Petar Rosandić, besser bekannt als Rapper Kid Pex, reist regelmäßig mit Transportern voller Sachspenden nach Bosnien. Mit seiner Hilfsorganisation SOS Balkanroute übernimmt er die Hilfe vor Ort, von der Österreichs Regierung spricht – aber nicht umsetzt.
Kontrast: Schön, dass du Zeit hast für uns in deinem stressigen, aufregenden Leben. Du kommst gerade erst aus Bosnien zurück.
Petar Rosandić: Ja, richtig. Ich bin erst seit ein paar Tagen wieder in Wien, weil ich den Großteil des Winters in Bosnien war.
Richtig, mit der SOS Balkanroute. Für diese Arbeit hast du gerade einen Preis gekriegt. Du bist Person of the Year der MigAwards geworden. Herzlichen Glückwunsch! Ihr habt auch letztes Jahr den Ute-Bock-Preis bekommen. Sind Preise wichtig für dich?
Rosandić: Wir haben nie an Preise gedacht, sondern immer einfach nur getan und getan. Aber diese Preise haben natürlich eine eine Signalwirkung. Vor allem, wenn die Politik nicht mehr sensibilisiert ist, die Menschenrechte nicht mehr verteidigt und im europäischen Kontext umsetzt. Es ist mir wichtig, dass es noch immer wichtige Teile der Gesellschaft gibt, die so ein Engagement honorieren und mit Preisen würdigen. Und ich hoffe, solche Preise sind ein klares Signal an die Politik.
Bevor wir näher auf dein Engagement entlang der Balkanroute eingehen, noch zu deinem restlichen Schaffen: Du machst dezidiert linken Rap – sehr erfolgreich – und machst auch Workshops mit Jugendlichen. Immer noch gibt es Leute, die sagen „Jugendliche sind politikverdrossen, sind nur auf Instagram und interessieren sich für nichts”. Was sagst du ihnen?
Rosandić: Das ist schon richtig. Wobei ich in den letzten zwei Jahren weniger Zeit für Rap hatte. Ich habe sehr viele Workshops in Jugendzentren und Schulen gemacht. Bei der Veranstaltungsreihe Gürtel-Squad, habe ich gemeinsam mit ESRAP (einem Geschwister-Rap-Duo, aus Wien, Anm.), noch zur Corona-freien Zeit jugendliche Talente gefördert und ihnen eine Bühne gegeben. Mein Eindruck ist, dass Jugendliche, dort, wo ich war, im zehnten Bezirk im Karl-Wrba-Hof oder in der Großfeldsiedlung, sehr wenig mit diesem Tagespolitischen, Innenpolitischen, Österreichischen anfangen können, weil sie davon einfach nicht berührt sind bzw. weil die Politik selber nicht in diese Lebensrealitäten reingeht und diese Lebensrealitäten beleuchtet und auch inkludiert.
Und politisierst du die Leute oder sind das reine Kunst-Workshops?
Rosandić: Da passiert ganz viel. Ich habe irgendwann gesagt, ich mache keinen Workshop, ohne auch eine weibliche Rapperin mitzuhaben. Im zehnten Bezrik habe ich mit Snessia, Mag-D, ESRAP, unzählige Workshops gemacht oder mit Samira Dezaki, einer 18-Jährigen Rapperin aus dem Gemeindebau in der Großfeldsiedlung.
In Milieus wie im Zehnten oder im Sechzehnten kommen halt schon eher die maskulinen, testosteron-gesteuerten Deutsch-Rap-Fan-Kids in die Workshops. Und da gab es schon Aha-Erlebnisse, wenn die sehen, dass eine Frau viel besser rappt als sie, dann mussten sie sich mal zwei, drei Sessions erholen. Das sind positive Nebenwirkungen. Ich glaube, es ist nicht der richtige Ansatz, mit dem Zeigefinger missionarisch hinzugehen, sondern durch das Setting und die sich selbst entwickelnde Dynamik den Leuten die Chance zu geben, sich für Neues zu öffnen.
Genauso wie in Bosnien – wir sind dort mit sehr vielen religiösen Frauen unterwegs.
Diese Frauen mit Kopftuch werden hier als Hinterweltlerinnen dargestellt, dabei sind das genau die Frauen, die tatsächlich die Menschenrechte an der EU-Außengrenze beschützen.
Bei den Spendensammelaktionen in Wien schlichtet der Imam neben dem jungen Afghanen, dem Punk und einem lesbischen Ehepaar gemeinsam Spenden ein. Ich glaube, dass sich die Leute im Nachhinein dann denken: „Dieser Mensch ist doch interessant, die ist ja gar nicht so, wie andere das sagen.”
Das führt uns zur nächsten Frage: Wer und was ist SOS Balkanroute?
Rosandić: SOS Balkanroute war am Anfang eine Partie von drei, vier Leuten, die naiv und dilettantisch ein bisschen Spenden gesammelt haben und die mit einem Kombi nach Bosnien gebracht haben – und dann sind wir ins Horrorcamp Vučjak gekommen. Ein Camp auf einer ehemaligen Müllhalde, neben einem Minenfeld, wo man Menschenleben wortwörtlich weggeworfen hat. Ab da haben wir dann weiter Transporter und LKW organisiert.
Wie kann man euch unterstützen?
Rosandić: Natürlich mit Sachspenden bei unseren Sammelaktionen, vor allem im Herbst und Winter, wenn wir diese wegen der akuten Kältenot organisieren. Geldspenden natürlich, laufend am liebsten, mit Dauerauftrag. Wir brauchen eine kontinuierliche Substanz, um das, was wir jetzt aufgebaut haben, halten zu können. Viel wichtiger als Sach- und Geldspenden ist, dass man darüber redet. Dass man die Menschen, die man hier versucht, politisch zu entmenschlichen, wieder vermenschlicht.
Du redest von Familien, Frauen, Einzelpersonen, die mithelfen. Ihr seid ja auch eine Privatinitiative. Wieso ist man darauf angewiesen? Was ist denn mit der Hilfe vor Ort, von der die Regierung redet?
Rosandić: Die Hilfe vor Ort ist eine Farce. Im Dezember, nachdem das Camp Lipa abgebrannt ist, hat mich Gudrun Kugler, Nationalratsabgeordnete der ÖVP, ganz stolz angerufen: „Wir schicken jetzt eine Million Euro Soforthilfe.” Ich habe gesagt – sehr gut, zumindest das.
Dann hat sich herausgestellt, dass diese eine Million Euro an Familien-Camps gebunden war. Das zeigt eine elementare Nichtkenntnis der Lage vor Ort. Das war eine Propaganda-Aktion, mit der sie versucht haben, auf Moria zu reagieren, wo Familien und Kinder tatsächlich in schlimmen Zuständen sind. In Bosnien ist die Lage anders. Die Familien- und Kindercamps, da muss man auch ehrlich sein, sind sehr gut ausgestattet. Kinder haben Laptops, Freizeitmöglichkeiten und internationale Organisationen wie IPSIA organisieren “Social Cafes”. Die Kinder und Familien in Bosnien sind oft nicht diejenigen, die ums Überleben kämpfen. Zumindest nicht in den Camps.
Die Schande sind die Männerlager. Wenn in Lipa Menschen frieren und barfuß durch den Schnee gehen – was macht Österreich? Schickt eine Million Euro an Familien- und Kinder-Camps.
Nach einem Meeting mit dem Außenministerium und unserer Kritik hat man uns gesagt, man flexibilisiere das Geld, auch für das Männercamp Lipa. Bis heute kann keiner eine Antwort geben, wo dieses Geld wirklich gelandet ist, wie es wirklich eingesetzt wurde, diese eine Million Euro Soforthilfe – genauso wie die vorigen Zahlungen der EU-Staaten in diese Töpfe. Von diesem Geld sieht man vor Ort nichts.
Du bist diesen Winter nicht das erste Mal vor Ort gewesen. Wie hat sich die Lage verändert in den letzten Jahren?
Rosandić: Das erste Mal war ich im September 2019 vor Ort. Es wird schlimmer und schlimmer. Wir haben Leute getroffen, die 45 Mal versucht haben, die kroatische Grenze zu überqueren, 45 Mal geschlagen wurden. Die kroatische Polizei schlägt tagtäglich Menschen. Die EU sieht bei dieser Systematik der Gewalt bewusst weg. Dabei haben wir das mehrfach dokumentiert und auch Alma Zadic konkrete Beweise und Aufnahmen übergeben. Bis dato ist leider nicht viel passiert.
Das einzige, was sich verbessert hat, sind unsere Aktionen. Aber das Leid ist zu groß. Wir könnten mit hunderten Leuten hinkommen, mit Millionen – wir würden trotzdem das Problem in seiner Essenz nicht lösen. Denn: Das System, dieser bewusst hervorgerufene Teufelskreis, ist das Problem.
Diese Leute sind psychisch zermürbt. Man züchtet hier bewusst psychische Wracks heran. Der Guardian hat von einer jungen Afghanin berichtet, die von der kroatischen Polizei missbraucht worden sein soll, wofür es auch Augenzeugen gibt. Und als man sie nach Bosnien abgeschoben hat, hat man zu ihr gesagt: “Geh doch zu deinen Moslems zurück nach Bosnien”. Das haben wir oft gehört, dass die kroatischen Polizisten das zu den Leuten sagen.
Also geschieht eine Zuordnung über die vermeintliche Religionszugehörigkeit?
Rosandić: Ich glaube, das, was viele nicht aussprechen, ist, dass hier bewusst muslimische Männer hängen gelassen werden. Österreich will auch nur an Familien und Kinder Hilfe schicken, aber die Männer lassen wir krepieren, als hätten Männer keine Menschenrechte. Sie versuchen ja seit Jahren und seit 2015 verstärkt, diese männlichen Geflüchteten zu dämonisieren.
Im Männer-Lager Lipa, wo die Menschen bewusst irgendwo in den Bergen isoliert werden, weit weg von der Stadt, damit sie – wie es unser Ex-Innenminister Herbert Kickl in seinem grauslichen Wording gesagt hat – konzentriert sind.
Bei diesen Menschen merkt man einfach, dass da etwas gestorben ist in ihnen, in ihren Blicken.
Du hast viel gesehen, hast dich in der Flüchtlingshilfe in Österreich engagiert und viele Lager in Bosnien besucht. Wenn du bestimmen könntest: Wie würde man Flucht und Migration an der Balkanroute organisieren?
Rosandić: Ein Flüchtlingslager sollte eigentlich nur eine kurze vorübergehende Lösung sein, wenn überhaupt. Wenn man das überhaupt als Lösung bezeichnen kann. Egal, wie luxuriös ein Flüchtlingslager ist – selbst, wenn es ein Luxushotel wäre, niemand will in einem Flüchtlingslager sein Leben verbringen.
Die EU darf Bosnien nicht als Ablagerungsstätte für Probleme verwenden und den Staat Bosnien-Herzegowina und die Gemeinden dort alleine lassen. Man sollte in Bosnien selbst ein EU-Asylzentrum machen. Zumindest so fair sein und sagen: “OK, wir haben hier Menschen, die wollen in die EU. Wir werden ihnen in Bosnien ein Asylverfahren ermöglichen und ihnen eine Antwort geben.” Eine zweite Lösung wäre auch natürlich, sich generell Fluchtgründe anzuschauen. Wenn man an Afghanistan denkt – das ist kein sicheres Land.
Die Diskussion hat sich mittlerweile so sehr nach rechts verschoben, dass sie eigentlich unsere eigenen Biographien ins Absurde führen. Wenn du jetzt die 60er-Jahre nimmst, die Gastarbeiter-Abkommen und so weiter – so gesehen waren das alles Wirtschaftsflüchtlinge.
Wir leugnen uns selbst, indem wir die Existenz dieser Menschen leugnen.
Die EU benimmt sich so, als würden diese Leute nicht existieren. Wenn irgendein Lager brennt, werden kurz die Kameras aufgedreht, und dann hauen alle ab. So wie jetzt bei Lipa. Alle internationalen großen Organisationen haben sich zurückgezogen. Jetzt kommt es wieder auf Organisationen wie uns an, die auch schon vorher da waren.
Fühlt ihr euch allein gelassen von Europa?
Rosandić: Von Europa, von Österreich – ja. Aber wir erfahren auch Unterstützung: vom österreichischen Geist der Hilfsbereitschaft und der Zivilgesellschaft. Von dem, was in Österreich heute noch von „Nachbar in Not” aus den 90er-Jahren übrig ist. Die Menschen, die uns spenden und uns helfen, das ist die unglaubliche Kraft, die sie uns nicht nehmen können. Egal, wie sehr sie diese Leute dämonisieren, egal, wie sehr sie ihre Propagandamaschinerie anwerfen und falsche Bilder darstellen – das können sie uns nicht nehmen.
Warum engagierst du dich? Du könntest ja ein weitaus bequemeres Leben haben.
Rosandić: Was mich am meisten gepackt hat in Bosnien ist, dass dort Menschen, die selber arm sind, die selber in einem kaputten, traumatisierten Nachkriegsstaat leben, sagen: “Wir haben nicht viel, aber wir werden helfen.”
Da habe ich mir gedacht: “Hey, wenn diese bosnischen Frauen neben ihren Familien, neben dem ganzen Wahnsinn, den sie tragen in diesem dysfunktionalen Staat, der ja selber auch ein Opfer von Nationalismus, von Hetze und Krieg ist – wenn die das meistern, dann müssen wir was beitragen.”
Bei mir spielt auch das Kulturelle mit. Ich komme nicht aus Bosnien, sondern aus Kroatien. Aber ich spüre das dort, das ist alles am Balkan. Und in meinen Augen sind – jetzt werden mir viele Nationalisten und Patrioten böse sein – Bosniaken, Serben und Kroaten nur zerstrittene Geschwister mit einer anderen Religionszugehörigkeit.
Glaubst du, du kannst besser verstehen dadurch, als Leute, deren Eltern aus München und Salzburg kommen?
Rosandić: Das traue ich mich schon zu sagen, durch meine sprachliche Kompetenz und die Kenntnis der Kultur, das Verständnis für diese Leute. Die bosnischen HelferInnen und Organisationen merken, dass wir versuchen, unsere Arbeit an ihren Interessen und Sorgen, ihrem Alltag mit den Geflüchteten zu orientieren. Wir sind nicht gekommen und haben gesagt: „Wir sind die weißen Europäer, wir zeigen euch jetzt, wie das hier geht.” Ein Bosnier würde ja auch nicht nach Deutschland in ein Flüchtlingscamp gehen und in Eigenregie etwas machen, ohne zumindest vorher mit den deutschen Behörden und AnsprechpartnerInnen geredet zu haben – so wie das manche in Bosnien machen. Wir haben uns immer nach den Bosniern und Bosnierinnen orientiert. Wir haben ihnen vertraut und sie haben uns vertraut.
So hat es die SOS Balkanroute von einer kleinen, unbedeutenden NGO mit zwei, drei HelferInnen zu einer Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz gebracht. Wir haben in Tuzla, einer der Städte, die weniger überlastet sind, eine Küche und ein Tageszentrum aufgebaut. Diese Projekte sind für die Leute Lichtblicke. Sie können von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr kommen, sich duschen, ihre Powerbanks aufladen, fernsehen oder Workshops besuchen und zumindest für neun Stunden Normalität erleben in einem warmen Raum. Da zeigen wir, wie es gehen könnte.
Wir geben den Menschen wieder Würde und Respekt, das ist das Wertvollste.
Was kann Österreich tun, wenn die Regierung sich weiterhin querstellt?
Rosandić: Der Kampf der Leute, die 2015 auf den Bahnhöfen waren, hat sich jetzt verschoben an die Außengrenzen. Wir konnten letztes Jahr in einem leeren, voll funktionierenden Flüchtlingsheim vom Arbeiter-Samariterbund ein Lager einrichten. In diesen Räumlichkeiten, wo Menschen genug Platz hätten.
Die Stadt Wien hat autonom Hilfsgüter geschickt, das ist ja ein Anfang. Doch die Kommunalpolitik ist noch stärker gefragt. Wenn man z.B. bedenkt, dass die Stadt Bihać mit 50.000 EinwohnerInnen nur einen Rettungswagen hat, oder das lokale Krankenhaus in einem Zustand ist, der uns an Reportagen aus Nordkorea erinnert. Die österreichische Kommunalpolitik hat genug Ressourcen, um auch mit wenig starke Signale zu schicken und Druck auszuüben auf die Bundesregierung, indem sie zum Beispiel humanitäre Städte-Partnerschaften macht mit den betroffenen Gemeinden in Bosnien. Nurten Yilmaz, die Nationalratsabgeordnete der SPÖ, war auch mit uns unten vor zwei Jahren, auch Ewa Ernst-Dziedzic von den Grünen.
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