Veronika Bohrn Mena zum Start ihrer Kolumne „Prekäre Arbeit“
„Wer hart arbeitet und sich anstrengt, hat gute Jobaussichten und ein sicheres Einkommen!“ Dieser Leitsatz mag für unsere Eltern noch zugetroffen haben, geglaubt haben ihn fast alle. In den 70er-Jahren herrschte quasi Vollbeschäftigung, später wurde der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär propagiert. Heute ist dieser Satz für viele zum blanken Hohn verkommen.
Realität ist leider, dass es im Jahr 2017 immer weniger gute Jobs gibt. Damit meine ich fair bezahlt, sozialrechtlich abgesichert und auf Dauer. Nicht nur unser Gefühl der Sicherheit, auf einen fixen Arbeitsplatz mit steigendem Einkommen vertrauen zu können, nimmt ab. Prekarisierung findet tatsächlich statt und sie betrifft uns letztlich alle, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht.
Leisten bis zum Umfallen: „Effizienz“ lautet die Parole
Wir haben es selbst erlebt oder in unserem Umfeld mitbekommen und spüren es intuitiv alle: Der Wettbewerb am Arbeitsmarkt ist beinhart. Junge hanteln sich von einem Praktikum zum nächsten, Stellen werden an sie befristet vergeben. Älteren wird vorgehalten, sie seien zu teuer und nicht schnell genug. Frauen im gebärfähigen Alter wird unverblümt gesagt Schwangerschaften wären unerwünscht, pflegebedürftige Angehörige führen zu Ärger mit Vorgesetzten. Viele schleppen sich sogar krank zur Arbeit, bis auch mit Medikamenten das Fieber nicht unterdrückt werden kann.
Überstunden werden als selbstverständlich betrachtet, wer pünktlich nach Hause geht, nimmt seine Arbeit nicht ernst genug. So schuften die einen statt 40 eher 45 Stunden pro Woche und die anderen, die lieber einen Vollzeitvertrag hätten, müssen sich anhören, dass angeblich nur Teilzeit möglich sei. Dort wo Fremdausbeutung durch Vorgesetzte nicht bereits an der Tagesordnung steht, wird Selbstausbeutung zum Gebot der Stunde – Hauptsache den Job bekommen oder nicht verlieren!
Hier hat sich fundamental etwas verändert und es tut uns nicht gut. Wir alle stehen unter Druck, „Effizienz“ lautet die Parole, die große „Digitalisierung“ der Arbeitswelt steht an und es heißt, sie soll nichts Gutes für uns bereithalten. Jetzt sollen wir plötzlich alle noch „flexibler“ sein, uns anpassen und auch noch dankbar sein, dass wir überhaupt arbeiten dürfen.
„Flexibilisierung“ als Dogma der Digitalisierung
So weit so schlecht. Wie konnte es so weit kommen? Und vor allem: Wie gehen wir damit um? Nichts von dem, was derzeit passiert, beruht auf einem Naturgesetz. Das Gute ist, dass Veränderungen nicht zwangsläufig zu Verschlechterungen führen. Wir müssen erkämpfte Errungenschaften und Rechte nicht einfach aufgeben. Es muss nicht so sein, dass Wenige viel und Viele nur wenig arbeiten (dürfen). Arbeit verschwindet nicht, die Frage ist, wie sie zukünftig verteilt und bewertet wird.
Der Druck, unter dem wir leiden, ist die Folge gezielter Einflussnahme und bewusster Entscheidungen. Der technologische Wandel an sich bestimmt nicht, wie betriebliche Abläufe gestaltet oder wie mit Menschen umgegangen wird. Die Beschneidung von Rechten und Mitsprachemöglichkeiten ist dem Profitstreben geschuldet, keiner echten Notwendigkeit. Auch wenn uns das noch so oft gesagt wird.
Was uns als „Flexibilität“ verkauft wird, macht uns nicht freier, eine entfesselte Wirtschaft bringt uns keine höheren Gehälter. Auch wenn keine Kosten und Mühen gescheut werden uns zu ängstigen und uns zu teilen in „Leistungswillige“ und in „Faule“ oder in Junge und Alte, müssen wir trotzdem nicht alles über uns ergehen lassen. Im Gegenteil, noch haben wir die Möglichkeit uns zu wehren, mitzuentscheiden wie Arbeit zukünftig gestaltet und mit uns umgegangen wird. Es gilt sich zu Wort zu melden, sich zu organisieren und dagegen zu halten, heute wieder mehr denn je.
Deswegen möchte ich hier mit der Kolumne „Prekäre Arbeit“ ausgewählte Bereiche dieser Entwicklungen näher beschreiben. Die Mechanismen thematisieren und vor allem: Aufzeigen wir uns dagegen wehren können.
Veronika Bohrn Mena ist in der GPA-djp Interessenvertretung tätig. Sie ist Vorsitzende der Plattform Generation Praktikum und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit atypischer und prekärer Arbeit.
Die Arbeitslosigkeit gab es auch in den Siebziger Jahren. Es war niemals leicht anständige Arbeit zu finden. Ich erinnere mich an Männer, die arbeitslos wurden und jeden Tag morgens die Aktentasche packten (zusammen mit dem Butterbrot im Papier) und vorgaben zur Arbeit zu gehen, weil sie sich zu Hause nicht getrauten zuzugeben, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren hatten.
Als dann die letzten Reserven aufgebraucht waren, mussten sie Farbe bekennen. Es galt als Schande, keine Arbeit zu haben. Deutschland war uns ein paar Jahre voraus. Dort gab es auch die ersten Obdachlosen. Ende der Siebziger gab es sie dann auch bei uns.