Ständig bücken, rupfen, schwer heben, draußen arbeiten bei jedem Wetter. Bis zu 17 Stunden am Tag, für einen Stundenlohn von 3,50 Euro? Das sind die Arbeitsbedingungen für ErntehelferInnen in ganz Europa. Es gibt Vorstöße, das zu ändern. Portugal hat im Zuge seiner EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, Agrarbetrieben die EU-Förderungen zu kürzen, wenn sie ihre Arbeiterinnen und Arbeiter ausbeuten. 12 Staaten haben das abgelehnt – an ihrer Spitze Österreich.
Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) posiert gerne mit Obst. Wie es denen geht, die es ernten, interessiert sie weniger.
Laut Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation sind über 61 Prozent der Landarbeiterinnen und Landarbeiter in der EU informell beschäftigt.
Sie kommen auf nur wenige Euro Stundenlohn. All das bei Arbeitstagen von 17 Stunden und Nächten in heruntergekommenen Unterkünften. Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP), über die die EU-Agrargelder verteilt werden, ist ein wichtiger Hebel, um die Arbeitsbedingungen für ErntehelferInnen zu verbessern: Immerhin stecken die EU-Länder über ein Drittel ihrer Budgets in die Landwirtschaft. Aktuell sind das 55 Milliarden Euro im Jahr. Wer so viel zahlt, darf Bedingungen stellen. Das dachte sich auch Portugal und wollte Agrarförderung an die Einhaltung von Arbeits- und Sozialrechten knüpfen. Auch das EU-Parlament drängt auf eine Kopplung von Agrargeldern an Arbeitsrechte.
17-Stunden arbeiten bei Tag, schlafen in verfallenen Unterkünften bei Nacht
Doch Köstinger wird ihrem Ruf als Lobbyistin der Agrar-Großbetriebe gerecht. In einer offiziellen „Note“ an den EU-Rat lehnt sie den Vorschlag ab, die sozialen Rechte der LandarbeiterInnen in der EU zu stärken. Im Namen von 12 anderen EU-Mitgliedsstaaten schreibt Österreich einen Brief:
“Die unterstützenden Mitgliedstaaten sind der festen Überzeugung, dass die Gemeinsame Agrarpolitik nicht der richtige Rechtsrahmen ist, um Sozial- und Arbeitnehmerrechte durchzusetzen oder Verstöße zu sanktionieren”, erklärt Österreich.
Köstinger lehnt alle drei Varianten, die Portugal in seinem Vorschlag unterbreitete, ab und schlägt stattdessen eine Informationskampagne vor. Dabei ist für ExpertInnen klar: Es liegt nicht an fehlenden Informationen, dass viele Agrarbetriebe ErntearbeiterInnen schlecht behandeln.
So sehen die Unterkünfte aus in denen rumänische Erntehelfer*innen in Österreich untergebracht werden. Sie schlafen bis zu elft im "Zimmer" – und das in Coronazeiten!
Dieses "Angebot" kostet sie 4 €/Tag.
Ihrer Stundenlohn: 4€/Std.Ich bin einfach wütend.#spargel pic.twitter.com/j82T9d7wt6
— Flavia Matei #ceasefirenow (@Flavvvmatei) June 12, 2020
“Wer ErntehelferInnen ausbeutet, darf keine öffentlichen Gelder nachgeschmissen bekommen”
Zwischen 3,50 und 4,50 Euro die Stunde bekommen Österreichs ErntearbeiterInnen im Schnitt. Die Kollektivverträge sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Sie liegen zwischen 6,22 und 7,41 Euro, werden aber kaum eingehalten. Die Arbeitstage dauern lange, auch an Wochenenden wird gearbeitet. “Überstundenzuschläge habe ich in der Landwirtschaft überhaupt noch nie erlebt”, sagt Susanne Haslinger von der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE). Sie hat mehrere Jahre lang die Sezonieri-Kampagne für ErntehelferInnen koordiniert.
Die Sezonieri-AktivistInnen ziehen über Österreichs Felder, um ErntehelferInnen über ihre Rechte zu informieren. Kontrast hat sie im Sommer begleitet. Bei der gesamten Tour trafen wir keinen Erntehelfer, der auch nur annähernd so viel bekommen hat, wie ihm laut Kollektivvertrag zusteht. Im schlimmsten Fall waren die Arbeiter gar nicht oder fälschlicherweise geringfügig angemeldet – im besten Fall zahlten die Bauern “nur” die Überstunden nicht.
“Wer Beschäftigte ausbeutet und im wirtschaftlichen Wettbewerb betrügt, darf nicht auch noch öffentliche Gelder nachgeschmissen bekommen”, kritisiert der PRO-GE Vorsitzende Rainer Wimmer Österreichs Ablehnung in der EU.
Dass Agrarförderungen an Lohn- und Sozialstandards geknüpft sind, fordern Gewerkschaften in ganz Europa seit Jahren. Die Vereinigung der österreichischen Berg- und Kleinbauern nennt Köstinger Ablehnung unverständlich. Der SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament Andreas Schieder nennt das “feudalistisches Herrschaftsdenken pur”. Und auch die Grünen im EU-Parlament kritisieren die ÖVP-Ablehnung:
“Das ist in Österreich auch manchmal ein Problem, aber es ist vor allem in Spanien ein großes Problem, auch in Süditalien. Wir wissen von Fällen von sklavenartigen Arbeitsverhältnissen, von Schwarzarbeit, von Unterbezahlung, keinem Urlaub, keiner Krankenversicherung. Es ist höchst an der Zeit, dass wir das zu lösen versuchen”, sagt der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz.
Miese Arbeitsbedingungen: Köstinger ignoriert Beschluss
Erst am 7. Oktober 2020 hat der EU-Ausschuss des Bundesrates einen Beschluss gefasst, der Bundesministerin Köstinger auffordert, sich in der EU dafür einzusetzen, Agrarförderungen an Mindestlöhne und arbeitsrechtliche Standards zu koppeln. „Wenn die Ministerin jetzt in Brüssel dagegen auftritt, missachtet sie nicht nur die Rechte von Land- und ErntearbeiterInnen, sondern auch den politischen Willen der Länderkammer“, kritisiert der SPÖ-Bundesrat Stefan Schennach. Der Beschluss ist für Köstinger zwar nicht bindend wie die Beschlüsse im Hauptausschuss des Parlaments, aber dennoch: Sich nicht daran zu halten, widerspricht einem Mehrheitsbeschluss in der zweiten Kammer des Parlaments.
Preisdruck auf dem Rücken kleiner Betriebe und der Erntehelfer
Die landwirtschaftliche Produktion ist ein Teufelskreis: Der Preisdruck durch den Großhandel setzt die Bauern unter Druck, Nahrungsmittel immer billiger zu produzieren. Die Konkurrenz für kleine Betriebe ist groß. Am Ende heißt das auch, die Löhne der ErntehelferInnen zu drücken.
Noch dazu ist die Förderpolitik denkbar schlecht: Sowohl die EU als auch Österreich vergeben Agrarförderungen in erster Linie nach Fläche, was vor allem Großbetrieben Profite beschert – und den Konkurrenzdruck auf kleine Betriebe noch weiter erhöht. Das Ergebnis: Jeder vierte landwirtschaftliche Betrieb hat in den letzten zehn Jahren zugesperrt.
Schlechtes Gesetz auch in Österreich – aus der Feder des ÖVP-Ministeriums
Ein neues Landarbeitsgesetz sollte zumindest den Fleckerlteppich von Bundesländer-Regeln beenden. Doch der Gesetzesentwurf ist schlecht, wenn man sich die Stellungnahme der Landarbeiterkammer durchliest. Die einstige Zusage, vorhandene Arbeiterrechte nicht zu beschneiden, hat das Ministerium nicht eingehalten. Ein bundesweites Gesetz darf nicht zur Verschlechterung für alle führen, sagt der Landarbeiterkammertag. Unterstützung bekommen sie dabei auch von der Arbeiterkammer.
[aktualisiert am 24. März 2020]
Wo bleiben da die sozialdemokratischen Gewerkschaftler? Habe die das KÄMPFEN schon verlernt?