
Ich habe in meiner Schreibwerkstatt an der Fachhochschule immer wieder erlebt, wie groß die Hemmungen von jungen Leuten sind, einfach mal ihr Kämmerchen zu verlassen, rauszugehen und sich echten Begegnungen auszusetzen. Uns fallen immer hundert Gründe ein, warum es grade nicht geht, schwierig ist, langer Vorbereitung bedarf. Aber ich schwöre: Jedes Mal, wenn man sie dazu zwingt, wo anzuklopfen und mit jemandem zu reden, kommen alle mit leuchtenden Augen und roten Wangen zurück und erzählen: „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was mir gerade passiert ist!“
Das Reservoir an neuen Geschichten da draußen ist unendlich. Wenn ich bei der Nachbarwohnung klingle – keine Ahnung, was passieren wird. Was da für eine Biografie, was da für eine Geschichte lauert.
Uns ist in dieser Masse an Geschichten, die wir jeden Tag aus dritter Hand vor die Türe bekommen, die Lust abhanden gekommen, diese neuen Geschichten suchen zu gehen. Das ist der Kern des Journalismus – wenn wir ab und zu zu dem zurückfinden, dann erhalten wir die Relevanz des Journalismus auf Dauer.
“Da kommen viel PR und vorgefertigte Geschichten rein. Sogar von Regierungsseite.”
Kontrast: Medien und Journalismus macht man aus verschiedenen Beweggründen. Es gibt aber ökonomische Begrenzungen und Zwänge. Der Journalismus ist nur so frei, wie er ökonomisch frei ist, oder?
Hamann: Wir haben momentan zwei problematische Entwicklungen in den Medienhäusern und Redaktionen. Einerseits werden die, die in den Redaktionen sitzen, immer weniger und haben immer mehr zu tun. Was passiert, wenn man viele Seiten füllen muss und keine Zeit mehr hat zu recherchieren? Dann fügt man Dinge ein, die schon fertig sind. Da kommen dann sehr viel PR und vorgefertigte Geschichten rein. Sogar von Regierungsseite.
Wenn die Regierung zum Beispiel den Familienbonus oder die “Mindestsicherung Neu” samt angehängten Beispielen präsentiert, kommen diese Dinge 1:1 in die Zeitung. Kaum jemand hat die Zeit nachzurechnen, ob diese Beispiele überhaupt stimmen. Wenn dann wer nachrechnet, kommt man drauf: Das ist alles ein völliger Humbug! Das geht sich hinten und vorne nicht aus! Trotzdem kommen diese Dinge in die Zeitung, weil niemand da ist, der die Ressourcen hat, das alles nachzuprüfen.
Gleichzeitig gibt es viele Seiten, die von freien Journalistinnen oder Journalisten gefüllt werden. Deren Entlohnungssystem ist der Zeit absolut nicht angepasst. Freie werden nach Zeile bezahlt und nicht nach Aufwand. Das ist natürlich völlig kontraproduktiv. Ich kann schnell mal mit irgendwas Seiten füllen und Zeilenhonorar kriegen. Eine relevante Information, in der viel Recherche steckt – wie soll ich diese nach Zeilen bezahlen? Da frag ich mich schon: Wer hat da ein Interesse dran?
Wer hat Interesse daran, dass genau diese Geschichten, die Recherche und Zeit brauchen, diese Art von Journalismus immer weniger stattfindet? Da reden wir natürlich von Menschen, die etwas zu verbergen haben, die die Macht in dieser Gesellschaft haben. Seien es Unternehmen, Regierungen, Gruppen, die sich freuen, wenn niemand genauer nachfragt. Das finde ich verheerend.
Staatliche Medienförderung, die ihre demokratiepolitische Aufgabe ernstnimmt, müsste genau dort ansetzen und gezielt Ressourcen für Recherche fördern. Aber damit hat natürlich niemand eine Freude. Ich werde gespannt beobachten, ob das jemand relevant genug findet.
“Junk” ist gratis – gefährlich wird es, wenn sich Menschen nur noch damit informieren
Kontrast: Mit Blick auf die Auflagen bei Print-Medien lässt sich sagen, dass diejenigen die mit Abstand stärksten Auflagen haben, die eher Kampagnenjournalismus betreiben. Wo die Qualität vielleicht nicht die beste ist.
Hamann: Nun ja, McDonald’s hat einen höheren Umsatz als ein Gourmet-Restaurant. Das ist doch bei allem so, dass Qualität etwas kostet und ein bisschen schwieriger zu konsumieren ist als Junkfood. Junkfood ist im Interesse von jemandem, der will, dass wir etwas schnell konsumieren. Ich vergleiche das tatsächlich mit Essen:
Junk ist umsonst und da wollen wir auch nicht genau wissen, was drinnen ist. Wenn ich das wissen will, muss ich Aufschlag zahlen.
Bleiben wir doch beim Bild, dass qualitativ hochwertige Dinge etwas kosten und zum Luxus-Produkt werden – so wie gute Geschichten und gutes Essen. Dann ergibt sich aus demokratiepolitischer Sicht ein Konflikt. Wir wollen, dass die Masse sich nicht ausschließlich mit Junk informiert, sondern Zugang zu relevanter und verlässlicher Information hat.
Da kommt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Schlüsselrolle zu. Er müsste dafür sorgen, dass eine verlässliche Basis-Information in der breiten Masse verbreitet wird und nicht zum Luxus-Produkt für wenige wird.
Sonst bleibt für die gebildeten Eliten der gute Journalismus und für die breiten Massen das, was uns „Russia Today“ in die Timeline spült. Das kann nicht die Lösung sein.
Kontrast: Sie schreiben ja auch für den Falter, der in einem Medien-Zensur-Mail des Innenministeriums als kritisches Medium attackiert wurde. Was für Reaktionen löst so etwas in den Redaktionen aus?
Hamann: Aus Falter-Sicht kann ich sagen: Uns beeindruckt das in keiner Weise.
Ob uns das Innenministerium bei der Herausgabe von Informationen bevorzugt behandelt oder nicht – darauf sind unsere Aufdecker-Journalisten nicht angewiesen. Unsere Geschichten finden wir auch so. Ich kann Ihnen versichern, dass das die Kolleginnen und Kollegen noch mehr anspornen wird, mehr herauszufinden und mehr zu recherchieren.
Bei dieser Frage geht es grundsätzlich darum: Hat das Ministerium nicht seinen Auftrag völlig missverstanden und verletzt seinen öffentlichen Auftrag?
Ministerien werden vom Steuergeld bezahlt und haben verdammt nochmal die Pflicht, alle Medien und die Bevölkerung gleichermaßen darüber zu informieren, was sie tun.
Dieses obrigkeitsstaatliche Fürstendenken, das da dahintersteckt: Ich belohne die einen und bestrafe die anderen – das sagt etwas aus über das Herrschafts- und Regierungsverständnis dieser Personen und Parteien. Für uns als Medien macht das nicht viel Unterschied.
Zu wenig Menschen mit Migrationsgeschichte in Medienhäusern: “Das ist ein riesiges Defizit.”
Kontrast: Sie haben in einer Kolumne Maria Vassilakous Abgang aus der Politik kritisiert, weil das bedeutet, dass Migranten und Migrantinnen eine Identifikationsfigur verlieren. Sie haben geschrieben, dass die ersten Reihen der Politik nicht so vielfältig sind wie die Bevölkerung. Mit Blick auf die Leitartikel, die Pressestunde, die Chefredaktionen wirken die Medienhäuser auch nicht sehr vielfältig. Wie kommt das?
Hamann: Das ist ein riesiges Defizit, das die meisten Redaktionen mittlerweile als Leerstelle wahrnehmen. Spätestens bei den fehlenden Sprachkenntnissen.
Dass zwar jede Menge Leute Französisch sprechen, aber niemand Arabisch kann, ist für viele Geschichten rein technisch wichtig.
Die Vielfalt ist auch wichtig, weil jeder Mensch seinen persönlichen Erfahrungsschatz mitbringt, gewisse Dinge deuten und verstehen kann. Je nachdem, ob man vom Bauernhof oder aus einer intellektuellen Familie kommt.
Da eine gewisse Vielfalt zu haben, hilft auch, um Dinge sensibler einschätzen, besser wahrnehmen zu können. Oder auch durch das familiäre Umfeld Antennen in Bereiche der Gesellschaft zu haben, die andere nicht haben. Die Gleichförmigkeit, die immer noch massiv da ist, ist ein Problem. Sie hindert uns daran, Geschichten wahrzunehmen.
Es ist kein Zufall, dass Melisa Erkurt vom Biber in den letzten Monaten eine ganze Serie an tollen Geschichten gemacht hat. Ich will das in keiner Weise auf ihre Herkunft reduzieren. Aber allein die Tatsache, dass sie aus ihrem erweiterten Umfeld wahrnehmen kann, was in Schulen, in Familien passiert – da kriegt man einfach viel mehr mit. Ich habe es auch persönlich bei mir bemerkt, dass ich, seit ich seit drei Jahren mit mehreren Flüchtlingsfamilien eng bekannt bin, viel Neues über unsere Gesellschaft erfahren habe. Wie geht es zu in manchen Schulen, auf einer Ausländer-Behörde, im AMS, im Sozialmarkt? Wie geht es zu in vielen Nischen der Gesellschaft, zu denen ich in meiner bürgerlichen Existenz normalerweise wenig Zugang habe? Dieser Perspektivenwechsel ist lehrreich.
Unser Mitbewohner ist ein junger Fotograf aus Syrien, der inzwischen beim Standard in der Online-Redaktion arbeitet, der geht seinen Weg. Toll, dass der Standard ihn geholt hat. Nicht nur, weil er ein toller Journalist und Fotograf ist, sondern auch, weil er an Lebenserfahrung und Kompetenz Dinge mitbringt, die anderen Redaktionen fehlen.
Kontrast: Wieso gelingt es nicht, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Redaktionen des Landes zu holen?
Hamann: An sich suchen Redaktionen Menschen mit Migrationsgeschichte. Auf der Fachhochschule habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, überhaupt Kandidaten und Kandidatinnen für das Assessment Center zu finden. Wir haben händeringend nach denen gesucht, die nicht aus dem Waldviertel, aus dem BORG kommen. Nach Menschen mit einer interessanten, nicht so geradlinigen Biografie. Die Anzahl dieser Bewerber ist sehr klein. Warum? Das lässt sich sozial erklären.
Klassische Aufsteigerkinder aus sozial benachteiligten Schichten wollen in der ersten Generation Arzt oder Anwalt werden, Wirtschaft studieren. Das war in Österreich in den letzten 30 Jahren nicht anders. Aufsteigerkinder ergreifen Studien mit sicheren Jobs, mit dem man die Eltern unterstützen kann. Jobs, mit denen man etwas zurückgeben kann, wenn der Aufstieg schon so hart war.
Studienrichtungen wie Journalismus oder Kunst sind Studien für Menschen aus privilegierten Haushalten, wo es keine Rolle spielt, schnell einen gut bezahlten Job zu finden. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn je prekärer die ökonomische Situation im Journalismus, desto sicherer muss man von zu Hause Ressourcen mitbringen, um sich den Beruf leisten zu können. Das ist auch ein Grund, warum aus sozial schwachen Schichten so wenig Menschen Journalismus machen.
Kontrast: Schreiben tut dann eher die zweite Generation.
Hamann: Schreiben tun dann erst die Kinder der Ärzte, ja. Die kommen dann in den Journalismus. So wie auch in Österreich.
Der Mainstream ist rechts
Kontrast: Es gibt ja diese Idee, dass es einen linken, feministischen, journalistischen Mainstream gibt, der die Debatte bestimmt. Dann heißt es, gegen den muss man antreten, provozieren und deshalb auch “Rechte” zu Wort kommen lassen. Wie sehen Sie das?
Hamann: Das ist eine Attitüde, die mir wahnsinnig auf die Nerven geht. Es so zu inszenieren, als wäre der Mainstream links und würde regieren. Als wären die Feministinnen an der Macht sein und man müsste sich jetzt rebellisch dagegen auflehnen. Das ist reine Masche und eine Behauptung.
Schauen wir uns um! Die Rechten sind an der Macht. Das ist der Mainstream. Das ist auch der Mainstream in der veröffentlichten Meinung, wenn ich mir die Stimme der Macht, die Kronen Zeitung, anschaue. Dieses Opfergetue und dieses Weinerliche, dieses „Ach, ich bin so arm, ich muss mich auflehnen, man verbietet mir, alles zu sagen, und ich darf ja nicht“ geht mir mächtig auf die Nerven.
Manchmal habe ich das Gefühl, die arbeiten sich noch an dem einen linken Geschichtslehrer ab, den sie in der dritten Klasse in der Schule hatten – und sie haben nicht bemerkt, dass sich die Welt inzwischen gedreht hat. So wie sie es wollen.
Wie Sibylle Hamann Kolumnistin geworden ist
Kontrast: Frau Hamann, warum sind Sie eigentlich Journalistin und Kolumnistin geworden?
Hamann: Ich habe schon als relativ junger Mensch gemerkt, dass es mir persönlich gut tut, mich einer fremden Situation auszusetzen. Wenn ich wohin gehe, wo ich mich nicht wohl fühle; wohin, wo ich mich vielleicht sogar ein bisschen fürchte. Das habe ich anfangs mit dem Reisen und den Reportagen gemacht. Aber dann habe ich festgestellt: Das kann man eigentlich überall machen. Diesen kleinen Widerstand überwinden, diese Scheu, mit fremden Menschen zu kommunizieren. Diesen kleinen Kitzel wollte ich beibehalten. Der Journalismus zwingt einen dazu, sich weiterhin diesem Unbekannten auszusetzen. Das hab ich beibehalten bis heute.
Kontrast: Wie hat der Sprung von der Journalistin zur Kolumnistin funktioniert?
Hamann: Ich war lange Zeit Auslandsreporterin beim Profil, war auch Korrespondentin und dafür auch eine Weile in New York. Da lebt man natürlich von den Geschichten, die einem begegnen. Irgendwann beginnt sich das ein bisschen abzunützen, man wird auch älter. Man merkt auch, dass sich die Medien verändern und dass Reisen nicht mehr so gefragt sind, weil alles Geld kostet. Die Redaktionen sparen. Es wird immer mehr verlangt, vom Schreibtisch aus zu arbeiten.
Vor 15 Jahren war dann der Punkt da, wo ich auch privat versucht habe, mein Leben ein bisschen anders zu sortieren. Weil ich auch Kinder habe. Ich hab mich damals selbstständig gemacht. Als Selbstständige kann man natürlich nicht mehr ständig ins Ausland reisen, das geht gar nicht. Physisch nicht und auch finanziell nicht. Da ist Kolumnen schreiben eine angenehmere und einfachere Art, sein Geld zu verdienen. Ich sage das ganz offen.
Mein Herz brennt für die Reportage. Aber man kann in der Nähe auch machen, was man in der Ferne macht. Ich mache für den Falter sehr gerne Reportagen, wobei ich gemerkt habe: Die Welt findet auch hier statt, in unserer unmittelbaren Umgebung. Draußen, in den Geschäften, wo ich einkaufen gehe. In den Schulen, in die meine Kinder gehen. Die Welt ist ja da, und da gibt es so viel, was man sich genauer anschauen kann.