Sie sind für viele die einzigen Menschen, die sie neben der WG, den Kindern oder dem eigenen Mann noch sehen: Essenslieferantinnen und Fahrradboten. Die Brigade auf Rädern sorgt für das letzte bisschen Normalität in Corona-Isolationszeiten. Wenn man sich abends mit Indisch oder Pizza vor den Fernseher setzt, kann man sich kurz einbilden, alles sei wie immer. Dabei sind viele von ihnen selbst besonders gefährdet. Denn während wir weiter Essen bestellen, gilt: Werden die freien DienstnehmerInnen krank, fehlt auch das Einkommen.
Adele Siegl ist Betriebsrätin bei Mjam. Mit einigen Kollegen hat sie den Betriebsrat 2017 bei Foodora gegen den Widerstand der Geschäftsleitung gegründet, bevor das Unternehmen ein Jahr später mit Mjam zusammengelegt wurde. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit während der Corona-Krise gesprochen.
WIE HAT SICH DEIN JOB SEIT CORONA VERÄNDERT?
Mein Arbeitstag verschiebt sich. Man merkt, dass die Menschen länger schlafen und mittags im Büro nicht miteinander Essen bestellen. Der Mittags-Schwung fängt also erst später an. Es ist nicht so stressig wie sonst oft, aber es gibt immer was zu tun.
Insgesamt merken wir aber, dass weniger los ist. Dass es trotzdem teilweise zu längeren Wartezeiten kommt, liegt daran, dass viele Restaurants geschlossen haben und nicht, dass mehr Menschen bestellen – im Gegenteil.
Die Menschen essen noch die Reste ihre Hamsterkäufe auf. Wenn sie daheim sind, kochen sie außerdem mehr. Aber das wird wohl nicht allzu lange anhalten.
Wir sind aber momentan noch gleich viele Kolleginnen und Kollegen im Einsatz wie sonst auch, es wurden zum Glück weder Menschen noch Stunden abgebaut seit Beginn der Krise.
Was wir aber schon merken: Das Trinkgeld brach total ein. Es ist eh klar: Alle zahlen elektronisch und niemand will einander zurzeit zu nahe kommen. Einige Kunden sind richtig kreativ geworden und haben das Trinkgeld in eine Schale auf die Fußmatte gestellt.
Das ist aber selten, und das merkt man natürlich am Ende der Woche im Börserl. Und elektronisches Trinkgeld geht bei Mjam leider noch nicht – da hapert es an der technischen Umsetzung, nicht etwa am Unwillen der Geschäftsführung.
Trinkgeld macht bei uns so einen großen Teil des Einkommens aus, dass ich kaum KollegInnen kenne, die überhaupt zum Bankomat gehen. Unsere Bar-Auslagen, also Kaffeehaus-Besuche, Trafik-Einkäufe oder ein kleine Besorgungen bestreiten wir fast ausschließlich vom Trinkgeld. Das ist für uns schon überlebenswichtig.
AUF WAS ACHTEST DU GERADE BESONDERS?
Ohne Hygiene-Maßnahmen geht bei uns grade nix. In allen Restaurants gibt es große Desinfektionsmittel-Spender, mit denen wir unsere Hände und unsere Handys desinfizieren. Wir haben auch kaum Kontakt zum Personal im Restaurant.
Auch an der Haustüre gibt es keinen direkten Kontakt. Kontaktlose Lieferung läuft so ab: Wir greifen die Sackerl nur unten an, stellen sie auf der Türmatte ab und warten, bis die KundInnen die Lieferung annehmen – und zwar am Henkel. Ist das bestellte Essen gut angekommen, winken wir auf Distanz und ziehen weiter.
WAS WÜRDE PASSIEREN, WENN ES BEI EUCH EINEN CORONA-FALL GIBT?
Wir BotInnen haben untereinander keinen direkten Kontakt, also sind wir da recht sicher. Außerdem sind alle angehalten, sich gleich bei der Betriebsärztin zu melden, falls Symptome auftreten.
An sich sind wir ja alle ständig draußen unterwegs und haben dadurch ein starkes Immunsystem. Wir sollten also safe sein, wenn sich alle an die Schutzmaßnahmen halten.
WAS MACHT DIR SORGEN?
Ich mache mir um meinen Job keine Sorgen. Das Bestellaufkommen wird schon wieder mehr werden, wenn die Leute ihre Hamster-Vorräte erst mal aufgegessen haben. Aber sollte es anders kommen, dann sind es die freien DienstnehmerInnen, um die ich mir Sorgen mache.
Die werden nämlich nach Auftragslage bezahlt. Es gibt einen Mindestsatz von 8 Euro die Stunde brutto, das deckt zwei Lieferungen ab. Wer mehr in der Zeit schafft, bekommt auch mehr Lohn.
Die Freien sind jetzt besonders gefährdet, denn sie können rechtlich nicht in Kurzarbeit gehen. Das betrifft 90 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen. Hinzu kommt: Für sie gibt es keine Leistungen, wenn sie selbst in Quarantäne gehen müssen – was momentan ja gut sein könnte. Sie werden auch vom Betriebsrat nicht vertreten; die Angestellten sind durch den Betriebsrat ja gut abgesichert.
Die freien DienstnehmerInnen sind prekär beschäftigt. Das zeigt sich eben auch besonders in so einer Krise.
Klassische Rad-Botinnen und Boten sind oft (schein-)selbstständig. Das heißt, dass die kein Krankengeld bekommen, dass ihnen niemand hilft, wenn die Achse vom Rad bricht. Freie DienstnehmerInnen bekommen erst am dritten Tag Krankenstand Krankengeld – und das ist dann auch nur die Hälfte des Durchschnittseinkommens.
Das Problem ist momentan nicht, dass das Geschäft ausbleibt, sondern dass man nicht krank werden darf in dieser Branche.
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